Herr Bachmann, das große Jahrestreffen der deutschsprachigen Ökonomen findet Anfang September in Münster statt. Was macht denn der Verein für Socialpolitik sonst noch so?
Was vielleicht nicht alle Leser wissen, ist, dass der Verein für Socialpolitik neben seiner großen Jahrestagung zahlreiche Fachausschüsse zu verschiedenen Teildisziplinen der VWL, etwa der Theorie, der Außenwirtschaftsökonomik, der Geldtheorie und –politik, und eben auch der Makroökonomik hat, in denen sich idealerweise die besten deutschen oder jedenfalls deutschsprachigen Ökonomen eines bestimmten Teilfaches einmal im Jahr treffen, um sich gegenseitig ihre aktuellen Papiere zu präsentieren. Der makroökonomische Ausschuss, zu dem ich heuer das erste Mal eingeladen wurde, hat sich jetzt in Zürich getroffen.
Früher, vor der stärker internationalen Orientierung der deutschsprachigen VWL, war die Mitgliedschaft in einem solchen Fachauschuss der Traum eines jeden jungen Ökonomen!
Ja klar, es entschied sich doch nicht selten die akademische Karriere bei und durch solche Treffen. Hier wurden traditionell zu besetzende Lehrstühle von den großen Platzhirschen auf den Pool der frisch von Ihnen Habilitierten aufgeteilt. Diese Zeit ist – Gott sei Dank – vorbei, ihre überragende Bedeutung dürften die Ausschüsse inzwischen verloren haben, da die jungen deutschen Nachwuchsökonomen, jedenfalls im oberen Drittel, eben nicht nur national vor den nationalen Lordsiegelbewahrern bestehen müssen, sondern international vor den Editoren und Referees der Journale unseres Faches.
Wie ich Sie kenne, konnten Sie es trotzdem gar nicht erwarten, dabei zu sein?
Das stimmt. Ich hatte noch zu meiner Zeit als Assistenzprofessor in Michigan einmal naiverweise angefragt, ob ich denn mitmachen dürfe, einfach aus Interesse heraus und um den Kontakt in die deutsche Szene zu pflegen. Wie ich aus relativ zuverlässigen Quellen erfuhr, wurde das als Affront empfunden, denn eine solche Anfrage, frech und ungehörig, hatte es noch nie gegeben. Man hat dann auch ein paar Jahre lang meine Aufnahme verhindert. Naja, das sind so deutsche Professorennickligkeiten. Eher lustig.
Was ist Ihr Eindruck von dem Treffen in Zürich?
Der Ausschuss hat inzwischen einen neuen Vorsitzenden, den in Zürich forschenden und lehrenden Matthias Hoffmann, der das Treffen hervorragend organisiert hat. Er gehört zu der Generation der exzellenten jungen international orientierten Makroökonomen im deutschsprachigen Raum. Diese Generation zeigt, dass in der deutschen VWL trotz ihrer bisweiligen Bräsigkeit doch was geht. Ich war dieses Jahr zum ersten Mal als Gast dabei und habe inzwischen auch erfahren, dass ich aufgenommen wurde. Ich hoffe, ja ich bin überzeugt, dass Kollege Hoffmann die begonnene Verjüngung konsequent weiterführen und den Ausschuss für Makroökonomik auch zu einem Leuchtturm der Nachwuchsförderung machen wird, was mir natürlich als Nachwuchsbeauftragtem des Vereins für Socialpolitik besonders am Herzen liegt. Eines aber kann ich jetzt schon sagen: Es werden zwar keine Lehrstühle mehr verteilt, aber die Gerüchteküche, wer sich wo beworben hat, wer wo hart verhandelt, wer wo einen Ruf hat, brodelt immer noch, was für mich natürlich als jemand, der die meiste Zeit in den Vereinigten Staaten lebt, sehr interessant ist.
Jetzt mal vom Ökonomen-Gossip zur Forschung. Worüber wurde inhaltlich gesprochen?
Da muss ich natürlich wie immer eine Auswahl treffen, aber ein Papier, das jedenfalls das Potential hat, bei der Beantwortung einer der wichtigen ökonomischen Fragen unserer Zeit – das trendmäßige Sinken der Realzinsen – mitzuhelfen, hat mir besonders gefallen. Dieser empirische Befund ist im Zusammenhang mit der sogenannten säkularen Stagnationsthese, die der amerikanische Ökonom Larry Summers einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt hat, zur Zeit Teil vieler Debatten in unserem Fach. 1)
Die Stagnationstheoretiker haben dabei mehr im Kopf als einen rein konjunkturell bedingten niedrigen Realzins, sondern einen permanent, jedenfalls sehr persistent niedrigen Realzins…
…ja, die Erklärungen reichen dabei von Ideen permanent niedriger Nachfrage, etwa Sättigungsphänomenen bei der Konsumnachfrage, und mangelnder Investitionsnachfrage bei den Unternehmen, etwa durch das Fehlen oder jedenfalls der Verlangsamung des technischen Fortschrittes, bis hin zu einer exogen begründeten Erhöhung der weltweiten Sparneigung, zum Beispiel durch erhöhte politische Unsicherheit. Das kann jeder VWL Student im ersten Semester leicht nachvollziehen: Steigen entweder die erwünschten Ersparnisse in einer Ökonomie oder sinkt die geplante Investitionsnachfrage, dann sinkt der Realzins. Eine der auch heiß diskutierten Erklärungen für niedrige Realzinsen ist der demographische Wandel: In einer älter werdenden Bevölkerung verknappt sich das Arbeitsangebot, was in Standardmodellen eine Erhöhung der Reallöhne und ein Sinken der Kapitalrenditen zur Folge haben wird. Nach dieser Hypothese stehen wir vor einer langen Periode weiter sinkender und niedriger Realzinsen.
Und dafür gibt es nun weitere Indizien?
Ja, hier an diesem Punkt setzt nämlich ein neues Papier von Christian Geppert und Alexander Ludwig „Risky Human Capital, Aging, the Equity Premium, and Welfare“ (vorläufige Version) an, das Kollege Ludwig auf der Tagung präsentierte. Die beiden zeigen in einem sehr komplexen, numerischen und am Computer simulierten sogenannten überlappenden Generationenmodell für die Vereinigten Staaten, welches die Risikosituation der Wirtschaftssubjekte und die daraus resultierenden Konsum- und Sparentscheidungen ebenso wie den demographischen Wandel realistisch abbildet, dass die oben skizzierte Entwicklung genau so eintreten kann: Reallöhne steigen, sowohl sichere Realzinsen als auch die riskanten Aktienrenditen sinken. Und die sicheren Realzinsen sinken sogar mehr als die Aktienrenditen, was die sogenannte Risikoprämie für Aktien erhöht. All diese Entwicklungen führen dann zu massiven Wohlfahrtsverlusten für die zukünftigen Alten, und zu Wohlfahrtsgewinnen für die dann Jungen.
Und das muss zwangsläufig so sein?
Nun ja, diese Entwicklung muss so nicht eintreten, und das ist der eigentlich neue Punkt des Papiers. Wenn nämlich der höhere Reallohn dazu führt, dass die effektive Rendite auf Humankapital sich auch erhöht, dann gibt es wiederum Anreize für die jungen Generationen, ihre Humankapitalinvestitionen und damit in einer Zeit der sich verknappenden Quantität des Faktors Arbeit dessen Qualität zu erhöhen. In einer numerischen Version des Modells kompensiert dieser Humankapitaleffekt sogar fast ganz den Quantitätseffekt mit entsprechend geringen Wohlfahrtsverlusten für zukünftige Renter. Gleichzeitig würde das aber auch bedeuten, dass die sich wandelnde Demographie nur bedingt als Erklärung für einen sinkenden Realzins herhalten kann. Natürlich abstrahiert das Modell wie immer von wichtigen anderen Faktoren, etwa der Anpassung der Sozialpolitiken in Zeiten des demographischen Wandels, und – besonders für die Vereinigten Staaten relevant – zukünftige Immigration und Immigrationspolitik. Aber wie immer muss man irgendwo anfangen, das Thema bleibt jedenfalls spannend.
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Rüdiger Bachmann ist Associate Professor am Department of Economics der University of Notre Dame.
1) Zuletzt hatten wir die These der säkularen Stagnation in FAZIT hier behandelt.
Die bisherigen Ausgaben von Bachmanns Konferenzgeflüster:
3. Was Sie schon immer über Makro wissen wollten
2. Paradoxe Inflation und aufgeregte Nachwuchsforscher
1. Warum Mikrodaten für Makro wichtig sind