Es gibt mehrere Vorschläge, wie unser Geldsystem radikal verändert werden könnte. Beispiele sind die Rückkehr zum Edelmetallgeld oder die Beschränkung der Geldschöpfung (“Vollgeld”). Wir holen eine völlig andere, äußerst originelle Idee aus der Versenkung: Das Aktiengeld des Frankfurter Ökonomen Wolfram Engels.1) Und damit schaffen wir unter anderem den Zins ab.
Dieser Beitrag wird sich darauf beschränken, das Konzept einführend zu beschreiben – und das ist schon keine Kleinigkeit.2) Falls Interesse besteht, kann das Thema in weiteren Beiträgen vertieft werden.
Die Suche nach langfristig wertstabilem Geld
Engels’ Beschäftigung mit diesem Thema begann in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts; nicht zufällig einer Zeit mit im Vergleich hohen Inflationsraten. Nach seiner Ansicht war das Papiergeld keine zuverlässige Geldordnung, weil es keine Sicherheit über die zukünftige Wertentwicklung gab. Engels plädierte für eine Geldordnung, die ein auf Jahrzehnte wertsicheres Geld versprach und damit die langfristige Kapitalbildung erleichterte – für Engels die Voraussetzung wirtschaftlichen Wohlstands: “Als ein Teil der Bevölkerung dazu überging, Kapital zur Altersvorsorge anzusammeln, statt sich von den eigenen Kindern ernähren zu lassen, gingen erstens die Geburtenraten zurück, und es entstand zweitens ein Kapitalstock. Der einzelne Arbeitsplatz konnte mit Maschinen ausgestattet werden: Arbeitsproduktivität und Löhne stiegen.”
Die Vorsorge durch Kapitalbildung erfordert ein “verlässliches Bindeglied von Gegenwart und Zukunft”. Engels vertrat die Ansicht, “dass die Menschen weder ihr zukünftiges Geldeinkommen noch ihren realen Konsum planen, sondern ihren sozialen Status”. Als Risiko werde ein Verlust an Sozialstatus empfunden: “Daraus folgt, dass das Band zwischen Gegenwart und Zukunft … eine statusgesicherte Einheit sein sollte.”
Die nächste wesentliche Erkenntnis ist, dass “Konsummöglichkeiten auf dem Wege der Kapitalbildung nur in Form von Sachvermögen in der Zeit transportiert werden – jedenfalls, wenn man die Gesellschaft als ganzes betrachtet.” Denn das Geldvermögen ist (in einer geschlossenen Wirtschaft) Null, weil finanziellen Forderungen finanzielle Verbindlichkeiten entgegen stehen.
An dieser Stelle entwickelt Engels die Verbindung zur Geldordnung: “Eine kapitalistische Gesellschaft als Ganzes kann allenfalls dafür sorgen, dass die Ersparnisse möglichst produktiv angelegt werden, dass die Investitionen gut gemanagt und wirksam überwacht werden., und sie kann dieses Sachvermögen diversifizieren und mobilisieren. Die höchste Stufe dieser Mobilisierung wäre die Transformation von Sachvermögen zum Geld.”
Das ist noch nicht neu, denn auf dieser Basis würde eine Edelmetallwährung funktionieren oder eine Währung, die auf einem Bündel von Rohstoffen beruht. Entscheidend ist für Engels die Art des Sachvermögens, mit dem das Geld unterlegt wird, und da kennt er viel Besseres als Gold und Silber. Er bedient sich bei der modernen Kapitalmarkttheorie 3), die besagt: Es ist aus Gründen der Risikodiversifikation optimal, als Sachvermögen Anteile am sogenannten Marktportfolio zu halten, also am gesamten Sachvermögen einer Volkswirtschaft.4) Der Staat könnte somit Folgendes vorschreiben (Engels schrieb vor der Einführung des Euros): “Eine Deutsche Mark ist der billionste Teil des deutschen Volksvermögens am 1. Januar 1999.” Das hier auf die D-Mark angewandte Prinzip ließe sich prinzipiell auch auf den Euro7) oder jede andere Währung übertragen.
Wie soll das in der Praxis gehen?
Das Sachvermögen besteht aus “Grundstücken, Häusern, Bauernhöfen, Wäldern, Unternehmen, Eisenbahnen etc.”. Offensichtlich ist es unmöglich, den Wert des gesamten Sachvermögens täglich neu zu ermitteln: “Man braucht deshalb eine leicht ermittelbare Näherungsgröße. Wenn es leicht und billig wäre, Realinvestitionen in die Form der Aktiengesellschaft zu kleiden und diese Aktiengesellschaften wieder aufzulösen, dann wäre ein Performance-Index der Aktienkurse eine geeignete Näherungsgröße.” Und damit sind wir beim Aktiengeld: Der Wert des Geldes bemisst sich an der Entwicklung eines repräsentativen Aktienindex, wobei es sich um einen Index handelt, der ausgeschüttete Gewinne wieder in die Kurse einrechnet. Das ist mit der Bezeichnung Performance-Index gemeint. Die Festlegung des Geldwertes geschieht dadurch, dass der Performance-Index konstant gehalten wird.
Das heißt: “Eine Banknote auf 100 Deutsche Mark wäre also ein Investmentanteil an einem Fonds, der das Volksvermögen enthält und dessen Preis unter der Fiktion ermittelt wird, dass alle Erträge reinvestiert wurden.”
Die Tatsache, dass erstens im Performance-Index Ausschüttungen wie Dividenden und Zinsen enthalten sind und zweitens der Wert des Geldes gegenüber dem Index konstant bleibt – das Geld verzinst sich ebenso wie das Sachkapital -, bedeutet auch, dass der Nominalzins unter der Annahme eines Konkurrenzmarktes im Bankwesen in dieser Welt Null ist! Was heutzutage vielen Menschen als Skandal gilt, betrachtete Engels im Verein mit älteren Theoretikern 5) als Auszeichnung: Demnach ist die Qualität des Geldes umso höher, je niedriger der Nominalzins ist und bei einem Nominalzins von Null ist die höchste Qualität des Geldes erreicht!
Und was geschieht bei einem positiven Realzins zum Beispiel als Folge technischen Fortschritts? Er schlägt sich in Form fallender Güterpreise bei konstantem Nominallohn nieder! Engels schrieb: “Der Produktivitätsfortschritt äußert sich also nicht in steigenden Löhnen, Renten etc., sondern in wachsender Kaufkraft konstanter Löhne. Da es nominal keinen Zins gibt, gibt es nominal auch keine Kapitaleinkommen. Die reale Kapitalverzinsung äußert sich ebenfalls in steigender Kaufkraft. Die Quote der Arbeitseinkünfte am Volkseinkommen wird nominal mit 100 Prozent ausgewiesen.” So führt der Produktivitätszuwachs zu einem höheren Reallohn. Auch die Idee, dass sich technischer Fortschritt nicht in höheren Nominallöhnen, sondern in sinkenden Güterpreisen bei konstantem Nominallohn niederschlägt, ist in den Wirtschaftswissenschaften schon sehr lange bekannt, auch wenn sie in den vergangenen Jahrzehnten keine große Rolle spielte.
Als Engels sein Konzept vorstellte, warf es viele Fragen auf. Eine lautete: Wie kann man stabiles Geld durch Bindung an einen Aktienindex erwarten, wenn Aktienkurse stark schwanken? Engels vertrat die Ansicht, dass die hohen Kursausschläge (Volatilität) an den Finanzmärkten vor allem die Folge des Papiergeldes und der aus dem Papiergeld folgenden Geldpolitik sind. Nach Ansicht von Engels sollten Preise von Sachvermögen normalerweise gar nicht stark schwanken, denn der Marktpreis eines Vermögensgutes errechnet sich aus den diskontierten künftigen Erträgen eines Sachvermögensgutes. Wenn die Basis des Geldes aber nicht ein einzelnes Gut wie das Gold, sondern der Sachkapitalbestand einer ganzen Volkswirtschaft ist, können erhebliche kurzfristige Schwankungen nicht erwartet werden.
Währungswettbewerb in staatlichem Rahmen
Angenommen, in einem Land gäbe es im Moment keine Geldordnung und die Menschen dürften eine Geldordnung wählen. Engels war der festen Überzeugung, dass in einem solchen Falle “sein Geld” gewinnen würde. Allerdings ist die Situation künstlich, denn in Ländern existiert gewöhnlich bereits eine Geldordnung und Engels war auch der Ansicht, dass in diesem Falle der “Platzhirsch” einen Vorteil gegenüber einem neuen Wettbewerber besäße. Daher hielt Engels es für notwendig, dass der Staat das Aktiengeld – das Engels nicht so nannte; es finden sich bei ihm für das Konzept Begriffe wie “Assetwährung” oder “Real-asset-Currency” – als Währungsordnung vorschreibt. Ordnungspolitisch hatte Engels mit dieser Rolle des Staates kein Problem – für ihn war Geld wie die Sprache eine Institution, deren Nutzen mit der Zahl der Nutzer stieg. 6) Innerhalb dieses Ordnungsrahmens war er sehr für einen Wettbewerb zwischen privaten Emissionsbanken; von einem Geldmonopolisten hielt er nichts. Geld entsteht, indem Emissionsbanken Anteile am Aktienindex kaufen und dafür Geld ausgeben; im Grunde verhalten sie sich wie Manager eines Indexfonds.
Engels bezeichnete seine Währung als “Standard” und nach seiner Ansicht wäre die Welt eine völlig andere, wenn der Standard schon früh Realität geworden wäre: “Die Geschichtsbücher würden wiederum anders aussehen, hätte man mit dem Marktportfolio gerechnet… In dieser Maßeinheit wäre in der ganzen Geschichte weder Zins noch Gewinn aufgetreten…. Die Ideengeschichte der Wirtschaft wäre freilich völlig anders verlaufen… Kurzum: Der Kapitalismus wäre mit dem Standard als Währungseinheit nicht nur effizienter und rationaler gewesen; er wäre auch als ehrbar erschienen. Vielleicht waren Moses, Aristoteles, Jesus und Mohammed einfach nur die besseren Geldtheoretiker.”
——————————————————————————————————————————–
1) Angemerkt sei, dass ich dieses Konzept vorstelle, um eine Diskussion anzuregen und um, 20 Jahre nach seinem Tode, an Wolfram Engels (1933 bis 1995) zu erinnern. Ich bin jedoch kein Anhänger des Aktiengeldes; ich halte es allerdings auch nicht für abwegiger als Edelmetallgeld oder Vollgeld.
2) Die nachfolgende Darstellung orientiert sich wesentlich an:
– Wolfram Engels: Der Kapitalismus und seine Krisen. Stuttgart 1996 (Alle deutschen Zitate stammen aus diesem Buch.)
– Wolfram Engels: The Optimal Monetary Unit. Frankfurt 1981 (Alle englischen Zitate stammen aus diesem Buch.)
Daneben hatte Engels das Konzept in Fachaufsätzen behandelt. Nach meiner Kenntnis ist keiner dieser Texte frei im Internet erhältlich.
3) Es handelt sich um das – in der Fachwelt – berühmte Preismodell für Kapitalgüter (“Capital Asset Pricing Model” CAPM), für dessen Entwicklung Nobelpreise vergeben wurden und das bis heute zur Grundausrüstung in Vorlesungen über Finanztheorie zählt.
4) Nach Engels lässt sich das Prinzip der Sachkapitalbindung des Geldes bis auf James Steuart (1713 bis 1780) zurückführen.
5) Engels nannte Gottfried Haberler, Albrecht Forstmann und Milton Friedman als Vertreter dieser Auffassung.
6) Nach dieser Sichtweise war es konsequent, sein Geld im Weltmaßstab zu etablieren: “The best conceivable money is a world monopoly money, the unit of which is defined as a constant fraction of the value of the world market portfolio.”
7) Im Falle des Euros käme beispielsweise der 100 Werte umfassende F.A.Z.-Euro (TR)-Index in Frage. TR steht für “total return”.