Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

John Nash im Interview: “Die Menschen sind nicht immer rational”

John Nash (1928-2015)© AFPJohn Nash (1928-2015)

Am Samstag ist der Spieltheoretiker und Nobelpreisträger John Nash bei einem Autounfall gestorben. Wir veröffentlichen noch mal ein Interview aus dem Jahr 2010, in dem er sehr offen über sein Leben, spricht, über das Nash-Gleichgewicht – und über seine Krankheit.

Herr Nash, Sie haben viele Jahre an Schizophrenie gelitten. Woran haben Sie das gemerkt?

Das ist von innen nicht so leicht. Sie können sich das vorstellen wie in der Politik: Denken wir mal, es wäre verrückt, Kommunist zu sein. Das würde noch nicht bedeuten, dass sich der Kommunist auch selbst für verrückt hält. Aber die Zeiten ändern sich. Heute gibt es nicht mehr so viele Kommunisten in Russland und anderen Ländern. So hatte auch ich schlechtere und bessere Zeiten. In den besseren habe ich es gemerkt.

Wie äußerten sich die schlechteren Zeiten?

Zum Beispiel so wie jetzt gerade bei meinem Johnny, der mit uns am Tisch sitzt: Er hat ein Notizbuch und einen Stift und schreibt damit irgendetwas auf. Das Gehirn funktioniert nicht mehr so, dass man für seine Arbeit in einer menschlichen Gesellschaft Geld verlangen könnte. Man tut nichts Nützliches.

Sie dachten, Sie bekommen Nachrichten aus dem Weltraum über die “New York Times”.

Ich dachte, ich könnte in Zeitungen Nachrichten entdecken…

Johnny: …das heißt “Bibliomantie”. In Iran haben die Leute vor dieser Tätigkeit Respekt.

Auf solche Ideen kommt man normalerweise nicht. Ist Ihnen das nicht komisch vorgekommen?

Sie wollen ja in diesem Moment gerade nicht so denken wie die anderen, die vernünftigen und rationalen. Deshalb ist das für Sie kein Gegenargument.

Es heißt, Sie hätten auch einmal Asyl in der DDR beantragt.

Nein, ich habe die DDR zwar besucht, aber kein Asyl beantragt. Es gab da gewisse Unterschiede im Lebensstandard gegenüber den Vereinigten Staaten. Aber in Luxemburg habe ich versucht, die amerikanische Staatsbürgerschaft zurückzugeben. Dann hätte ich keine Staatsangehörigkeit mehr gehabt. Solche Menschen nennt man “Apatries”.

Während Sie krank waren, wurden Sie zum Star.

Zum Star? Einige Leute dachten, ich sei tot. Ich war zwar während meiner Geisteskrankheit noch in das Weltregister der Mathematiker eingetragen, aber ich war nicht mehr Mitglied der Amerikanischen Mathematischen Gesellschaft. Deshalb dachten einige Leute in den 70ern und 80ern, ich sei schon gestorben. Aber das Ansehen für meine frühere Arbeit wuchs, zum Beispiel in einigen Feldern der Mathematik, wegen meiner früheren Arbeit.

Haben Sie dieses Ansehen mitbekommen?

Ich hatte dafür schon einige Anzeichen. Mein Name tauchte häufig in volkswirtschaftlichen Schriften auf. Ich glaube, das hat mein Denken verändert und geholfen, mich wieder zu Verstand zu bringen.

Wie hat Ihnen das geholfen?

Ein verrückter Mensch trifft unbewusst ständig eine Entscheidung: Funktioniert er wie ein rationaler Mensch oder wie ein irrationaler? Von einem rationalen Menschen wird erwartet, dass er für sein Geld arbeitet. Denken Sie an einen Mönch in einem Kloster, der vor allem betet. Die meisten Menschen halten den Mönch nicht für verrückt, aber es gibt doch eine Parallele: Weder der Verrückte noch der Mönch erfüllen eine Funktion für die weltliche Wirtschaft.

Und dass Sie Ihren Namen gelesen haben, half Ihnen bei der Entscheidung zur Rationalität?

Immerhin ist das Leben nicht so schlecht, wenn man ein gewisses Maß an Anerkennung bekommt. Ich wollte etwas Besseres sein, gerne auch ein missachteter Prophet.

Sie sagten einmal, Sie würden Kaiser der Antarktis.

Das war nur so dahingesagt. Natürlich dachte ich nicht, ich würde das wirklich. Aber um diesen Titel gab es eben keine Konkurrenz, und das wäre eine sehr bedeutende Position gewesen.

Später haben Sie tatsächlich einen sehr bedeutenden Titel bekommen: Sie sind Nobelpreisträger. Weil Sie analysiert haben, wie Firmen und Leute miteinander umgehen. Sie haben zum Beispiel erklärt, warum Firmen im Wettbewerb die Preise senken.

Ja, für beide Firmen wäre ein höherer Preis gut, weil sie dann mehr Gewinn machen würden. Aber für jede einzelne ist es gut, wenn sie den Preis ein bisschen senkt, weil sie dann mehr Kunden gewinnt. Wenn die Firmen zusammenarbeiten, können sie das aushebeln und die Preise hochhalten.

Das ist dann ein Kartell, und das ist verboten.

Nicht alle. Viele Ölländer sind zum Beispiel in der Opec organisiert. Aber auch die funktioniert nicht effizient. Es gibt viele andere Ölländer, zum Beispiel Norwegen, die die Preise wiederum drücken.

Das alles haben Sie in Ihrer Idee erklärt, die jetzt immer Nash-Gleichgewicht heißt: Die Situation ändert sich nicht mehr, wenn niemand mehr einen Anreiz hat, etwas zu ändern – in diesem Fall: wenn die Preise tief sind.

Das ist wahr.

Mit Ihrer Erkenntnis kann man noch viel mehr anfangen. Die UMTS-Auktion basierte auf Ihrer Idee. Und Biologen verstehen, warum manche Eidechsen aggressiver sind als andere – auch das ist ein Gleichgewicht in der Evolution.

Ich weiß gar nicht, wo das Gleichgewicht heute überall eingesetzt wird. Aber es gibt viele Situationen, die ich kenne.

Auch den Kalten Krieg kann man so erklären: Abrüstung wäre besser gewesen, aber anfangs musste jeder aufrüsten, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Nein, diese Erklärung gab es schon früher. Hier sind ja nur zwei Akteure beteiligt, Amerika und die Sowjetunion. Dazu braucht man kein Nash-Gleichgewicht. Aber diese Situation ist ein Spezialfall davon.

Das Nash-Gleichgewicht gilt vor allem für Leute, die sehr rational sind.

Auch das ist wichtig. Man kann nicht immer nur von Rationalität ausgehen. Politiker zum Beispiel sind auch nicht immer rational. Sie müssen auch nicht rationaler sein als die Wähler. Ein Politiker kann sogar sehr durchdacht handeln, selbst wenn er irrational wirkt. Denn er weiß, dass seine Wähler etwas wollen. Also lässt er es so aussehen, als wolle er das Gleiche – auch wenn er weiß, dass das irrational ist.

Sind die Wähler irrational?

Natürlich. Man kann nicht alles lernen und nicht alles wissen. Deshalb haben wir in der Politik ein repräsentatives System. Die Menschen, die die amerikanische Verfassung ausgearbeitet haben, dachten zum Beispiel an sehr viel Bildung im Senat. Ursprünglich wurden die Senatoren von den Regierungen der Bundesstaaten ausgewählt, aber das wurde später geändert. Menschen sind einfach nicht immer rational.

Ihre wissenschaftliche Methode heißt “Spieltheorie”. Und Sie haben sogar ein Spiel erfunden, das man im Laden kaufen kann.

Ja! Es ist ein Brettspiel. An der Princeton-Universität, wo ich es erfunden habe, nannten es alle “Nash”. Ich habe mit einigen anderen daran gearbeitet, ein Freund von mir hat das Brett gemacht. Später haben wir aber festgestellt, dass jemand in Dänemark ein ähnliches Spiel erfunden hatte. Er hat es “Hex” genannt, und unter diesem Namen ist es jetzt bekannt.

Gewinnen Sie Ihr eigenes Spiel oft?

Ich glaube, in einigen Fällen gibt es eine einfache Gewinnstrategie. Ich konnte sogar beweisen, dass es im Prinzip geht: Derjenige, der zuerst zieht, kann immer gewinnen, wenn er richtig spielt. Nur wie das geht, habe ich noch nicht festgestellt.

Wenn nicht mal Sie das schaffen, haben andere Leute wohl wenig Chancen. Sie galten als Genie, schon als Sie Ihr Studium in Princeton begonnen haben.

Ein Professor, der mich schon kannte, hatte mir eine Empfehlung geschrieben. Den Brief selbst kenne ich gar nicht. Aber der Professor selbst hat mir gesagt, er habe ein mathematisches Genie gemeint – also nicht ein Genie im umfassenden Sinn, so wie wenn man sagt: Einstein war ein Genie – der war auch ein guter Musiker.

Immerhin haben Sie es mit Einstein aufgenommen. Als Student haben Sie ihn in Princeton kennengelernt und ihm eine neue physikalische Theorie vorgeschlagen. Das war ganz schön frech.

Ja, ein bisschen. Ich schlug eine Theorie vor, in der es um die Ausdehnung des Universums geht. Andere Leute hatten in der Zwischenzeit eine ähnliche Idee vorgeschlagen.

Aber Einstein war darüber nicht so froh?

Er sagte: Sie müssen noch sehr viel über Physik lernen, bevor Sie mit mir diskutieren.

Ihr Leben ist in einem Buch beschrieben und verfilmt worden, beide Male unter dem Titel “A Beautiful Mind”.

Ich habe damals nicht kooperiert. Die Autorin wollte eine Biographie schreiben, aber wenn ich da mitgemacht hätte, wäre es eine Autobiographie geworden. Und das wollte ich nicht. Später entstand die Idee zu einem Film, weil meine Geisteskrankheit interessant genug für einen Film war. Und dafür brauchen Sie in Amerika meine Zustimmung.

Was hat Ihnen besser gefallen: das Buch oder der Film?

Das Buch habe ich gar nicht richtig gelesen. Aber ich weiß, dass manche Details nicht stimmen. Auch den Film sehe ich nicht gerne an, aber ich konnte sehen, dass er gut gemacht war. Er hat immerhin vier Oscars bekommen, und die Beteiligten haben hinterher noch viele gute Filme gemacht.

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