Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Zinsen sind nicht wegen der Notenbanken niedrig

Auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann nennt schwaches Wirtschaftswachstum und niedrige Inflation als wichtigste Ursachen. Damit steht er nicht alleine.

 

In Deutschland ist die Ansicht verbreitet, die Zinsen für Bankeinlagen und die Renditen für Anleihen so niedrig, weil die Europäische Zentralbank (EZB) sie künstlich niedrig halte. Viele Ökonomen sind dagegen sicher, dass der seit Jahrzehnten beobachtbare Trend zu sehr niedrigen Zinsen wenig bis nichts mit der Geldpolitik zu tun hat, sondern auf einer Kombination aus sehr niedrigem Wirtschaftswachstum und sehr niedriger Inflationsrate beruht. 1) In diesem Sinne hat sich dieser Tage auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann in einer Rede geäußert.

Warum sind in vielen Ländern die Leitzinsen so niedrig und Geldpolitik so expansiv? Weidmann antwortete: „Kurz gefasst liegt der Grund hierfür in der Kombination aus verhaltenen Wachstumsaussichten und einem auf absehbare Zeit gedämpften Inflationsdruck – dies hat letztlich zu einer sehr lockeren Geldpolitik geführt. Folglich sind die ausgesprochen niedrigen Leit- und Kapitalmarktzinsen auch als eine Reaktion auf ökonomische Rahmenbedingungen anzusehen, selbst wenn sich über die Sinnhaftigkeit der konkreten geldpolitischen Maßnahmen im Einzelfall natürlich streiten lässt.“ Und er ergänzte: „Mit anderen Worten: Das Niedrigzinsniveau ist auch ein Symptom, das auf tieferliegende Ursachen zurückzuführen ist. Die maßgebliche Ursache liegt dabei in einer Wachstumsschwäche, nicht nur im Euro-Raum, sondern in vielen entwickelten Regionen der Welt.“ Dagegen erfordere eine dynamisch wachsende Wirtschaft auch höhere Leitzinsen der Notenbank.

Warum ist das Wachstum so schwach?

Weidmann verwies auf den Trend rückläufiger Wachstumsraten in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern, den er unter anderem mit der demografischen Entwicklung begründete: „Gerade die sich ändernde Altersstruktur vieler Volkswirtschaften wird zukünftig noch schwerer auf den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsmöglichkeiten lasten.“ Weidmann erwähnte aber auch andere Hemmnisse für das Wirtschaftswachstum: „Daneben mag es aber auch noch andere Gründe geben, die die Wachstumsaussichten dämpfen. So werden zum Beispiel für die Vereinigten Staaten neben der Alterung der Bevölkerung auch eine nachlassende Qualität der Schul- und Berufsausbildung, die steigende Ungleichheit in der Einkommensverteilung und die wachsenden Staatsschulden genannt.“

Für den Euroraum nannte Weidmann als Hemmnisse zudem auf die sehr hohe Staatsverschuldung sowie, in manchen Ländern, eine hohe Privatverschuldung. „Und auch die Verbesserung des Ausbildungssystems steht zu Recht in einzelnen Euro-Ländern auf der politischen Agenda“, sagte der Bundesbankpräsident, der gleichzeitig betonte, dass keines dieser Wachstumshemmnisse durch eine expansive Geldpolitik aus der Welt geschafft werden könne.

Welche Folgen haben die niedrigen Zinsen?

Mit den Folgen der sehr niedrigen Zinsen im Euroraum haben sich die drei deutschen Ökonomen Ulrich Bindseil, Clemens Domnick und Jörg Zeuner in einer von der Europäischen Zentralbank (EZB) veröffentlichten Untersuchung beschäftigt. Darin wenden sie sich gegen die ebenfalls in Deutschland verbreitete These, die Geldpolitik enteigne die Sparer – diese These ist unter anderem häufig von Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon vertreten worden. Eine solche Vorstellung sei irrig und beruhe auf einer Verwechslung von Nominalzins und Realzins, schreiben die Autoren. Wichtig sei der Realzins, also der um die Inflationsrate bereinigte Zins, auf den die Geldpolitik allenfalls einen kurzfristigen, aber keinen systematischen langfristigen Einfluss habe.

Auch die immer wieder einmal zu hörende Behauptung, die EZB enteigne den deutschen Sparer, während die Deutsche Bundesbank das früher nicht getan habe, ist nicht haltbar: Ausgerechnet die Bundesbank selbst hatte im vergangenen Jahr in einem Beitrag (“Negative reale Verzinsung von Einlagen ist kein neues Phänomen”) darauf verwiesen, dass zu Zeiten der D-Mark der Realzins auf Spareinlagen häufiger negativ war.

In ihrem Beitrag argumentieren die drei Ökonomen im Prinzip ebenso wie Weidmann:  Der Realzins hänge von der Dynamik wirtschaftlichen Wachstums und der damit verbundenen realen Ertragsrate auf Investitionen ab, nicht aber von der Geldpolitik. Der jahrzehntelange Rückgang des Realzinses ist nach dieser Untersuchung auf demografische Faktoren, auf ein geringeres Innovationstempo, auf rigide Arbeitsmärkte und andere Wettbewerbsbeschränkungen sowie auf finanzielle Regulierungen zurückzuführen, die eine Nachfrage nach sicheren Kapitalanlagen begünstigen: “Therefore, the only way to address saver depression (and the implied consumption strike) is to provide savers once again with a perspective of higher economic growth ratesand real interest rates over the relevant long-term horizon.” Und der Sinn der Geldpolitik kann nach Auffassung der drei Ökonomen nicht darin bestehen, die Zinsen über Gebühr zu erhöhen, um Kapitalanleger glücklich zu machen, aber die gesamtwirtschaftliche Stabilität zu riskieren: “The solution is not to temporarily produce high real interest rates on money investments through an arbitrary high monetary policy interest rate, at the price of subsequent deflation and recession.”

Niedrige Zinsen sind weiterhin zu befürchten

In Deutschland stehe zu befürchten, dass ohne eine andere Wirtschaftspolitik das Wirtschaftswachstum sowie der Realzins (und damit der Zins, den der Sparer bei stabilem Geld erwarten kann) niedrig bleiben werde, heißt es. Auf der wirtschaftspolitischen Agenda sollten Anreize für mehr Investitionen, für eine noch höhere Beschäftigung sowie für technischen Fortschritt stehen. Eine Geldpolitik, die sich an das Gebot der Preisstabilität halte, sei nicht in der Lage, den Realzins dauerhaft zu erhöhen. Mit anderen Worten: Wer als Sparer höhere Zinsen wünscht, sollte sich nicht an die EZB wenden, sondern an die Wirtschaftspolitik.

Niedrige kurzfristige Leitzinsen und langfristige Anleiherenditen sind auch in den Vereinigten Staaten zu beobachten. Ökonomen aus der Federal Reserve Bank of New York sind in einer Studie zu dem Schluss gelang, dass der Auslöser für das niedrige Zinsniveau im wirtschaftlichen Verhalten von Unternehmen und Konsumenten zu suchen ist, dem sich die Fed als Notenbank mit der Festlegung ihres kurzfristigen Leitzinsen nur angeschlossen habe.

Die Ökonomen der New York Fed führen an, dass der Realzins in den Vereinigten Staaten zwischen Anfang 2007 und Mitte 2009, also in der Finanzkrise, spektakulär von rund 6 Prozent auf minus 2 Prozent gefallen ist und seitdem sehr langsam wieder steigt. Derzeit dürfte er nahe Null liegen und Mitte 2017 ein Niveau von rund 2 Prozent erreichen. Da der Realzins mit derzeit rund null Prozent etwa auf dem Niveau des Leitzinses der Fed liegt, schließen die Autoren, dass die amerikanische Geldpolitik derzeit keineswegs sehr expansiv sei.

Wir lässt sich die Entwicklung des amerikanischen Realzinses erklären? Wiederum spielt die Geldpolitik keine aktive Rolle. Die Ökonomen der New York Fed verweisen unter anderem auf das sich ändernde Konsumverhalten. In den Jahren bis 2007 hatten die amerikanischen Privathaushalte sehr viel (oft auf Kredit) konsumiert und nur wenig gespart. Dies hatte den Realzins vorübergehend nach oben getrieben, aber mit dem Ausbruch der Finanzkrise nahm die Konsumneigung sehr stark ab. Statt dessen sparten die Haushalte mehr, unter anderem, um ihre Schulden abzubauen. Währenddessen reduzierten die amerikanischen Unternehmen in der Krise nach 2008 ihre Investitionen dramatisch. Diese Kombination aus zunehmender Ersparnis und rückläufiger Investition drückte den Realzins dramatisch. Sein langsamer Anstieg spiegelt die langsame Rückkehr der Investitionstätigkeit in den Vereinigten Staaten wider.

Vor wenigen Monaten hatten andere Ökonomen eine Schätzung des gleichgewichtigen Realzinses, also des Realzinses bei Vollauslastung der Kapazitäten, in den Vereinigten Staaten vorgenommen. Sie waren zu einem Wert zwischen 1 und 2 Prozent gelangt. Wir hatten die Studie in einem FAZIT-Beitrag seinerzeit ausführlich vorgestellt.

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1) Wir haben dieses Thema in FAZIT bereits mehrfach behandelt, zum Beispiel hier.