Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Finanzkrisen durch die Hintertür

Nicht nur Schulden lösen Krisen aus, sondern auch der Herdentrieb großer Anleger. Wie kann die Geldpolitik helfen?

© Picture AllianceErhitztes Geld.

Ist die aktuell in den großen Industrienationen betriebene Geldpolitik dabei, die Saat für die nächste große Finanzkrise zu legen? Das ist nicht klar, aber: Die Bedeutung der Geldpolitik für die Finanzstabilität ist ein sehr aktuelles Thema, dem die Deutsche Bundesbank in den vergangenen Tagen ein prominent besetztes Symposium gewidmet hat. Gleichzeitig wurde in New York, der Hauptstadt der Großanleger, eine Arbeit vorgestellt, die sich ausdrücklich mit der Bedeutung der Großanleger für die Finanzstabilität befasst. Diese Arbeit – verfasst von – Michael Feroli, Anil K. Kashyap, Kermit Schoenholtz und Hyun Song Shin – zeigt, wie vermint das Gelände ist, auf dem sich die Geldpolitik bewegt. Wir hatten das Thema bereits anlässlich eines Vortrags von Hyun Song Shin in FAZIT hier “angerissen”.

Die Arbeit lässt sich in fünf Thesen zusammenfassen:

 

1. Hohe Verschuldung als Folge exzessiver Kreditgewährung durch Banken ist eine häufige, aber nicht die einzige Ursache von Finanzkrisen. Man muss auch das Verhalten von Großanlegern wie Fonds betrachten.

Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, wie langfristig orientierte Großanleger wie Fonds oder Versicherer Finanzkrisen verstärken sollen, wo sie doch eigentlich als stabilisierende Kräfte an den Märkten gelten. Allerdings können auch diese langfristigen Investoren einen kurzfristigen Herdentrieb entwickeln – nicht, weil sie ihren Verstand verloren hätten, sondern aus rationalen Gründen. Ein solcher Grund ist ein Vergütungsmodell, das den Erfolg eines Fondsmanagers nicht langfristig, sondern in kürzerer Frist (ein Jahr oder wenige Jahre) im Vergleich zu seinen Konkurrenten misst. Ein im Branchenvergleich sehr erfolgreicher Manager kann mit einer hohen Bezahlung rechnen, ein im Branchenvergleich erfolgloser Manager muss seine Entlassung fürchten. Das Ergebnis dieser Anreizstrukturen ist ein Herdentrieb: Viele Manager folgen einem Trend, um nicht zu den Verlierern zu zählen.

Daraus entstehen selbstverstärkende Effekte: Käufe von Schwellenländeranleihen hatten in den vergangenen Jahren zunächst hohe Kursgewinne bewirkt, die dann zusätzliche Anleger zu Käufen motivierten, worauf die Preise stiegen und sich weitere Anleger zu Käufen veranlasst sahen etc. Die Arbeit von Feroli & Co. zeigt, dass sich ein solches Verhalten in vielen Anleihemärkten nachweisen lässt, allerdings nicht im Markt für amerikanische Staatsanleihen und in vielen Aktienmärkten. Grenzüberschreitende Kapitalanlagen finden überwiegend in Anleihen statt; insofern ist das Ergebnis der Studie von hoher praktischer Relevanz. An die starken Kurshochs können sich dann schwere Kurseinbrüche anschließen, wie man sie seit Mai 2013 an einigen Schwellenländermärkten gesehen hat. Vor allem ängstliche Privatanleger haben Fondsanteile verkauft, worauf die Fondsmanager teuer erworbene Anleihen verkaufen mussten – oft mit Verlust.

 

2. Das Instrumentarium der Regulierer wie höhere Eigenkapitalquoten für Banken, um eine exzessive Kreditvergabe zu bremsen, ist ungeeignet, wenn Krisen nicht aus hoher Verschuldung entstehen.

Es existiert eine lange und keineswegs entschiedene Debatte, welche Rolle die Geldpolitik und die Regulierung für die Finanzstabilität spielen sollen. Traditionell neigt die Geldpolitik zu der – mittlerweile aber sehr umstrittenen – Ansicht, ihr Instrumentarium sei für die Steuerung der Finanzstabilität zu grob und außerdem könne sie in einen Zielkonflikt geraten, wenn sie gleichzeitig den Geldwert und die Finanzstabilität steuern solle. In diesem Sinne äußerte sich auf der Bundesbank-Konferenz Jens Weidmann, während sein niederländischer Kollege Klaas Knot weniger Bedenken hat.

Deshalb hat die Idee an Bedeutung gewonnen, durch kluge Regulierungen einen wesentlichen Beitrag zur Finanzstabilität zu leisten. Dieser Ansatz trägt die schreckliche Bezeichnung “makroprudentielle Politik”. Was immer man davon hält: Feroli & Co. verweisen, darauf, dass man mit dieser Regulierungspolitik vor allem Banken erfasst, aber nicht Großanleger wie Fonds und Versicherungen. Damit rückt die Geldpolitik wieder stärker in den Fokus – ein “Separationsprinzip”, nach dem die Sicherung der Finanzstabilität alleine durch makroprudentielle Politik und gar nicht durch Geldpolitik bewerkstelligt werden sollte, lehnen die Autoren ab.

 

3. Eine Geldpolitik, die auf langfristigen Einschätzungen baut (“Forward Guidance”) kann die Teilnehmer an den Finanzmärkten dazu veranlassen, höhere Risiken einzugehen, die zu einer späteren Krise beitragen.

Moderne Geldpolitik setzt oft darauf, die Erwartungen der Menschen in der Wirtschaft durch weit vorausschauende Einschätzungen zum Einsatz ihrer Instrumente zu steuern. Ein bekanntes Beispiel sind die Ankündigungen der Fed, wonach aus der Reduzierung ihrer Anleihekäufe keineswegs auf eine baldige Erhöhung des Leitzinses geschlossen werden sollte. Diese Form der Geldpolitik durch Ankündigungen heißt “Forward Guidance”, und wir haben sie in FAZIT sehr kritisch behandelt.

Feroli & Co. weisen auf die Risiken dieses Konzepts hin. Die Risikobereitschaft großer Kapitalanlager wird durch die Geldpolitik gerade der Fed stark beeinflusst. Wenn die Fed im Rahmen ihrer “Forward Guidance” noch für lange Zeit einen sehr niedrigen Leitzins in Aussicht stellt, ermuntert dies große Kapitalanlager, mehr Risiken einzugehen. Der Herdentrieb in der Branche sorgt dann für starke Kapitalströme, in den vergangenen Jahren zum Beispiel in die Schwellenländer. Wenn die Fed dann eines Tages wirklich ihre Geldpolitik straffen sollte, könnte dies erhebliche Folgen für das Verhalten der großen Anleger haben – mit der Gefahr von Finanzkrisen. Dann könnte sich mit größeren Folgen das wiederholen, was seit einigen Monaten in Schwellenländermärkten zu beobachten ist. Die Kommunikation der Fed wird damit zu einem sehr wichtigen Einflussfaktor für die weltweiten Kapitalströme.

 

4. Finanzstabilität wird vor allem mit der Gefahr verbunden, dass große Banken mit unkalkulierbaren Folgen untergehen könnten (“too-big-to-fail”). Die Finanzstabilität kann aber auch durch Finanzhäuser wie Fondsgesellschaften bedroht sein, bei denen ein Konkursrisiko praktisch nicht besteht.

Die Frage liegt nahe: Wo sind denn eigentlich die Gefahren, wenn Kapitalanleger mit ihren Fonds oder Versicherungen Verluste erleiden? Es sind schon viele Investmentfonds abgewickelt worden, ohne dass eine große Krise drohte. Das bei Banken sehr mächtige “Too-big-to-fail”-Argument zieht hier theoretisch nicht.

Die Gefahren hat Shin in seinem – in unserem früheren Beitrag verarbeiteten -Vortrag in San Francisco sehr einprägsam zusammengefasst: Der starke Abfluss von Auslandskapital kann die Wirtschaft eines Landes schädigen; durch geringes Wirtschaftswachstum kommen – oft im Ausland hoch verschuldete – Unternehmen in Bedrängnis und durch die heimische Banken, wenn bedrohte Unternehmen Einlagen abziehen. Aus der Wirtschaftskrise eines von kurzfristigen heftigen Kapitalabflüssen heimgesuchten Landes kann eine Bankenkrise entstehen und damit ist die Finanzstabilität gefährdet.

 

5. Der Zielkonflikt der Geldpolitik ist komplizierter als oft dargestellt.

Es geht nicht alleine um die Frage, ob die Zentralbank bei einer aktuellen Betrachtung der Lage ihre Politik stärker oder weniger stark ändern soll. Es geht vor allem auch um die Frage, inwieweit eine besonders expansive Geldpolitik heute in der Zukunft zu einem möglicherweise mit Turbulenzen verbundenen Ausstieg aus dieser Politik führt. Je länger eine Geldpolitik sehr expansiv bleibt, umso größer wird die Gefahr einer späteren Krise.