Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Was hält Staaten zusammen?

Die Ukraine könnte auseinander brechen. Viele Schotten plädieren für eine Trennung von London. In Katalonien gibt es eine starke Bewegung, die staatliche Unabhängigkeit anstrebt. Was hält manche Staaten zusammen und was lässt andere Staaten kollabieren?

Im Jahre 1659 beendeten Frankreich und Spanien ihren seit 1635 währenden Krieg im sogenannten Pyrenäenfrieden. Er führte zu einer Grenzziehung in den Pyrenäen, als deren Folge Katalonien geteilt wurde. Der größte Teil Kataloniens gehört bis heute zu Spanien, während ein kleinerer Teil, die Gegend um Perpignan, damals an Frankreich abgetreten wurde und bis heute zu Frankreich gehört.

Die Entwicklung der beiden Teile Kataloniens ist sehr unterschiedlich gewesen. Im spanischen Teil ist Katalanisch heute für 37 Prozent der Bevölkerung die bevorzugte Sprache innerhalb ihrer Familien. Im französischen Teil Kataloniens ist Katalanisch nur für 0,5 Prozent der Bevölkerung die bevorzugte Sprache; fast alle Menschen bezeichnen dort Französisch als ihre bevorzugte Sprache. Im spanischen Teil Kataloniens gibt es eine einflussreiche Bewegung für staatliche Unabhängigkeit; in Frankreich gibt es ein solches Streben nach Unabhängigkeit nicht.

Die an der amerikanischen Duke University lehrende Politologin Laia Balcells hat nicht nur diese Befragungen zusammen getragen, sondern in einer interessanten Arbeit eine Erklärung für diese sehr unterschiedliche Entwicklung gesucht. Ihre Erklärung stellt auf eine sehr unterschiedliche Macht des jeweiligen Zentralstaats in einer sehr wesentlichen Phase der historischen Entwicklung ab: des Beginns der Schulbildung für breite Massen.

Diese Erklärung geht so: In Frankreich setzte die Schulbildung für die breite Masse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, und weil der französische Staat damals stark war, konnte Paris über die Schulbildung seine Vorstellung eines starken französischen Staates verankern. *)  Damit, so die Erklärung Balcells, wurde ein katalonischer Nationalismus im französischen Teil früh und dauerhaft zu Grabe getragen.

In Spanien war dies ganz anders. Dort setzte die Schulbildung für die breite Masse zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein – und dies war eine Zeit, wo der spanische Staat schwach war und sich ein katalonisches Nationalbewusstsein ausbreitete. Über die Schulbildung wurde diese Ausbreitung dauerhaft gefördert. **)

Die Arbeit Balcells wurde dieser Tage von den in FAZIT häufiger herangezogenen Spitzenwissenschaftlern Daron Acemoglu und James Robinson in ihrem Blog “Whynationsfail.com” erwähnt. Acemoglu/Robinson hatten in ihrem auch in FAZIT besprochenen gleichnamigen Buch die These vertreten, dass der ökonomische Erfolg eines Landes langfristig stark von seinen politischen Institutionen abhängt und zu einem solch erfolgreichen Staat auch eine gewisse Macht der Zentralregierung gehört, die Güte von Institutionen im ganzen Land zu sichern.

Acemoglu/Robinson nennen als weiteres Beispiel für eine erhebliche Diskrepanz zwei Länder, in denen die “Arabellion” stattgefunden hat. Aber während in Tunesien die Zentralregierung niemals die Kontrolle über das Land verloren hat und Tunesien daher als gefestigte Nation erscheint, ist Libyen von einem Zerfall bedroht. Das ist kein Wunder: Auch unter einem Herrscher wie Gaddhafi hatte die Zentralregierung nur eine begrenzte Kontrolle über das Land; vielmehr war Gaddhafi von Bündnissen mit unterschiedlichen Stämmen abhängig, die gegen Ende seiner Macht zusammen brachen. ***)

Legt man diese Messlatte an, müsste man sich nicht wundern, wenn die Bindungskräfte in der Ukraine nicht eben stark wären…

 

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*) Beschrieben ist dieser Prozess in dem Buch “Peasants into Frenchmen” von Eugen Weber. Entgegen einer in Deutschland verbreiteten Meinung ist Frankreich keineswegs in seiner Geschichte überwiegend ein Staat mit einer starken Zentrale gewesen. Die staatliche Zentralisierung geht wesentlich erst auf Napoleon Bonaparte zurück und die Herausbildung eines ausgeprägten Nationalbewusstseins fand in starkem Maße erst danach im 19. Jahrhundert statt.

**) Eine ähnliche, wenn auch vielleicht nicht ganz so extrem unterschiedliche Entwicklung ließe sich auch für das Baskenland konstatieren. Ein staatliches Unabhängigkeitsstreben ist im spanischen Baskenland immer stärker als im französischen Baskenland ausgeprägt gewesen. Acemoglu/Robinson haben einen aktuellen Beitrag zu der Frage, warum es im Baskenland mehr Gewalt gibt als in Katalonien.

***) In einem früheren Beitrag haben sich Acemoglu/Robinson in ihrem Blog auch mit Schottland und England befasst.