
Mit Staatsbankrotten haben die Griechen in ihrer Geschichte einige Erfahrung gemacht – und auch mit internationalen Finanzaufsehern. Seit der Unabhängigkeit 1830 nach mehr als vierhundertjähriger Besatzung durch die Osmanen sind die Staatsfinanzen chronisch zerrüttet. Ein halbes Dutzend Mal musste Griechenland seine Zahlungsunfähigkeit erklären.
Mit den Worten “Bedauerlicherweise sind wir bankrott” leistete Ministerpräsident Charilaos Trikoupis 1893 den Offenbarungseid. Vier Jahre später – eine Niederlage gegen die Türken hatte die Staatskasse noch mehr belastet – sprangen die europäischen Großmächte ein. Sie garantierten eine Anleihe, verlangten aber zugleich Reformen und die Kontrolle über die Rückzahlung. Eine internationale Kommission wachte darüber. Im Grund war es ein Ausschuss wie heute die Troika, die von den Griechen inzwischen wie eine Besatzungsmacht empfunden wird.
Was heute kaum noch einer weiß: Auch im neunzehnten Jahrhundert bestand schon einmal eine Währungsunion – die Lateinische Münzunion -, die durch die Aufnahme Griechenlands, aber auch innere Konstruktionsfehler in Schwierigkeiten geriet. Warum man die Griechen nur in diese Währungsunion hereingelassen hatte, fragten damals viele. Der amerikanische Ökonom Henry Parker Willis urteilte 1901: “Es ist schwierig, zu verstehen, warum der Beitritt Griechenlands zur Münzunion gewünscht oder erlaubt wurde.” Das Land sei in einem bemitleidenswerten Zustand, wirtschaftlich marode, von politischem Streit gelähmt und finanziell verrottet. Immer offensichtlicher verstieß Griechenland gegen die Fairness-Regeln der Lateinischen Münzunion. Es druckte Papier-Drachmen und tauschte sie gegen die Gold- und Silbermünzen anderer Mitglieder der Währungsunion. Diese waren über die Athener Tricks zur Kaschierung des Bankrotts zunehmend verärgert. Im Jahr 1908 schlossen sie Griechenland schließlich vorübergehend aus der Münzunion aus.
“In keinem Fall ist Griechenland ein wünschenswertes Mitglied der Währungsunion”, hatte Henry Parker Willis geschrieben. Genau hundert Jahre später wurde Griechenland in die aktuelle Euro-Währungsunion aufgenommen – ein denkbar schlechtes Omen. Dabei hatten die beteiligten Politiker – damals wie heute – hochfliegende Erwartungen bezüglich der Währungsunionen. Im Fall der 1865 gegründeten Münzunion ging die Initiative von Frankreich aus. Ihr Vordenker, der Ökonom und Vizepräsident des Staatsrats Felix Esquirou de Parieu, betonte nicht nur die Vorteile, die der Wegfall von Wechselkurs- und Spekulationsrisiken sowie Umtauschkosten dem Handel bringen würde. Er sah die Münzunion als Vorstufe zu einer “europäischen Union” mit einer “europäischen Kommission” als politischer Leitung. Weniger deutlich sagte er, dass die Union indirekt Frankreichs machtpolitischen Interessen dienen sollte. Napoleon III. indes sprach offen darüber, die Münzunion als Instrument zur Erlangung der “Hegemonie über Kontinentaleuropa” einzusetzen. Das klappte aber nicht.
Die Ausgabe von Papiergeld war nicht geregelt
Gegründet wurde die Münzunion im Dezember 1865 mit einem Vertrag zwischen Frankreich, Belgien, der Schweiz und Italien. Diese Staaten vereinbarten feste Wechselkurse zwischen ihren Gold- und Silbermünzen. Wenig später wurde Griechenland Mitglied. Zunächst lobten viele Beobachter den Währungsverbund. Der “Economist” etwa schrieb, es gebe “keinen Grund, warum jedes Land eine separate Währung haben sollte”. Reisende zeigten sich erfreut, dass nun lästiges Geldwechseln unnötig war. Kaum einer erkannte schon zu Beginn die Konstruktionsfehler der Münzunion. Zum einen war problematisch, dass Länder mit sehr unterschiedlicher Finanz- und Wirtschaftskraft zusammengespannt wurden. Die Union umfasste recht weit industrialisierte Länder im Norden und rückständige agrarische Länder im Süden. Asymmetrische Schocks lösten Finanz- und Handelskrisen aus. Zudem kam der sogenannte bimetallische Standard mit einem Tauschverhältnis von Gold zu Silber von 1 zu 15,5 unter Druck, nachdem Goldfunde am Ende des neunzehnten Jahrhunderts die relativen Preise verschoben. Das relativ günstiger werdende Gold verdrängte das Silber.
Das gravierendste Problem war aber, dass die Ausgabe von Papiergeld in den Verträgen nicht geregelt war. Italien war nach seinen Einigungskriegen in finanziellen Schwierigkeiten und inflationierte seine Papiergeldausgabe, die es dann gegen Münzen tauschte. Das so geschaffene Geld strömte in andere Länder und bewirkte auch in Frankreich und Belgien eine Inflation. Die Banque de France suspendierte schließlich für mehrere Jahre die Einlösung der Banknoten in Metallmünzen. Die Griechen tricksten weiter ungeniert mit Papiergeld, bis sie 1908 ausgeschlossen wurden. Zwei Jahre später durften sie zwar wieder eintreten. Doch mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs war die Münzunion praktisch erledigt. Zum Schluss gab es permanente Konflikte über die Regeln, ähnlich dem heutigen Streit über den Stabilitätspakt. Dass der Vertrag über die Münzunion trotzdem nicht früher gekündigt wurde, lag daran, dass die Länder – wie bei einer zerrütteten Ehe – die hohen Kosten der Auflösung scheuten. Nach langem Siechtum wurde die Lateinische Münzunion 1926 endgültig aufgelöst.
Was kann man aus der Geschichte lernen? Ökonomen und Historiker sind sich weitgehend einig: Zwischenstaatliche Währungsunionen sind instabil, weil souveräne Staaten sich den nötigen Regeln nicht beugen wollen oder können. “Alle Monetären Unionen, die keine vollständigen Politischen Unionen waren, blieben temporäre Arrangements. Sie lösten sich auf”, warnte die Ökonomin Theresia Theurl in einer Studie schon zu der Zeit, als der Maastricht-Vertrag noch nicht ratifiziert war. Der Historiker Dominik Geppert zieht aus dem Scheitern der Lateinischen Münzunion mehrere Lehren. Erstens sei es naiv zu glauben, dass eine gemeinsame Währung machtpolitische Rivalitäten beende. Zweitens sei es problematisch, wenn eine Währungsunion keine geordnete Ausstiegsoption enthalte. Und drittens seien die zwischenstaatlichen Arrangements fragil und nicht unbedingt glaubwürdig. Geschichte wiederholt sich zwar nicht unbedingt, aber die Parallelen der heutigen Euro-Krise zum Scheitern der Lateinischen Münzunion sind doch auffällig.
Literatur:
Theresia Theurl: Eine gemeinsame Währung für Europa. 12 Lehren aus der Geschichte. Österreichischer Studienverlag 1992
Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro. Europa Verlag 2013
Währung nicht so wichtig
Die Währung ist eigentlich nicht so wichtig, es kommt auf die Wirtschaftskraft an, und das ist das Problem der Griechen. Und übrigens: nicht nur die Griechen hatten Probleme mit ihren Währungen oder einer staatlichen Überschuldung. Deutschland z.B. kam im ähnlichen Zeitraum von der Goldmark zur Reichsmark, der Rentenmark, der (neuen) Reichsmark, der Deutschen Mark und der Mark Deutscher Notenbank zum Euro – auch keine schlechte Geschichte. Wie viele Ganz- oder Beinahe-Pleiten dazwischen lagen, ist Ansichtssache. Nach dem ersten Weltkrieg war man bankrott, nach dem zweiten sowieso, und letztlich ist auch die DDR wirtschaftlich am Ende gewesen. Aus der Geschichte der Währungen alleine kann man keine Schlüsse ziehen, und, wie die deutsche Geschichte zeigt, man kann auch Währungen mehrmals austauschen.
"Alle Monetären Unionen, ...
… die keine vollständigen Politischen Unionen waren, blieben temporäre Arrangements. Sie lösten sich auf”.
Da wir in der Euro-Zone von einer politischen Union weiter entfernt sind denn je, ist die einzige Frage, die sich stellt: Wieviel Steuergelder wird uns der Euro noch bis zu seiner Auflösung kosten?
Ist wirklich und wahrhaftig Ihr Wunsch, die augenblickliche Situation dadurch zu entschärfen,
in dem Sie die geschichtliche Verhaltensmuster zur Rate ziehen? Herrlich, bei Ihrer Geschichte? Wollen wir die letzten 2.000 Jahre mal vergleichen? Was soll das?? Sind Ihnen sämtliche Argumente ausgegangen, weil jetzt der Kipppunkt sich immer mehr nährt? Und die Wahrheit der Oligarchie in Europa klar wird? Wenn Sie schon vergleichen, schon damals wurden Sie von Österreich, Russland, Frankreich und Großbritannien einfach mit Ihrer Verantwortung allein gelassen. Bei allen, von ihren aus dem Kontext, rausgerissenen Argumentationen, vergessen Sie die Umstände nicht. Erst recht nicht die Zwangsmigrationen, die in großem Ausmaß stattfand, bei der weder die ethnische Zugehörigkeit noch die Sprache nur die Religion! Der Flüchtlingsanteil in GR betrug ein VIERTEL der Bevölkerung! Es könnte, wenn Südeuropa bald diese Hetzte satthat, HIER dieses nochmals stattfinden, dann wollen wir mal sehen, wie sie mit dieser Herausforderungen klarkommen! Wenn Sie endlich die „Früchte“ ihrer “Politik” Einmischung, in anderen Völker, bewältigen müssen! Jetzt sind sie schon überfordert, siehe XGIDA. Dann könnten die in Südeuropa mal den Korridor öffnen, den Flüchtlingen einen Ticket in der Hand drücken ist immer noch billiger, da sie selbst ihre eigene Bevölkerung kaum ernähren können, ihnen eine Gute Fahrt nach Deutschland, Frankreich usw. wünschen. Nur diese Flüchtlinge haben eine andere Mentalität mit ihrer Wut klarzukommen, erst recht wenn ihre Religion eine andere Auslegung von Respekt hat! Und erst recht noch mit der psychischen Verfassung, die mit ihren Verlusten von Würde, menschlicher und materiellen Werten herrührt! Was wollen Sie herbei beschwören???
Wie der italienische Kommunist Antonio Gramsci
es einmal so treffend formulierte: Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler.
Dank an Philip Plickert für den informativen Beitrag.
Auch ich habe erst vor einiger Zeit zum ersten Mal von der Lateinischen Münzunion gelesen. Allerdings nicht in einem redaktionellen Text, sondern in einem Leserbrief. Insofern hätte ich mir gewünscht, am besten schon in den 90er Jahren, spätestens jedoch bei den Diskussionen über die ersten Hilfsprogramme für Griechenland ausführlich darüber informiert zu werden.
Aber besser spät als nie.
Wir Historiker schreiben uns die Finger wund...
…aber gelesen werden wir scheinbar nicht, oder nur höchst selektiv. Oder wenn es um “Hitlers Frauen” und ähnlichen Schmonzes geht.
Der Druck zur Einfuehrung des Euro
wird zwar offiziell als von vor allem Deutschland und Frankreich ausgeuebt dargestellt. Die wirklichen Betreiber sitzen aber in den Vorstandsetagen globaler Unternehmen mit Sitz in oder ausserhalb der EU…
Nur Griechenland ?
Wie ist es mit der Mehrheit (nach Bevölkerung) der nicht wettbewerbsfähigen de-facto Pleitestaaten wie Frankreich (kein Wachstum, 13 % Arbeitslose…), Italien (Rezession seit 3 J., Arbeitslosigkeit 14%…), Spanien (Arbeitslosigkeit >25%…). Diese kommen ohne weitere künstliche Schwächung der €-Lira nicht weiter. Warum sollte es anders sein als zu den DM-Zeiten, wo diese Länder ihre Währungen im Schnitt um >3% p.a. jeweils abgewertet haben.
Die €-Währungskatastrophe, die die Deutschen wohl zu 90% (minus AfD) hinnehmen, besteht nun darin, dass Deutschland jetzt massiv in den Sog der in konstanter Abwertung geübten Pleiteländer geraten ist.
Da der Grexit und andere -Exits politisch nicht denkbar sind, geht es wohl so weiter bis mehrere deutsche Generationen an das Niveau der Pleiteländer angeglichen worden sind.
Dann geht das Friedensprojekt wie die Rakete ab – die Deuitschen leben dann wie am Mittelmeer (alles all inclusive) !
Zahlung und Rückzahlung
Was man wohl auch lernen kann ist,
– dass man nur demjenigen Geld leihen darf, den man zur Rückzahlung für bereit und in der Lage hält.
– dass auch Staaten insolvent werden können.
Und man sollte berücksichtigen, dass nicht immer Schulden sozialisiert werden. Wenngleich es hier wohl, wieder einmal, der Fall war. Wobei es wohl besser gewesen wäre, wenn das Rückzahlungsrisiko bei denen geblieben wäre, die das Geld ungefragt verliehen haben. Aber auch das werden wir noch lernen.
guter, interessanter Artikel !
hat jetzt nichts mit dem Artikel zu tun,
aber ich möchte die FAZ mal loben … eine der wenigen Zeitungen, die ihre Kommentarfunktion noch offen lässt.