Vor zwanzig Jahren, 1994, widmeten die Teilnehmer der Notenbankkonferenz in Jackson Hole sich das letzte Mal exklusiv dem Thema Arbeitslosigkeit. Die Konferenz erlebte einen noch jungen Paul Krugman, der die steigende Sockelarbeitslosigkeit in Europa – man höre und staune – nicht auf fehlende Nachfrage zurückführte, sondern auf die Versuche der Politik, Einkommensungleichheit zu bekämpfen. Das beeindruckte damals besonders den Fed-Vorsitzenden Alan Greenspan. „Jede Tendenz, ein bisschen makropolitische Erleichterung zu erlangen, indem man die Grenzen der Geldpolitik austestet, riskiert auf längere Sicht finanzielle Instabilität“, warnte Greenspan in seiner Eröffnungsrede vor überzogenen Ansprüchen an die Zentralbank und vor überzogenen Ideen der Notenbanker selbst.
Das Urteil, ob Greenspan diesen eigenen Ansprüchen gerecht wurde, fällt spätestens seit der Finanzkrise gespalten aus. Gerade in Europa, oder eher in Deutschland, neigen viele Ökonomen und Notenbanker der Meinung zu, dass Greenspan die Finanzkrise verursachte, als er nach dem Platzen der Internetblase Anfang dieses Jahrhunderts den Leitzins zu lange zu niedrig hielt. Wie die Zeiten sich ändern: Damals wurde der Fed vorgeworfen, den Leitzins bei 1 Prozent zu halten. Jetzt geht es schon seit Dezember 2008 um eine Fed Funds Rate von faktisch Null Prozent.
Die Federal Reserve unter Janet Yellen steht heute im Kern vor der Schwierigkeit, die Greenspan damals so treffend formulierte. Wie lange kann die Fed die Grenzen der Geldpolitik austesten im Versuch, die Arbeitslosigkeit noch ein wenig zu drücken, ohne neue Instabilitäten herbeizuführen? Was lässt sich dazu aus den wissenschaftlichen Aufsätzen lernen, die in Jackson Hole in diesem Jahr präsentiert werden?
Die große Rezession war nicht so ungewöhnlich
Die Ökonomen Jae Song und Till von Wachter stellen die übliche These infrage, dass die große Rezession nach der Finanzkrise den Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten besonders getroffen habe. Üblicherweise gilt etwa der Fed die ungewöhnlich hohe Zahl an Langzeitarbeitslosen als Indiz, dass noch viel Luft und Unterauslastung am Arbeitsmarkt sei. Die beiden Ökonomen zeigen aber nun anhand von Mikrodaten der Rentenversicherung, dass in der großen Rezession die lange Nicht-Beschäftigung nicht stärker gestiegen sei als in früheren Wirtschaftsabschwüngen. Die Diskrepanz zur regulären Arbeitslosenstatistik begründen sie damit, dass die Arbeitslosen sich offensichtlich häufiger offiziell arbeitslos meldeten als früher.
Song und von Wachter finden auch nur wenige Hinweise, dass die Arbeitslosigkeit sich verfestige und zur Dauerarbeitslosigkeit werde. Das Potential für solche Hystere-Effekte sei moderat. Insgesamt deutet diese Studie darauf hin, dass die Unterauslastung am Arbeitsmarkt weniger groß ist als von der Mehrheit in der Fed vermutet. Das spricht für sich genommen dagegen, die Geldpolitik noch sehr lange sehr expansiv zu halten.
Arbeitslosigkeit ist immer vom Menschen gemacht
„Ebenso wie Straßen und Banken ist Arbeitslosigkeit immer und überall vom Menschen gemacht und durch menschliche Interaktion und kollektive Politik beeinflusst“, schreibt der Ökonom Giuseppe Bertola in seinem Beitrag zur Jackson-Hole-Konferenz. Weg mit der „natürlichen“ Arbeitslosenquote, alles liegt allein an den Menschen und an der Regulierung und Inflexibilitäten an den Märkten. Bertola findet im Gegensatz zu vielen freiheitlich gesinnten Ökonomen diese Inflexibilitäten aber gar nicht so schlimm.
Dabei zieht der Ökonom eine feine Trennlinie: Für den Strukturwandel und den notwendigen Wechsel von Arbeitern von einer Branche in andere, von einer Stadt in eine andere, sei Flexibilität der Märkte wünschenswert und hilfreich. Zum Ausgleich gesamtwirtschaftlicher Schwankungen aber könne sich ein wenig Inflexibilität am Arbeitsmarkt als positiv erweisen. Ein Beispiel von Bertola: Kurzarbeiterregelungen in Deutschland, die in der Rezession viele Entlassungen verhinderten und nach dem Tiefpunkt eine schnellere Erholung ermöglichten. Was Bertolas Analyse für die Geldpolitik bedeutet ist dabei nicht direkt ersichtlich.
Die Vereinigten Staaten verlieren an Flexibilität
Die Probleme am amerikanischen Arbeitsmarkt gründen weit tiefer als in den Nachwirkungen der Rezession, argumentieren die Ökonomen Steven Davis und John Haltiwanger. Anhand einer Reihe von Statistiken zeigen sie für die vergangenen 25 Jahre auf, dass der amerikanische Arbeitsmarkt weniger „flüssig“ geworden sei. Stellen werden weniger oft verschoben, Arbeitskräfte wechseln weniger oft ihren Job. Die Wirtschaft werde damit weniger dynamisch und die Produktivität lässt nach.
Gründe dafür sind nach der Analyse die Alterung der Gesellschaft, die Alterung von Unternehmen und die größere Verbreitung von Großunternehmen, aber auch Regulierungen wie etwa Mindestlohnvorschriften. Negativ betroffen seien vor allem Männer, jüngere Arbeiter und Menschen ohne gute Ausbildung. Davis und Haltiwanger argumentieren, dass ohne mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt dauerhaft hohe Beschäftigung in Amerika nicht mehr zurückkehren werde.
So überzeugend die Analyse ist, so sehr scheint dem europäischen Beobachter dennoch, dass die Flexibilität, Beweglichkeit und Dynamik am amerikanischen Arbeitsmarkt immer noch weit größer sind als in Europa. Was folgt aus der Analyse für die Geldpolitik? Es ist eine indirekte Mahnung an die Federal Reserve, dass viele Beschäftigungsprobleme nicht von ihr, sondern von anderen politischen Akteuren gelöst werden müssen. Und es ist eine implizite Mahnung an die Fed, zurückhaltender zu agieren: Je geringer Flexibilität und Wettbewerb am Arbeitsmarkt, desto weniger kann eine Notenbank sich geldpolitische Experimente mit allen damit verbundenen Inflationsrisiken leisten.
Der Fortschritt frisst seine Kinder nicht
Die übliche Angst vor dem technischen Fortschritt ist, dass Roboter und Maschinen uns die Arbeit wegnähmen. Falsch, befindet der Ökonom David Autor. Er macht aber auf ein anderes Phänomen aufmerksam: der technische Fortschritt und die Automatisierung führen zu einer Polarisierung am Arbeitsmarkt. Mittlere Arbeitergruppen werden ausgedünnt. Die Arbeit konzentriert sich am unteren Ende bei wenig gebildeten Arbeitern, die nicht durch Maschinen ersetzt werden können, und am oberen Ende bei den gut Ausgebildeten, deren Fähigkeiten zum abstrakten Denken Maschinen (noch) nicht nachmachen können.
Autor ist zuversichtlich, dass die Fähigkeit der Menschen, komplementär zu Maschinen zu sein, auf Dauer genug Arbeitsplätze für alle erhalten wird und auch die Ausdünnung mittlerer Arbeitsklassen nicht unendlich weitergehen werde. Geldpolitisch leiten sich aus der Analyse keine unmittelbaren Schlüsse ab.
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Wir müssen draußen bleiben – Neues aus Jackson Hole (2)
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