Die Staats- und Regierungschefs der Siebenergruppe haben sich auf Schloss Elmau ein hehres Ziel gesetzt. Bis Ende des Jahrhunderts sollen die G-7-Staaten auf fossile Brennstoffe – Kohle, Öl und Gas – verzichten, um die Erde nicht zu warm werden zu lassen. Doch schon in wenigen Jahren werden diejenigen, die das große Versprechen gegeben haben, nicht mehr im Amt sein. Niemand wird sie zur Rechenschaft ziehen können, wenn das Ziel vielleicht um 2080 verfehlt wird. Oder falls sich 2065 herausstellen sollte, dass die Klimatheorien falsch sind und im Kampf gegen die Erderwärmung viel Geld ohne Nutzen versenkt wurde. Entscheidung und Handlung auf der einen sowie Kosten und Nutzen auf der anderen Seite klaffen auseinander.
Mangelnde Übereinstimmung zwischen einer Entscheidung und ihren Folgen sehen Ökonomen üblicherweise als Fehlsteuerung im Markt. Zum Beispiel, wenn der Manager eines Unternehmens auf sein eigenes Wohlergehen achtet und das Wohl der Aktionäre vergisst. Oder wenn ein Unternehmen seine Abwässer in den Fluss leitet und vergisst, dass die Angler nur noch verseuchte Fischer fangen können. Und wenn Autofahrer darüber hinwegsehen, dass sie vielleicht das Weltklima schädigen. In solchen Fälle sprechen Ökonomen von externen Effekten, die vom Entscheidenden nicht berücksichtigt werden. Wenn Politiker in diese Falle tappen, sprechen sie von strategischer Vision.
Die Ökonomenzunft hat sich der Frage der externen Effekte oder Externalitäten schrittweise genähert. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass private und soziale, gesellschaftliche Kosten auseinanderfallen können. Diese Idee wird mit Arthur Cecil Pigou verbunden, einem der Väter der modernen Wohlfahrtsökonomie. Wenn Paul übersieht, dass sein Rasenmähen den Mittagsschlaf von Fritz stört, wird er den Rasen zu oft in der Mittagszeit mähen. Aber was ist „zu oft“? Ökonomen definieren das mit einschüchternden Formeln und Gleichgewichten, anhand von Grenznutzen und Grenzkosten. Im Kern geht es immer darum, das „zu oft“ an einem fiktiven gesellschaftlichen Optimum zu messen.
Externe Effekt als Marktversagen
Pigou beschreibt solche Externalitäten als Marktversagen. Die Lösung soll der Staat bringen und mit einer Steuer private und soziale Kosten in Übereinstimmung bringen. Paul muss zahlen, wenn er den Rasen am Mittag mäht, und wird deshalb weniger oft den Rasen mähen. Fritz ist zufrieden. Nebenbei erzielt der Staat Einnahmen. Für das optimale Maß des Rasenmähens zur Mittagszeit spielt das keine Rolle. Doch wenn die Regierung mit dem Geld Unfug anstellt, kann die scheinbare Lösung des Marktversagens sich für die Gesellschaft netto als nachteilig erweisen.
Die Pigou-Analyse geht in beide Richtungen, in die der sozialen Kosten und in die des sozialen Nutzens. Regierungen begründen beim näheren Hinsehen viele Staatstätigkeiten mit Externalitäten à la Pigou. Da wird postuliert, dass mehr Bildung nicht nur den Schülern und Studenten diene, sondern auch der Gesellschaft. Paul berücksichtige bei der Länge und Qualität der Ausbildung nur, wie viel Geld er später verdienen kann, nicht seinen positiven Beitrag zur Gesellschaft. In Umkehrung der Pigou-Steuer rechtfertigen Politiker es so als eine Art Pigou-Subvention, dass sie die Kosten des Studiums bis zum Nullpreis verbilligen.
Außerhalb der Modellwelten lässt sich mit diesem Argument aber auch fordern, dass die Politik aufhören sollte, höhere Einkommen mit höheren Steuersätzen zu belegen. Wenn Studierenden später mehr von ihrem Einkommen bleibt, haben sie mehr Anreiz, länger und besser zu studieren. Dann braucht es keine Subventionen des Studiums mehr. So argumentiert aber keine Regierung. Pigous Analyse der Externalitäten ist staatsfreundlich und rechtfertigt viele Eingriffe eines starken Staats.
Zufrieden ohne Staat
Die marktliberale Gegenbewegung verbindet sich mit dem britischen Wirtschaftswissenschaftler Ronald Coase. Er brachte die Ökonomen auf die Fährte, dass nicht Externalitäten, sondern unzureichend definierte Eigentumsrechte der Kern des Problems sein könnten. Was wäre, wenn Fritz zustimmen müsste, wenn Paul mittags den Rasen mähen will? Dann müssten beide verhandeln. Paul könnte an Fritz zahlen, damit er den Rasen mähen darf. Fritz könnte an Paul zahlen, dass er den Rasen nicht mäht. Wer auch immer den anderen entschädigt, beide wären zufrieden – ohne Staat.
Im Gefolge von Coase haben Ökonomen viele Beispiele gefunden, wo scheinbares Marktversagen durch Verhandlungen überwunden wurde. Klassische Beispiele sind Leuchttürme, die über Hafengebühren finanziert wurden, oder Obstbauern, die Bienenzüchter dafür bezahlten, dass sie ihre Völker zur Bestäubung an die Felder bringen. Auch die Idee, zur Reduzierung von Treibhausgasen Unternehmen um eine begrenzte Zahl von Verschmutzungsrechten bieten zu lassen, lehnt sich an Coase an. Dieser selbst aber erkannte, dass die Verhandlungslösung ohne Staat nicht immer funktioniert. Bedingung ist, dass die Verhandlungskosten hinreichend niedrig sind. Wenn nicht nur Paul und Fritz, sondern ganze Gesellschaften unter- oder miteinander verhandeln, dann sind in diesem Denken eben doch Politik oder Justiz gefragt.
Die optimale Rasenmähquote
Der radikalere Angriff auf die Idee des Marktversagens in Pigous Sinn verbindet sich mit der sogenannten österreichischen Schule und Namen wie Ludwig von Mises und Israel Kirzner. Sie betonen, dass Nutzen und Kosten von Entscheidungen nur vom Handelnden selbst bewertet werden können. Wenn Paul den Rasen am Mittag mäht, weiß nur er, wie viel Nutzen ihm das bereitet. Und nur Fritz weiß, wie sehr ihn Pauls Rasenmähen stört. Jeder Versuch der Politik, diese Tätigkeiten am Markt vorbei bewerten zu wollen, um eine Steuer oder eine optimale Rasenmähquote festzusetzen, kann nur zufällig und zeitweise richtig sein.
Der Markt gewinnt in diesem Denken seinen Nutzen nicht als Effizienzmaschine, sondern daraus, dass er freien Menschen die Möglichkeiten lässt, gemäß ihrer eigenen Wertstellung zu entscheiden. Der Markt steuert nicht auf ein Gleichgewicht zu, das ihm die Ökonomen vorgeben, sondern ist ständig in Bewegung. Die Idee, es gebe ein Optimum von Kosten und Nutzen, das die Politik erreichen könnte, verbietet sich damit von selbst. Diese Kritik staatlicher Eingriffe wird allgemein anerkannt, wenn der Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftslenkung erklärt werden soll. Geht es um die staatliche Steuerung des Klimawandels über Jahrzehnte, hat sie den ökonomischen Mainstream bislang nicht erreicht.
Der Text erschien als „Sonntagsökonom” am 14. Juni in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Der Autor auf Twitter, Facebook und Google+.