Paul Romer ist einer der Schöpfer der neuen Wachstumstheorie: Seitdem gilt er als Anwärter auf den Nobelpreis. Dann zog er sich aus dem akademischen Leben weitgehend zurück. Jetzt ist er wieder da – und wirft zwei Nobelpreisträgern, aber auch Thomas Piketty, unseriöses Arbeiten vor.
“Mathiness” – das ist der Ausdruck, den Romer unter anderem den Nobelpreisträgern Robert Lucas und Edward Prescott, aber auch Thomas Piketty, in einem aufsehenerregenden Fachartikel vorwirft und der eine mehrere Monate alte Vorgeschichte besitzt. Romer meint mit “Mathiness” die missbräuchliche Verwendung von Mathematik in ökonomischen Analysen, um unter dem Deckmantel scheinbar neutraler, tatsächlich aber fachlich schlechter Forschungsarbeiten wirtschaftspolitische Positionen zu vertreten. Romers Fachartikel ist hier; auf seiner Homepage hat er hier einen begleitenden Text formuliert.
Um von Anfang an klarzustellen: Romer, der selbst Mathematik studiert hat, geht es nicht um eine generelle Kritik der Verwendung von Mathematik in ökonomischen Analysen – im Gegenteil: Er ist sehr für die Verwendung der Mathematik als “Sprache” in den Wirtschaftswissenschaften. “If the participants in a discussion are committed to science, mathematical theory can encourage a unique clarity and precision in both reasoning and communication. It would be a serious setback for our discipline if economists lose their commitment to careful mathematical reasoning.” Und Romer fokussiert seine Kritik auf die Theorie des wirtschaftlichen Wachstums, also jenen Bereich der ökonomischen Theorie, in dem er unbestreitbar als Fachmann gilt.
Romer unterscheidet scharf zwischen Politik und Wissenschaft. Er hält es für selbstverständlich, dass in politischen Fragen nicht zwingend ein Konsens erzielt wird: “The alternative to science is academic politics, where persistent disagreement is encouraged as a way to create distinctive sub-group identities.” Aber er hält es nicht für selbstverständlich, dass in wissenschaftlichen Fragen kein Konsens erzielt wird – sofern alle Beteiligten seriös arbeiten: “The point of the paper is that if we want economics to be a science, we have to recognize that it is not ok for macroeconomists to hole up in separate camps.”
Einen solchen Dissens sieht er in der modernen Wachstumstheorie mit den Leuten aus Chicago (Lucas) und Minnesota (Prescott) als eine Art Hinterwäldlern, die sich aus ideologischen Gründen der modernen wissenschaftlichen Erkenntnis verweigern. Konkret geht es um die Frage der Mikrofundierung gesamtwirtschaftlicher Analysen 3). In der Frage, was mit Leuten zu geschehen habe, die Ideologie vor Erkenntnis setzen, zeigt sich Romer unversöhnlich, um es vorsichtig zu beschreiben: “The usual way to protect a scientific discussion from the factionalism of academic politics is to exclude people who opt out of the norms of science.”
Seriöses Arbeiten besteht für ihn in Analysen, in denen alle drei “Sprachen” der Wirtschaftswissenschaftler sich zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenfinden: Worte, Mathematik und Empirie. Er führt dann ein Beispiel für seriöses wissenschaftliches und unseriöses politikgetriebenes Arbeiten an. Seriös war Robert Solows berühmte Arbeit über Wachstumstheorie aus den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, weil in ihr Sprache und Mathematik zusammenpassten und sie eine Tür für wichtiges empirisches Arbeiten öffnete. Unseriös waren für ihn die etwa zeitgleich entstandenen Arbeiten von Joan Robinson über Wachstumstheorie.1)
Anschließend begibt sich Romer auf den “Kriegspfad”. Er attackiert nicht nur eine Arbeit, bei der Edward Prescott Co-Autor war, sondern auch eine Arbeit von Robert Lucas2) und einem Co-Autor. Hier erinnert Romer daran, dass er Lucas vor der Veröffentlichung der Arbeit auf einen Fehler in einer mathematischen Ableitung hingewiesen habe, die Arbeit aber trotzdem mit diesem Fehler erschienen sei.
In amerikanischen Blogs hat die Diskussion der Thesen Romers begonnen, so hier bei Noah Smith und bei Brad de Long.
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1) Für dogmenhistorisch erfahrene Leser, die sich an dieser Stelle an die berühmte Kapitalkontroverse unter Beteiligung von Robinson und Solow erinnern, sei ein aktueller Tweet Romers angehängt: “Sorry, but the capital controversies were a waste of time. No relevance then or now.”
2) Lucas war der Betreuer von Romers Doktorarbeit.
3) Im konkreten Fall geht es um die Frage, ob in den Modellen monopolistische Konkurrenz (zum Beispiel als Folge von Patenten) angenommen wird, wie es Romer vertritt, oder ob es möglich ist, vollkommene Konkurrenz zu unterstellen (Lucas). In Tweets von Romer und in de Longs Blogbeitrag wird daran erinnert, dass mit George Stigler einer der früheren Granden Chicagos heftig gegen die Modelle monopolistischer Konkurrenz (Chamberlin/Robinson) gewettert hatte. Sie vermuten, dass Lucas als Chicago-Ökonom in der Tradition Stiglers steht und deshalb nichts von monopolistischer Konkurrenz wissen wolle.