Im Zuge umfangreicher Wertpapierkäufe durch die Fed, die Europäische Zentralbank und die Bank of England ist auf beiden Seiten des Atlantiks eine Diskussion über die Folgen eventueller Verluste aus Geschäften einer Zentralbank für die Geldpolitik entstanden. Wir wollen dieses spannende Thema in einer kleinen Serie behandeln und beginnen mit einer Zentralbank, die viele Jahre lang nach traditionellen Kriterien insolvent war und trotzdem in dieser Zeit reüssierte.
Die Zentralbank Tschechiens hat im vergangenen Jahr einen Gewinn erzielt, der es ihr erlaubt, erstmals seit dem Jahresabschluss 2001 wieder ein positives Eigenkapital auszuweisen. Zwischen 2002 und 2014 wies die Zentralbank konstant ein negatives Eigenkapital aus. Das heißt: Sie wäre nach herkömmlichen Kritierien für Geschäftsbanken überschuldet und insolvent gewesen. Da eine Zentralbank jedoch Geld selbst produziert und in ihrem Kerngeschäft profitabel war, befand sie sich nach ihrer eigenen Wahrnehmung nicht in Gefahr, zahlungsunfähig zu werden. Ende 2014 betrug das positive Eigenkapital 26,4 Milliarden Kronen (rund eine Milliarde Euro); Mitte 2008 wurde es mit minus 246 Milliarden Kronen angegeben.
Der Fall Tschechiens ist seit vielen Jahren kontrovers diskutiert worden. Während man sich in Prag angesichts des negativen Eigenkapitals gelassen gab, äußerte sich die Europäische Zentralbank in der Vergangenheit kritisch gegenüber den Kollegen aus Prag. Im Jahre 2010 empfahl die EZB den Tschechen in einem Bericht über die Konvergenz der Geldpolitik, mit Blick auf “finanzielle Unabhängigkeit” für ein positives Eigenkapital zu sorgen. Dahinter verband sich ein Hinweis auf die aus der Währungsgeschichte mehrfach bekannte Situation, dass eine Zentralbank, die vom Staat rekapitalisiert werden muss, in Abhängigkeit von der Regierung geraten kann.
Die Krone ist keine schwache Währung
Die Tschechische Zentralbank reagierte harsch, indem sie die Aufforderung der EZB als “völlig unakzeptabel” bezeichnete und darauf verwies, trotz jahrelangem negativen Eigenkapitals gänzlich unabhängig zu agieren: “Throughout its existence, its capital position has never undermined its independence or limited its decision-making and operational capacity in any way. The CNB is therefore convinced that there can be no doubt about its legal and factual independence. Negative capital presents no problem for the CNB, and the central bank is able to meet its obligations.” Ein Arbeitspapier aus der Tschechischen Zentralbank kam vor wenigen Jahren in einer international angelegten Analyse zu dem Schluss, dass der Zusammenhang zwischen der finanziellen Gesundheit einer Zentralbank und der Inflationsrate trotz Ausnahmen generell gering ist.
Gegen die Resultate der Prager Geldpolitik lässt sich wenig einwenden: Die Inflationsrate ist sehr niedrig und die Krone gilt nicht als Schwachwährung. Sie hat in den vergangenen Jahren zwar leicht gegenüber dem Euro abgewertet, davor aber deutlich an Wert gewonnen. Tschechien ist auch kein Einzelfall einer Zentralbank eines aufstrebenden Schwellenlandes, die trotz negativen Eigenkapitals gut funktioniert hat. In der Fachliteratur wird häufig auf Chile verwiesen, aber es gibt noch andere Beispiele. Dass Eigenkapital in einer Zentralbank eine besondere Rolle spielt, hatte auch der heutige Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Thomas Jordan, vor wenigen Jahren in einem seitdem häufig zitierten Aufsatz herausgestellt: “Zum einen können Zentralbanken nämlich nicht illiquid werden. Dies hat zur Folge, dass eine Zentralbank nicht in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist, wenn ihr Eigenkapital vorübergehend negativ wird. Sie wird auch nicht wie andere Unternehmen dazu gezwungen, Sanierungsmassnahmen einzuleiten oder ihre Bilanz zu deponieren.”
Warum wurde das Eigenkapital der CNB negativ?
Die Zentralbank in Prag wurde in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit wenig Eigenkapital ausgestattet; es bestand in der Bilanz somit nie ein großer Puffer, um Verluste aufzufangen. Eine zweite Eigentümlichkeit besteht aus einem sehr hohen Anteil der Devisenreserven an der Bilanz. Ende 2014 machten Auslandsforderungen mehr als 90 Prozent der Bilanzsumme aus; dagegen sind die Goldbestände sehr gering. Diese Devisenreserven stammen zum Teil aus Interventionen am Devisenmarkt, um eine zu starke Aufwertung der Krone zu verhindern. Aber es existiert auch noch ein Sondereffekt. Im Zuge von Privatisierungen tschechischer Staatsunternehmen wurden Devisenerlöse, die ausländische Erwerber zahlten, von der Zentralbank übernommen.
Die Verluste, die zu einem über mehr als 10 Jahre währenden negativen Eigenkapital führten, stammten ganz überwiegend aus Bewertungsverlusten, die im Zuge einer Aufwertung der Krone auf die erheblichen Devisenreserven in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts anfielen. Diese Verluste übertrafen die Erträge aus diesen Anlagen. Mit anderen Worten: Die Zentralbank machte Verluste als Ergebnis einer Stärke und nicht einer Schwäche der eigenen Währung. In ihrem “Kerngeschäft”, der Finanzierung der in Tschechien tätigen Banken, erzielte die Zentralbank dagegen immer einen Gewinn.
Dies ist auch der Grund, warum die Zentralbank die Verluste aus der Bewertung der Devisenreserven stets als unproblematisch betrachtet hat: Sie verließ sich darauf, dass die Gewinne aus dem Kerngeschäft auf die Dauer wieder für ein positives Eigenkapital sorgen würden. Die Bewertungsverluste wurden hingegen als nicht ungewöhnlicher Begleiteffekt einer wirtschaftlichen Stabilisierung verstanden. So äußerte sich ein Führungsmitglied der Zentralbank im Jahre 2005: “The recent developments are associated with convergence-linked dynamics. With low inflation and a trend of equilibrium real exchange rate appreciation, some nominal exchange rate appreciation must be allowed for. Between 1993 and July 2005, the koruna appreciated in nominal terms against both the euro and the dollar by roughly 15 percent.”
Die Tschechische Zentralbank hat vor wenigen Tagen angekündigt, bis mindestens weit in das kommende Jahr den Wechselkurs als geldpolitisches Instrument einzusetzen. Sie will während dieses Zeitraums darauf achten, dass die Krone gegenüber dem aktuellen Kurs von 27 Kronen für einen Euro nicht aufwertet. Hierzu seien “automatische Interventionen” vorgesehen, heißt es in einer Mitteilung. Umgekehrt würde die Zentralbank eine Abwertung der Krone nicht bekämpfen. Begründet wird diese Haltung mit der aus Sicht der Zentralbank zu niedrigen Inflationsrate von rund null Prozent. In den vergangenen Monaten haben sich zahlreiche Zentralbanken rund um den Globus mit Verweis auf eine zu niedrige Inflationsrate gegen eine zu starke Heimatwährung ausgesprochen. Sollte es der Tschechischen Zentralbank gelingen, eine Aufwertung der Krone zu verhindern, dürften keine weiteren Bewertungsverluste auf die Devisenreserven anfallen.
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Der erste Beitrag unserer Serie behandelt eine Zentralbank, in der es trotz negativen Eigenkapitals gut gegangen ist. Der zweite Beitrag wird einen Fall schildern, in dem es schief gegangen ist.