Der deutsche Makroökonom Rüdiger Bachmann (University of Notre Dame) über Gespräche mit amerikanischen Ökonomen, Ansichten zu Griechenland und den politischen Aktivismus der Herren Krugman, Stiglitz & Sinn.
Herr Bachmann, Sie haben gerade an einer der wichtigsten Veranstaltungen für Ökonomen teilgenommen: am Summer Institute des National Bureau of Economic Research (NBER) in Massachusetts. Dort treffen sich immer im Sommer zahlreiche Ökonomen, vor allem, aber nicht nur aus den Vereinigten Staaten. Welche Rolle hat Griechenland gespielt?
Offiziell war Griechenland zwar kein Thema, aber natürlich wurde am Rande der Meetings darüber gesprochen. Auch ist Griechenland ein Riesenthema in den hiesigen Blogs.
Wie hat man darüber gesprochen? Gibt es viel Kritik an der Rolle Deutschlands?
Ich würde gerne ein Bild zerstören, das auf beiden Seiten des Atlantiks gepflegt wird. Auf der einen Seite gibt es konservative deutsche Ökonomen und Wirtschaftspolitiker, die sagen: “Wir kämpfen gegen den amerikanischen Einfluss.” Auf der anderen Seite gibt es linke amerikanische Ökonomen, die sagen: “Warum sind die deutschen Ökonomen nur so dumm?” Mir geht es darum zu schildern, dass es auch in den Vereinigten Staaten ein ganzes Kaleidoskop an Meinungen zu Griechenland und zur deutschen Wirtschaftspolitik gibt, vor allem wenn man sich mit noch akademisch arbeitenden Ökonomen unterhält. Es gibt keinen geschlossenen angelsächsischen Block, der sich gegen die deutsche Wirtschaftspolitik wendet. Aber es gibt natürlich Kritik.
Was denken amerikanische Ökonomen über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland und einen Grexit?
Da gibt es viel Skepsis auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Viele würden sagen: Ein Grexit ist möglich, aber man darf nicht zu viel vorher darüber diskutieren, sondern man muss ihn machen. Solange man einen Grexit als Option in der Schwebe hält, wird niemand in Griechenland investieren, denn nach einem Grexit wäre die Investition viel billiger. Diese Grexit-Unsicherheit verursacht wahrscheinlich eine massive Investitionszurückhaltung. Es wird auch schwer sein, die Kapitalverkehrskontrollen abzuschaffen mit dem Grexit als bleibende Möglichkeit. Daher finden sich Ökonomen, die eigentlich gar nicht gegen Schäuble sind, es aber für falsch halten, dass er weiter über einen Grexit redet, weil dies Griechenland wirtschaftlich schadet. Diese Position wird nicht nur von linken Ökonomen vertreten, sondern auch von eher konservativ-libertären Ökonomen wie John Cochrane. Die Tatsache, dass man die Möglichkeit eines Grexit vermutlich nicht mehr aus der Diskussion bekommt, wäre für mich ein zusätzlicher Grund für einen Grexit, weil dessen Möglichkeit sonst als Damoklesschwert immer über Griechenland hängt.
Was hält man von den Bedingungen für weitere Hilfen?
Über die Mehrwertsteuererhöhung gibt es ein weit verbreitetes Kopfschütteln. Warum will man mit einer Mehrwertsteuererhöhung der einzigen funktionierenden Branche, dem Tourismus, das Geschäft erschweren? Das schadet doch eher dem Wirtschaftswachstum, als dass es nützt. Andere halten die Mehrwertsteuererhöhung für unsinnig, weil Griechenland ja schon in der Vergangenheit Schwierigkeiten bei der Steuereintreibung hatte. Sie sehen, man kann ebenso keynesianisch wie politökonomisch gegen die Steuererhöhung argumentieren.
Fühlen sich amerikanische Ökonomen in ihrer früheren Kritik an der Währungsunion bestätigt?
Ja. Es gibt die Einstellung: “I told you so.” Das kommt von einem konservativen Ökonomen wie Martin Feldstein wie von einem linken Ökonomen wie Paul Krugman. Wobei die Begründung unterschiedlich ist. Die Rechten würden sagen: Ihr hättet eine Bankenunion machen müssen. Die Linken würden sagen: Ihr hättet eine Fiskalunion machen müssen. Das Erstaunen ist weit verbreitet, dass es nicht gelingt, diese langfristig wichtigen Themen zu behandeln.
Was meinen Sie?
Ich weiß nicht, ob man eine Fiskalunion braucht. Aber ich bin wie Cochrane der Ansicht, dass die Eurozone einen gemeinsamen Bankenmarkt braucht.
Eine Bankenunion ist in der Entstehung.
Aber geht man konsequent vor? Nehmen wir einmal die Analogie zu den Vereinigten Staaten. Was passiert, wenn Kalifornien zahlungsunfähig wird? Warum fliegt dann das Ganze nicht auseinander? Eine Antwort lautet, dass es keine kalifornischen Staatsbanken gibt. Das heißt, wenn der kalifornische Staat Pleite geht, gehen nicht die Banken Pleite. Das ist anders in Europa – auch da müssten die Banken und der Staat stärker getrennt werden. Man müsste den Banken verbieten, Anleihen des eigenen Staates zu halten und darauf achten, dass die Banken im Laufe der Zeit diversifizierte Staatsanleihenportfolios halten. Ganz abgesehen davon, dass damit auch ein korrupter Staatsfinanzkapitalismus bekämpft würde.
Aber das kalifornische Beispiel erklärt sich nicht alleine mit den Banken.
Nein. Die Fed darf keine kalifornischen Staatsanleihen halten, aber die EZB kauft Anleihen einzelner Staaten der Währungsunion. Man müsste entweder Anleihen der Europäischen Union schaffen, die von der EZB gekauft werden, oder die EZB veranlassen, nur ein Marktportfolio aus Staatsanleihen aller Mitgliedsstaaten zu kaufen. Damit verhindert man Asymmetrie in der Geldpolitik und letztlich Moral Hazard.
Mit Blick auf Kalifornien muss man auch auf das Thema Transferunion kommen, oder?
In den Vereinigten Staaten gibt es auf der Bundesebene Sozialversicherungen, die dafür sorgen, dass die Finanzierung von Sozialleistungen in Kalifornien nicht alleine am kalifornischen Staat hängt. Dementsprechend müsste man sehen, ob man nicht auch in der Währungsunion auf der europäischen Ebene Versicherungslösungen findet. Aber an dieser Stelle kann der Ökonom nur sagen, welche ökonomischen Folgen sich daraus ergäben. Die Entscheidung über Transfers muss politisch beantwortet werden, weil es um Verteilungsprobleme geht, zu denen der Ökonom nichts Normatives sagen sollte. Ein Professor kann als Staatsbürger natürlich gegen eine Transferunion sein, aber als Ökonom darf er sich dazu nicht äußern. Da würde ich auch so manchen konservativen Ökonomen in Deutschland kritisieren.
Zu den moralisierenden Ökonomen mit politischer Agenda auf beiden Seiten des Atlantiks kommen wir später. Lassen Sie uns noch ein wenig bei der ökonomischen Beurteilung Griechenlands bleiben. Was sagen Sie zu der Kritik an einer zu straffen Finanzpolitik?
Man muss wirklich kein Erzkeynesianer sein, um Sparpolitik inmitten einer Rezession nicht für eine gute Idee zu halten. Das sind die Angelsachsen einfach pragmatischer und da gibt es berechtigte Kritik an einer deutschen Überbetonung des Sparens. Diese Kritik wird nicht nur von Ökonomen wie Paul Krugman und Joseph Stiglitz vertreten.
Gibt es weitere Diskussionen über den Umgang mit Griechenland?
Ja, es gibt ja eine Kritik an dem Mikromanagement, also an der Tatsache, dass man Griechenland so viele einzelne Vorschriften macht, anstatt einfach makroökonomische Ziele für den Primärüberschuss und die Leistungsbilanz zu vereinbaren und den Griechen das Wie der Zielerfüllung zu überlassen. Diese Kritik habe ich auch geteilt, aber beim NBER habe ich ein interessantes politökonomisches Gegenargument gehört. Wenn es in einem Land schwere verteilungspolitische Konflikte gibt, kann dies die Politik so lähmen, dass sie die vorgegebenen Ziele nicht von selbst erfüllen würde. In diesem Falle kann ein Mikromanagement hilfreich sein. Man hat oft eine makroökonomische und eine politökonomische Betrachtung, die im Widerspruch zueinander stehen. Man kann das als McKinsey-Effekt bezeichnen: Es gibt Unternehmen, die genau wissen, was zu tun ist, aber man muss Externe wie McKinsey hinzuziehen, weil man wegen interner Konflikte nicht selbst die Lösung beschließt. Es kann also gut sein, dass Schäuble der McKinsey-Mann für Griechenland ist.
Und man sieht nach wie vor bei älteren Ökonomen auf beiden Seiten des Atlantiks die althergebrachte Einseitigkeit. Manche amerikanischen Keynesianer blenden die politikökonomischen Aspekte aus, während manche deutschen Traditionalisten so tun, als hätten sie noch nie etwas von Makroökonomik gehört.
Man muss einen breiten Blick haben. Das gilt auch für das Thema Schuldenschnitt. Alle wissen, dass es aus makroökonomischer Sicht irgendwann einen Schuldenschnitt für Griechenland geben muss, egal, wie man ihn nennt. Und da muss man der deutschen Politik letztlich Volksverdummung vorwerfen, wenn sie so kategorisch zwischen Schuldenschnitt und Umschuldung unterscheidet. Ökonomisch ist das dasselbe, und nur Winkeladvokaten konstruieren da einen Unterschied. Andererseits gibt es auch in Amerika Verständnis für Schäuble, wenn er nicht von Vornherein einem Schuldenschnitt zustimmen will, um nicht gleich sein Druckpotential aufzugeben. Seriös arbeitende akademische Ökonomen sind durchaus bereit, die makroökonomische und die politökonomische Betrachtungsweise zu würdigen.
Manche Medien zitieren gerne sogenannte “Top-Ökonomen”, für die so etwas anscheinend zu kompliziert ist.
Mit dem Begriff “Top-Ökonom” wird ein Missbrauch getrieben. Nehmen sie als Beispiel Giannis Varoufakis, der von manchen deutschen Medien als großartiger Ökonom gefeiert worden ist. Tatsache ist, dass Varoufakis weder bedeutende wissenschaftliche Publikationen hat noch an einer angesehenen Hochschule gelehrt hat. Varoufakis war an der University of Texas at Austin. Die dortige Wirtschaftsfakultät ist in der Tat angesehen, aber Varoufakis hat an der Public Policy School in Austin gelehrt, die weitaus weniger akademisch ist. Aber über solche kleinen, wenn auch wichtigen Details schreiben deutsche Medien überwiegend nicht. Mir gegenüber hat ein renommierter in den USA lehrender griechischer Ökonom Varoufakis als Psychopathen bezeichnet. Oder nehmen Sie diesen offenen Brief von Heiner Flassbeck, Thomas Piketty, Jeffrey D. Sachs, Dani Rodrik und Simon Wren Lewis an Angela Merkel. Nicht alle von denen sind akademisch ausgewiesene Experten in internationalen Finanz- und Währungsfragen…
… Naja, Dani Rodrik gilt nicht gerade als Amateur…
…Gut, aber Sachs hat sich schon lange aus der Forschung zurückgezogen und Piketty profitiert von einem Kultstatus. Und Flassbeck hat akademisch noch nie reüssiert. Dabei teile ich durchaus manche seiner Argumente, aber mich stört, wie er durch die Lande zieht und als einziger zusammen mit den US-Ökonomen, die ihm passen, Recht haben will. Die theoretischen Modelle, mit denen er argumentiert, kennen wir anderen schon auch.
Okay, aber Krugman und Stiglitz haben Nobelpreise. Sind das auch keine Top-Ökonomen?
Natürlich sind das Top-Ökonomen, die ihre Nobelpreise verdient haben. Aber sie sind Top-Ökonomen in bestimmten Teildisziplinen, und vor allem sind sie heute politische Aktivisten. Ich kenne südamerikanische Ökonomen, die man bei uns politisch als Sozialdemokraten bezeichnen würde. Die regen sich darüber auf, dass Stiglitz in Lateinamerika auf Arbeiterkongressen auftritt und dort zur Revolution aufruft. Damit unterläuft Stiglitz die Versuche dortiger Sozialdemokraten, gute Institutionen nach europäischen Maßstäben zu verwirklichen.
Hier in Deutschland wurde kürzlich an eine mehrere Jahre alte Rede von Stiglitz erinnert, in der er die wirtschaftlichen Fortschritte Venezuelas gepriesen hatte.
Ja, genauso wird in Deutschland nicht überall gesehen, dass auch Krugman eine politische Agenda besitzt – ganz unabhängig davon, dass er ein sehr guter Handelsökonom ist und wichtige akademische Arbeiten unter anderem über die Liquiditätsfalle verfasst hat. Es ist unbestritten, dass Krugman ein brillanter Ökonom ist. Aber Krugman ist halt nicht nur Ökonom, und das muss man wissen.
Paul Krugman kritisiert unter anderem das moralisierende Gehabe deutscher Ökonomen.
Ja, aber es gibt auch viele amerikanische Ökonomen, die moralische Fragen für wichtig halten. Zum Beispiel gibt es Unverständnis gegenüber der Ansicht von Krugman und Stiglitz, dass Griechenland sozusagen ein Anrecht auf Kredite habe. Staaten haben ein Recht, Steuern zu erheben, aber Staaten haben kein Recht auf Kredit. Auch amerikanische Ökonomen sind der Ansicht, dass nach all den Erfahrungen aus der Vergangenheit den Griechen nicht zu trauen ist. Einerseits wollen die Griechen Geld und andererseits beschimpfen sie die Kreditgeber. Ich kann als Privatmann auch nicht meine Bank beschimpfen und dann einen Kredit von ihr verlangen. So einfach ist das. Krugman wirft den Deutschen Moralisieren vor, aber er moralisiert selbst.
Was ist denn Ihre Ansicht zu dem Thema Griechenland?
Da komme ich auf Hans-Werner Sinn zurück. Ich teile viele seiner ökonomischen Ansichten, aber auch er vermischt nach meiner Ansicht zu sehr die Rolle des Ökonomen mit der des Politaktivisten. Nur ist Sinn anders als Krugman kein linker, sondern ein konservativer Aktivist.
Wo überschreitet Sinn die Grenze zum politischen Aktivismus?
Wenn er sagt, man dürfe Griechenland nicht noch einmal 80 Milliarden Euro geben. Warum nicht? Das ist letztlich eine politische Frage, insofern begrüße ich, dass er sich vor kurzem hinter den Griechen-Soli von Clemens Fuest gestellt hat. Und er überschreitet sie beim Thema Grexit, wenn er sagt, dass ein Grexit für Griechenland die einzige Möglichkeit ist, um sich wirtschaftlich wieder zu erholen.
Was können aus Ihrer Sicht Ökonomen zu dem Thema sagen?
Meines Erachtens ist es Aufgabe der Ökonomen, für die Politik für jeden der beiden Fälle – Grexit oder Verbleib in der Währungsunion – die jeweils besten Maßnahmen auszuarbeiten. Ich denke, jede der beiden Optionen ist für Griechenland machbar, nur so wie es jetzt gemacht wird, da sind sich alle einig, ist es nicht gut.
Können Sie das kurz skizzieren?
Wir dürfen nicht nur kritisieren, was nicht geht, sondern auch beschreiben, was geht. Natürlich wäre ein Grexit eine schwer wiegende Veränderung. Man müsste wohl humanitäre Hilfe leisten und Griechenland Mittel aus der EU-Förderung zukommen lassen. Außerdem müsste eine Geldpolitik betrieben werden, die dafür sorgt, dass die neue griechische Währung nicht zu stark abwertet. Aber auf Sicht von fünf Jahren könnte sich Griechenland dank höherer Exporte und aufgelöster Unsicherheit wirtschaftlich erholen und dann stellt sich die Frage, ob Griechenland nicht sogar zu einem Vorbild für andere Euro-Länder werden könnte.
Könnte sich Griechenland auch innerhalb des Euros wirtschaftlich erholen?
Natürlich ginge das. Eine zugegebenermaßen radikale Lösung wäre ein Dekret der griechischen Regierung, dass alle nominalen Kontrakte halbiert, aber in Euro, Löhne, Mieten, Kredite, etc. Und dann braucht man Preiskontrollen. So kann man abwerten. Wer es weniger dirigistisch mag: Man müsste eine interne Abwertung herbeiführen, zum Beispiel mit einer temporären Senkung der Lohnsteuern und anderen fiskalischen Arbeitskosten, bei gleichzeitiger Ankündigung, die Mehrwertsteuer in 5 Jahren zu erhöhen. Mit weiteren Steuersenkungen und Bürokratieabbau könnte man private Investitionen anregen und den Tourismus fördern. Und wenn man will, legt man noch ein öffentliches Investitionsprogramm auf. Sollten wir die EU-Gelder nicht viel mehr dafür ausgeben? Das gäbe einen guten Boom in Griechenland. Mir geht es um folgende Botschaft: Aus ökonomischer Sicht kann es für Griechenland mit und ohne Euro aufwärts gehen. Die Entscheidung, ob Griechenland im Euro bleibt, ist jedoch nicht nur eine ökonomische, sondern mindestens ebenso eine eminent politische.
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Das Gespräch führte Gerald Braunberger.
Frühere Beiträge aus der Reihe Gespräche mit Ökonomen:
1. Rüdiger Bachmann (RWTH Aachen) über DSGE-Modelle in der Makroökonomik
2. Daron Acemoglu (MIT) über die Anwendung seiner Institutionenökonomik auf die Eurokrise
3. Carl Christian von Weizsäcker (Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern) über die Begründung sehr niedriger Zinsen durch die Kapitaltheorie
4. Axel Ockenfels (Universität Köln) über die Grenzen der experimentellen Ökonomik
5. Raghuram Rajan (University of Chicago) über Exzesse der Geldpolitik und holistische Finanzmarktregulierung
6. Thomas Piketty (Paris School of Economics) über seine Bewunderung des Kapitalismus
7. Alvin Roth (Stanford University) über Märkte als menschliche Artefakte
8. Richard Werner (University of Southampton) über die Kreditkäufe der EZB