Herr Professor Werner, in einem Beitrag in der F.A.Z. haben Sie vor zwei Jahren schon vorgeschlagen, die Europäische Zentralbank soll den Banken gerade gefährdete Kredite abkaufen, weil das die günstigste Lösung der Krise sei. Demnächst startet sie ein ABS- und Pfandbriefkaufprogramm. Sind Sie zufrieden?
Einerseits ja. Allerdings, sie hätte wie gesagt schon vor zwei Jahren aktiv werden müssen und gezielt die schlechten Kredite kaufen sollen. Statt dessen haben wir mit vielen Milliarden Steuergeld die Banken gerettet, was ziemlich absurd gewesen ist. Der Weg über die Zentralbank wäre viel günstiger gewesen und ist es noch.
Und andererseits?
Ich bin nicht glücklich damit, dass die nun bevorstehenden Käufe an einzelnen Wertpapieren ansetzen. Besser wäre es, die Notenbank kaufte je nach Bank ganz spezifisch die schlechten Kredite auf. Das wäre wirkungsvoller und würde die Institute schneller wieder gesund machen. Und zwar sollte sie womöglich auch zum Nominalwert kaufen, das würde den Instituten am meisten helfen.
Also sogar zu möglicherweise viel höherem Preis als gerade am Markt dafür zu erzielen wäre?
Ja.
Was bringt das den Banken?
Es würde ihnen einen Gewinn bringen, den sie einsetzen könnten, um ihre Kapitalbasis zu stärken. Die Banken würden saniert werden ohne Verwendung von Steuergelder, und sie könnten dann wieder Kredite für produktive Zwecke, insbesondere an kleine und mittelständische Unternehmen vergeben. Im Gegenzug würde ihnen Auflagen gemacht für ihre Kreditvergabe.
Zu den Auflagen kommen wir später. Zunächst einmal: Für die Notenbank bedeutet das große Risiken, wenn sie mit den gekauften Krediten Verluste macht. Und dafür hafte letztlich ich als deutscher Steuerzahler.
Wenn Banken vom Staat saniert werden, wie dies bei der Commerzbank und anderen Banken passiert ist, dann zahlen wir Steuerzahler. Wenn es die Zentralbank tut, dann nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie hierbei zur Kasse gebeten werden, ist praktisch Null. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Welche?
Erstens muss die Notenbank nicht so bilanzieren wie eine Geschäftsbank. Sie kann Wertpapiere lange, auch bis zum Laufzeitende in nicht selten vielen Jahren, zum Nominalwert bilanzieren. Solange sie das tut, entsteht ihr überhaupt kein Verlust aus dieser Sache. Die Bank of England hat dafür eine eigene Zweckgesellschaft gegründet, deren Anteile immer zum Nominalwert auf der Zentralbankbilanz stehen.
Zweitens?
Zweitens bedeutet eine Abschreibung auf ein Wertpapier noch lange nicht, dass die Notenbank insgesamt einen Verlust erzielt. Dafür sind ihre gesamten Wertpapiergeschäfte maßgeblich, von denen jede Zentralbank kontinuierlich viele durchführt. Und drittens bedeutet sogar ein Zentralbank-Verlust nicht, dass irgendein Steuerzahler zur Kasse gebeten würde. Da müsste schon das ganze Eigenkapital aufgezehrt sein uns selbst dann ist die Sache nicht klar. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass die Aufgabe der Zentralbanken es nicht ist, Profite zu erwirtschaften – das wäre zu einfach: dann brauchte sie nur Geld zu drucken. Wenn Sie eine Lizenz zum Gelddrucken hätten, könnten Sie auch leicht Gewinne produzieren. Aus dem selben Grund sind theoretisch buchbare Verluste von Zentralbanken keine echten Verluste.
Ein Beispiel bitte.
Wenn die Zentralbank notleidende Kredite für 100 aufkauft, obwohl sie nur 20 Wert sind, macht sie nicht 80 Verlust, sondern 20 Gewinn: sie erhält etwas im Wert von 20, doch muss sie dafür keine echte Leistung aufbringen, hat also keine echten Kosten. Die echte Aufgabe der Zentralbanken ist die Bankenpolitik, da die Banken die Geldmenge erzeugen. Dass Sie also in diesem Falle zur Kasse gebeten werden, ist ausgeschlossen – und in der Geschichte der Zentralbanken praktisch nicht vorgekommen.
Einflussreiche deutsche Ökonomen wie Hans-Werner Sinn sehen das anders.
Sie bestehen darauf, dass Zentralbanken konservativ agieren – und das ist richtig. Leider geht es hier nun um eine Zentralbank, welche diese guten Vorsätze bereits vor zehn Jahren in den Wind schrieb, und 30 Prozent Kreditwachstum in Irland, Portugal, Spanien und Griechenland über Jahre zuließ – also keine konservative Zentralbank. Und da muss man manchmal robustere Methoden anwenden, um derartig schwerwiegende – obwohl absehbare – Fehler auszumerzen. Ich warnte bereits 2003 in meinem Buch Princes of the Yen davor.
Wenn die EZB den Banken gerade ihre schlechten Kredite abkauft und sie also aus der Haftung für die damit eingegangenen Risiken entlässt, ist das geradezu ein Freifahrtschein dafür, wieder zu wenig Vorsicht walten zu lassen, Stichwort Moral Hazard.
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Die EZB sollte das wie zu Beginn gesagt auch nicht ohne Gegenleistung tun. Klar muss sein, dass eine Bank nur diese Erleichterung bekommt gegen harte Bedingungen.
Welche sind das?
Sie muss akzeptieren, dass die EZB erstens ihre Geschäfte überwacht und zweitens bereit sein, ihr Gebaren auf die elementare Aufgabe zu konzentrieren, die Banken in einer Marktwirtschaft haben.
Nämlich?
Die Bereitstellung von Krediten für Investitionen.
Welche Folgen hätte das gegenüber dem, was die Banken heute tun?
Sie würden keine Kredite mehr vergeben etwa für den dann gehebelten Kauf von Wertpapieren und auch nicht für Konsumzwecke, denn beides steigert am Ende nicht unsere reale Wirtschaftsleistung.
Wäre so eine Regulierung praktisch überhaupt möglich?
Natürlich. Durch diese Kreditlenkungspolitik erzielte Japan sein Wirtschaftswunder, wurde die kleine Insel Taiwan ein Wirtschaftsgigant, eroberte Korea die Weltmärkte und wurde China schließlich eine globale Wirtschaftsmacht, die der USA den Rang abläuft. Was wir aber immerhin bei der EZB heute sehen, ist, dass sich der Gedanke, den ich 1992 formulierte, dass wir vor allem Kredite für Investitionen brauchen und nicht für irgendwelche anderen Zwecke, nun ja auch in der Politik der EZB spiegelt. Die neuen TLTRO-Langfristkredite sind ja, wenn auch nicht ganz streng, an die Kreditvergabe an mittelständische Unternehmen gebunden. Übrigens lohnt es sich dabei auch, den weit verbreiteten Mythos aufzuklären, dass die Zentralbank den Banken Geld gibt, welches diese dann weiterreichen: Das stimmt nicht. Geld erschaffen die Geschäftsbanken selbst, indem sie Kredit vergeben. Die Notenbanken haben darauf zumindest mit ihren traditionellen Instrumenten viel weniger Einfluss als viele denken.
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Richard Werner hat einen Lehrstuhl an der britischen University of Southampton und viele Veröffentlichungen zur Geldpolitik und zum internationalen Banking. Er arbeitet lange Jahre in Japan und gilt als Erfinder des “Quantitative Easing”, wenngleich sein in den neunziger Jahren erdachtes Instrument nicht so hätte eingesetzte werden sollen, wie das viele Notenbanken infolge der Finanzkrise getan haben.
Frühere Beiträge aus der Reihe Gespräche mit Ökonomen:
1. Rüdiger Bachmann (RWTH Aachen) über DSGE-Modelle in der Makroökonomik
2. Daron Acemoglu (MIT) über die Anwendung seiner Institutionenökonomik auf die Eurokrise
3. Carl Christian von Weizsäcker (Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern) über die Begründung sehr niedriger Zinsen durch die Kapitaltheorie
4. Axel Ockenfels (Universität Köln) über die Grenzen der experimentellen Ökonomik
5. Raghuram Rajan (University of Chicago) über Exzesse der Geldpolitik und holistische Finanzmarktregulierung
6. Thomas Piketty (Paris School of Economics) über seine Bewunderung des Kapitalismus
7. Alvin Roth (Stanford University) über Märkte als menschliche Artefakte