Der Rückgang der Renditen von Staatsanleihen setzt sich fort: Fünfjährige Bundesanleihen haben eine negative Rendite. Zehnjährige japanische Papiere bringen nur noch 0,28 Prozent. Fünf Gründe für ein globales Phänomen.
Unaufhaltsam fallen rund um den Globus die Renditen von Staatsanleihen. Derzeit steht wieder der Euroraum im Mittelpunkt des Interesses, wo die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen mit 0,44 Prozent ein historisches Tief erreichte. Der Rückgang reicht aber weit über den Euroraum hinaus. In der Schweiz ist die Rendite zehnjährige Papiere mit bis auf 0,14 Prozent und in Japan auf bis zu 0,28 Prozent gesunken. Trotz einer kräftig wachsenden Wirtschaft fiel in den Vereinigten Staaten die Rendite zehnjähriger Staatspapiere erstmals seit mehreren Monaten wieder unter die Marke von 2 Prozent. In Australien bringen Zehnjährige nur mehr 2,71 Prozent. Dies wäre eine hohe Rendite für deutsche Verhältnisse, aber für Australien ist es der niedrigste Wert seit Jahrzehnten. Für den globalen Rückgang der Renditen lassen sich fünf Gründe anführen.
1. Sehr niedrige Inflation
Ein wesentlicher Grund für die sehr niedrigen Renditen der Staatsanleihen sind die im historischen Kontext außergewöhnlich niedrigen Inflationsraten, die angesichts des stark rückläufigen Ölpreises in den kommenden Monaten noch weiter nachgeben dürften. In vielen Ländern Europas befinden sich die aktuellen Inflationsraten leicht unter oder leicht über null Prozent – für den Euroraum insgesamt beläuft sich die erste Schätzung für den Dezember 2014 auf minus 0,2 Prozent. Sehr niedrige Inflation ist in Europa nicht auf den Euroraum beschränkt, sie findet sich auch in der Schweiz, in Skandinavien und in Teilen Osteuropas.
Aber auch in Ländern mit einer kräftiger wachsenden Wirtschaft und deutlich niedrigerer Arbeitslosigkeit stellt sich bis heute keine Inflationsdynamik ein. Dies lässt sich unter anderem in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in Australien beobachten. Alleine durch den Ölpreis lässt sich diese Entwicklung nicht erklären; in alternden Gesellschaften dürfte auch die Demographie eine die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit die Inflation hemmende Rolle spielen. Die vor allem in London und New York verbreitete Ansicht, Kontinentaleuropa drohe ein „japanisches Szenario“ mit lange Zeit Inflationsraten von nahe oder unter Null, drückt derzeit die europäischen Renditen immer weiter nach unten. (Ein Sonderfall ist Griechenland, wo die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen erstmals seit Herbst 2012 wieder über 10 Prozent beträgt.)
Hinzu tritt, dass die inflationsfördernde Wirkung einer aggressiven Geldpolitik von vielen Fachleuten überschätzt worden ist. Eine aktuelle Studie dreier Ökonomen aus der Fed zur amerikanischen Geldpolitik der vergangenen Jahre – einer der Autoren ist der deutsche Ökonom Thomas Laubach, der Chefberater der Fed-Führung in geldpolitischen Fragen wird – kommt zu dem Schluss, dass sie die Inflationsrate um einen halben Prozentpunkt erhöhen dürfte, aber dieser Effekt erst im Jahre 2016 vollständig sichtbar sein werde. Aus diesem Grund nehmen bei Marktteilnehmern Zweifel zu, dass es der Europäischen Zentralbank mit dem geplanten Programm zum Ankauf von Staatsanleihen gelingen könnte, die Inflationsrate in absehbarer Zeit deutlich anzuschieben. Anleihenkäufe durch Zentralbanken verknappen zwar das Angebot an Staatspapieren und unterstützen den Preisauftrieb für diese Titel, aber die Wirkungen auf das Preisniveau von Gütern und Dienstleistungen sind weniger klar.
2. Die große Ersparnisschwemme
Als der damalige Fed-Vorsitzende Ben Bernanke vor fast zehn Jahren den schon damals beobachtbaren Rückgang der Renditen auf Anleihen mit einer Schwemme von Ersparnissen erklärte, die nicht zuletzt aus Schwellenländern auf die Finanzmärkte der Industrienationen strömten und dort die Nachfrage nach Anleihen trieben, war diese Erklärung sehr umstritten. Kritik kam vor allem von Anhängern der These, die fallenden Anleihenrenditen seien in erster Linie das Ergebnis einer verfehlten Geldpolitik. Heute ist die These einer großen Ersparnisschwemme, für die zu wenig Nachfrage zur Finanzierung von Sachinvestitionen existiert, zwar nicht allgemein anerkannt, aber auch nicht länger exotisch. So hat die Deutsche Bank kürzlich beschrieben, wie ein sehr starker Ersparnisüberschuss im Euroraum auf die internationalen Kapitalmärkte strömt, dort die Renditen von Anleihen drückt und zur Abwertung des Euro beiträgt.
3. Suche nach sicheren Anlagen
In den vergangenen Jahren haben sich die Ratings für zahlreiche Staatsanleihen verschlechtert, so dass manche Ökonomen und Marktteilnehmer über einen Mangel an sehr sicheren Kapitalanlagen räsonnieren. Aber auch viele Staatsanleihen mit nicht mehr erstklassiger Bonität werden von Marktteilnehmern als im Vergleich sichere Anlagen geschätzt. Sehr wahrscheinlich hat die Geldpolitik der vergangenen Jahre dazu beigetragen, die Renditeunterschiede zwischen Staatsanleihen mit sehr guter und weniger guter Bonität einzuebnen. Kritiker sagen, damit befeuere die Geldpolitik die Unterschätzung von Risiken durch private Anleger.
Ein zweiter Gedanke bricht sich allmählich Bahn. Es wird zwar viel über hohe Staatsverschuldungen in den Industrienationen diskutiert und Länder wie Griechenland oder Japan weisen tatsächlich Schuldenniveaus aus, die Fragen nach ihrer langfristigen Tragbarkeit aufwerfen. Aber ein Blick auf den großen Schuldenaufbau der vergangenen vier Jahrzehnte belegt, dass in vielen Industrienationen die private Verschuldung sehr viel stärker gewachsen ist als die staatliche Verschuldung. Insofern mögen aus Sicht vieler Anleger staatliche Schulden immer noch sicherer aussehen als private Schulden. Das Phänomen der stark zunehmenden privaten Verschuldung ist auch in Deutschland von Ökonomen, die einseitig auf die Staatsverschuldung geschaut haben, unterschätzt worden.
Der Sicherheitsaspekt spielt in Zeiten wachsender politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit eine erhebliche Rolle, wenn besonders Aktien als zunehmend hoch bewertet und damit riskant erscheinen. In solchen Fällen nimmt gewöhnlich die Nachfrage nach Staatsanleihen zu – unter anderem, weil die Kursschwankungen dieser Papiere meist geringer sind als die Kursschwankungen von Aktien.
4. Liquidität ist Trumpf
Staatsanleihen besonders großer Länder besitzen einen weiteren Vorteil: Sie sind – auch und gerade in Krisen – leichter handelbar als fast alle anderen Finanzprodukte und vor allem sind sie in der Regel schneller und leichter handelbar als Unternehmensanleihen. In der Fachsprache: Staatsanleihen sind besonders liquide. Für dieses hohe Maß an Liquidität sind viele Anleger bereit, auf Rendite zu verzichten. Ihre Liquidität gestattet es den Staatsanleihen, an den Finanzmärkten schnell und ohne großen Aufwand und Kosten als Pfand für viele andere Geschäfte zwischen Banken und anderen Finanzhäusern zu dienen. Auf diese Weise sind Staatsanleihen nützlich, auch wenn sie keine unmittelbare Rendite mehr bringen.
5. Regulierung begünstigt Staatstitel
Schließlich profitieren Staatsanleihen von allerlei Bevorzugungen. Banken, die solche Papiere kaufen, müssen dafür kein Eigenkapital vorhalten. Zentralbanken wie die Fed, die Bank of England oder die Bank von Japan haben in den vergangenen Jahren große Bestände an Staatsanleihen gekauft. Die EZB hat Geschäftsbanken günstig Kredite gegeben, die von diesen zumindest zum Teil für Käufe von Staatsanleihen verwendet worden sind. Die Schweizerische Nationalbank legt die von ihr in den vergangenen Jahren angekauften Fremdwährungen überwiegend in Staatspapieren an. Britische Pensionskassen haben eine große Nachfrage nach dreißigjährigen Anleihen, die der Staat bereitwillig anbietet, aber von privaten Unternehmen kaum aufgelegt werden. Die regulatorische Bevorzugung von Staatspapieren wird zwar häufig beklagt, steht aber nicht vor ihrem Ende, weil der Staat zwei Hüte trägt: Er ist Regulator ebenso wie Emittent von Staatsanleihen.