Die gerade in Deutschland verbreitete Inflationsfurcht ist schon mehrfach Thema in FAZIT gewesen, zum Beispiel in unserem “Planeten-Beitrag” oder in einer Beschreibung der widersprüchlichen geldpolitischen Analysen liberaler Ökonomen. In einem Überblick über Inflationstheorien hatten wir vor rund zwei Jahren die Vermutung geäußert, dass Inflation solange kein ernsthaftes Thema sein wird, wie die private Kredittätigkeit nicht deutlich zunimmt.
In einer neuen Arbeit konstatiert Stefan Schneider, Ökonom bei der Deutschen Bank, dass eine ausgeprägte Inflationsfurcht von Beginn an unbegründet war: “Seit Beginn der europäischen Staatsschuldenkrise war offensichtlich, dass die konjunkturellen Auswirkungen sowie die durch die Krise ausgelösten angebotsseitigen Reformen einen erheblichen Abwärtsdruck auf die Inflationsrate in der Eurozone auslösen würden, und dies ungeachtet der Vorhersagen der Schwarzseher, die davon ausgingen, dass die in einem solchen Ausmaß noch nie da gewesene Lockerung der Geldpolitik die Inflation in allen großen Volkswirtschaften kräftig anheizen würde.”
Nun hätte man denken können, dass vielleicht zumindest in Deutschland die Inflationsrate in den vergangenen Jahren spürbar zugelegt hätte, denn anders als zum Beispiel in Spanien oder Italien ging die deutsche Wirtschaft nicht durch eine Krise und besonders der Arbeitsmarkt ist in Deutschland sehr stark, was eigentlich deutliche Lohnerhöhungen und in der Folge Erhöhungen von Preisen der Güter und Dienstleistungen zur Folge hätte haben können. Aber warum haben Preise und Löhne in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht spürbar zugelegt?
Schneider schreibt: “Wichtige Gründe sind kulturelle Faktoren und sogar individuelle Charaktereigenschaften, die zu einer hohen Inflationsaversion führen und damit zum Entstehen der speziellen deutschen Institutionen beigetragen haben. Im Kern scheint die deutsche Gesellschaft mit Verteilungskonflikten und Zeitinkonsistenzproblemen besser umzugehen als viele andere Länder.”
Daraus folgt nach Ansicht des Ökonomen: “Nahezu alle die Inflationsneigung beeinflussenden Faktoren haben in Deutschland eine Ausprägung, die für eine hohe Inflationsaversion spricht. In zwei Schlüsselbereichen für die Inflationsneigung – dem Kreditprozess und der Lohnbildung – finden wir quantitative Evidenz für die begrenzte Inflationsanfälligkeit Deutschlands.”
Berechnungen führen Schneider vor allem zu zwei wichtigen und institutionell begründeten Schlussfolgerungen:
– Erstens ist die Gefahr gering, dass in Deutschland die Kredittätigkeit der Banken und Sparkassen aus dem Ruder läuft. Schneider verweist auf den hohen Marktanteil von Sparkassen und Genossenschaftsbanken, deren Geschäftsmodelle empfindlich gegenüber schnellen Anstiegen der Inflationsrate sei.
– Zweitens sorgt die Verfassung des deutschen Arbeitsmarkts – eine enge Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Gewerkschaften in einer mittelständisch geprägten Wirtschaft – für eine insgesamt zurückhaltende Lohnpolitik.