Schulden sind in der Weltwirtschaft zum Problem geworden. Überschuldete Immobilienbesitzer haben die Finanzkrise ausgelöst, überschuldete Staaten die Eurokrise – und in einigen wichtigen Studien haben Ökonomen festgestellt, dass Schulden nicht nur diese beiden Krisen ausgelöst haben, sondern eine ganze Reihe mehr – zum Beispiel Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff oder Moritz Schularick und Alan Taylor.
Ohne Schulden geht es aber auch nicht. Die Welt steckt in einem Dilemma, findet Adair Lord Turner, ehemaliger Präsident der britischen Bankenaufsicht: Die “große Mäßigung” zum Anfang des Jahrhunderts brachte ordentliches Wachstum bei niedriger, stabiler Inflation – allerdings nur um den Preis, dass die Menschen auf der ganzen Welt immer mehr Schulden machten. Selbst das Wachstum in Deutschland hänge am Kredit – den allerdings in diesem Fall nicht die Deutschen aufnehmen, sondern die Leute in anderen Ländern. Ein Gedanke, der in der Ökonomik inzwischen viel diskutiert wird: Gibt es Wachstum nur noch mit Blasen? (dazu zum Beispiel Larry Summers und Paul Krugman).
Gesucht: ein Gleichgewicht von Wachstum und Schulden
Turner hofft, ein Gleichgewicht zwischen Wachstum und Schulden zu finden. Er machte schon als Präsident der britischen Bankenaufsicht mit innovativen Vorschlägen zur Krisenbekämpfung von sich reden. Heute arbeitet er am “Institute for New Economic Thinking”, finanziert vom Hedgefonds-Manager George Soros – und am Montagabend stellte er an der Universität Frankfurt seine neue Arbeit vor, die einen ganz neuen Blick auf die Schuldenabhängigkeit der Welt wirft.
Turner sieht nämlich einen wichtigen Grund dafür, dass Schulden so gefährlich sind: Das meiste Geld wird nicht für neue Investitionen geliehen. Von rund 2000 Milliarden Pfund, die zum Beispiel in Großbritannien im Jahr 2009 an Kredit unterwegs waren, steckten nur rund 230 Milliarden in produktiven Firmeninvestments. Fast genau so viel Kredit hatten die Briten aufgenommen, um sich selbst etwas zu gönnen, das sie sich gerade nicht leisten konnten. Der größte Teil des Geldes wurde aber für Privathäuser ausgegeben – und davon waren längst nicht alle neu gebaut. Heute wird viel Kredit für den Kauf bestehender Häuser aufgenommen. Für die Volkswirtschaft ist das aber keine neue Investition.
Warum braucht Wachstum heute so viel Kredit? Turner nennt drei Gründe:
- den Kauf bestehender Immobilien. Mit immer neuem Kredit können die Leute immer mehr Immobilien kaufen und die Immobilienpreise steigen immer weiter, obwohl volkswirtschaftlich – wie beschrieben – nichts investiert wird.
- die hohe Ungleichheit. Während reiche Leute mit hohem Einkommen ihr Geld nicht ausgeben, sondern zur Bank bringen, kaufen arme Leute viel auf Kredit – ein Mechanismus, den Raghuram Rajan so ähnlich beschrieben hat.
- die Ungleichgewichte zwischen den Ländern: Sie führen dazu, dass sich dass sich einzelne Länder hoch verschulden, um Waren in anderen Ländern zu kaufen.
Die ersten beiden Gründe stoßen bei mir auf viel Sympathie.
Turners Fokus auf die Ungleichgewichte zwischen Ländern wird auf Kritik stoßen, speziell in Deutschland: Ein Kredit zwischen zwei Deutschen erhöht die Ungleichgewichte nicht, aber warum sollte er weniger gefährlich sein als ein Kredit zwischen einem Spanier und einem Deutschen? Gerald Braunberger verweist darauf, dass im Kreditverkehr über Grenzen hinweg oft schlechter geprüft wird, wie kreditwürdig der Schuldner ist.
Turners Gründe sind zudem nicht die einzigen in der Debatte. Möglich sind auch:
- Die Leute in den Industrieländern sind aus den vergangenen Jahrzehnten noch höhere Wachstumsraten und einen schneller wachsenden Wohlstand gewohnt, den sie jetzt auf Kredit bekommen wollen.
- Der große Soziologe Wolfgang Streeck sieht dagegen den Kampf zwischen Kapitalinvestoren und Angestellten als wesentlichen Grund (hier eine genauere Beschreibung).
Wie man aus dem Schlamassel wieder herauskommt, weiß Turner auch nicht. Schulden bekommt man nur durch Wachstum oder durch Inflation wieder weg, glaubt er. Aber er hat einige Vorschläge dafür, wie sich so eine horrende Überschuldung künftig vermeiden lässt. Hier ist eine Auswahl:
- Zentralbanken sollen künftig nicht nur darauf achten, dass das Wachstum der Kreditmenge im Rahmen bleibt – sondern auch darauf, wie groß die Kreditmenge insgesamt geworden ist
- Auch mit Zinserhöhungen sollten Zentralbanken schneller werden (aber Vorsicht: Ungünstig wird es, wenn sich die Immobilienkäufer trotz hoher Zinsen nicht vom Kauf abhalten lassen, aber die Unternehmen ihre Investitionen aufschieben).
- Kredite zu vergeben, könnte besteuert werden – zumindest aber sollten Steuervergünstigungen auf Kredite abgeschafft werden.
- Auch ein höheres Eigenkapital in den Banken hilft – eine Forderung, die Turner mit Anat Admati und Martin Hellwig teilt.
- Recht wären Turner auch Banken, die keine Immobilien finanzieren, sondern nur normale Unternehmenskredite für Investitionen.
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