Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Illusionen über Geldpolitik

Über kein ökonomisches Thema kursiert mehr Un- und Halbwissen als über Geldpolitik. Ein Bericht von einer Baustelle.

Ist es nicht paradox? Niemals seit mehr als 100 Jahren haben die Menschen in den Industrienationen in einer Epoche mit einem vergleichbar stabilen Preisniveau gelebt. Die Inflationsraten liegen seit Jahren nahe null Prozent und es sieht nicht so aus, als würde sich dies so bald dramatisch ändern. Gleichzeitig war die Geldpolitik der Zentralbanken niemals so umstritten wie heute; für manche Zeitgenossen sind sie gar die bösen Buben schlechthin. Ein Grund für diese Diskrepanz besteht darin, dass viel scheinbares Wissen über Geldpolitik kursiert, das Gebiet aber sehr kompliziert ist und Fragen aufwirft, für die auch Fachleute keine klaren Antworten besitzen.

Fangen wir ganz vorne an: Das Preisniveau berechnet sich aus einem Korb von Gütern und Dienstleistungen, deren Preise von Unternehmen, Behörden (bei Gebühren) und Vermietern festgelegt wird. Die Zentralbanken betreiben Geldpolitik unter anderem, in dem sie einen sogenannten Leitzins festlegen. Der hat aber mit den Preisen von Gütern und Dienstleistungen direkt nichts zu tun, vielmehr handelt es sich um einen Zins, zu dem Zentralbanken sehr kurzfristig Geld an Geschäftsbanken leihen. Es ist ein weiter und verschlungener Weg von Änderungen der Zinssätze für solche sehr kurzfristigen Kredite unter Banken bis zu den Preisschildern für Güter und Dienstleistungen in der Wirtschaft.

Lange hat man geglaubt, dass die Schaffung von Geld durch die Zentralbank zwingend zu mehr Geld in der Wirtschaft und dann zu einer höheren Inflationsrate führt.1) Dieser Zusammenhang ist, so es ihn gibt, aber nicht eng. Das ist der Grund, warum seit ein paar Jahren gerne über eine „Geldschwemme“ (auf den Konten der Banken bei den Zentralbanken) geredet wird, die meisten Menschen aber keine plötzliche Geldschwemme in ihren Portemonnaies feststellen werden.

Wie kompliziert die Verhältnisse sind, zeigt eine Studie aus den Vereinigten Staaten, die gerade auf dem Treffen von Geldpolitikern und Ökonomen in Jackson Hole vorgestellt wurde. In Amerika rätseln Fachleute, warum die Rezession nach der Finanzkrise nicht wie in der Weltwirtschaftskrise von einem fallenden, sondern von einem leicht steigenden Preisniveau begleitet war. Die Ökonomen Simon Gilchrist und Egon Zakrajsek haben nun etwas Interessantes festgestellt. Viele amerikanische Unternehmen, die in der Krise Geld brauchten, aber keine Kredite der Banken erhielten, haben in ihrer Not die Preise ihrer Produkte erhöht, um die notwendigen Einnahmen zu generieren. Unternehmen, die flüssig waren, erhöhten ihre Preise dagegen nicht. Ein Versagen des Marktes für Kredite durch Geschäftsbanken hat somit das Preisniveau spürbar beeinflusst. Mit der Geldpolitik hatte dies unmittelbar gar nichts zu tun.

Die zweite Illusion ist, dass die Zentralbank über die Festlegung eines sehr kurzfristigen Zinssatzes für Kredite an Banken auch die langfristigen Zinsen zum Beispiel für Bau- und Verbraucherkredite, für Investitionskredite von Firmen oder für Anleihen von Staaten und Unternehmen eng steuern kann. Nach dieser Denkweise kann man einen langfristigen Kredit gedanklich in eine Abfolge kurzfristiger Kredite unterteilen. Der langfristige Zins berechnet sich dann aus den erwarteten kurzfristigen Zinsen und den kurzfristigen Zins legt die Zentralbank fest. Diese sogenannte Erwartungstheorie des Zinses ist ein ehrwürdiges Monument ökonomischen Denkens und sie ist auch nicht völlig falsch. Aber gerade in jüngerer Zeit haben in der Fachwelt die Zweifel an ihr zugenommen, weil die Empirie mit der Theorie nicht übereinstimmt.2) Moderne Theorien der Bildung von Vermögenspreisen berücksichtigen dies auch. Unter Ökonomen wächst derweil die Überzeugung, dass der langfristige Zins stark durch grundlegende wirtschaftliche Größen wie das Wirtschaftswachstum, die Demografie sowie das Spar- und Investitionsverhalten beeinflusst wird. Auch die Zentralbank wirkt auf ihn ein, aber ihr Einfluss ist begrenzt und, schwieriger noch, womöglich im Zeitablauf schwankend. Die Bestimmungsgründe langfristiger Zinsen sind bis heute nicht genau erforscht.

Die dritte Illusion betrifft die Wirksamkeit von Wertpapierkäufen durch Zentralbanken. Hier scheint auf den ersten Blick alles klar: Die Zentralbank tritt als zusätzlicher großer Käufer an den Markt und wegen der zusätzlichen Nachfrage steigen die Preise. Die Europäische Zentralbank kauft seit März in großem Stil Bundesanleihen; allerdings liegen deren Preise heute nicht über, sondern unter dem Stand von März. Ähnlich scheinbar Paradoxes hat man auch bei Anleihekaufprogrammen anderer Zentralbanken beobachtet.

Der Trugschluss liegt in der Annahme, dass die anderen Marktteilnehmer ihr Verhalten nicht ändern, wenn die Zentralbank als Käufer erscheint und die Preise steigert. 3)Es gibt zwar Anleger, die auch bei höheren Preise weiter kaufen, weil sie zum Beispiel aus regulatorischen Gründen Staatsanleihen halten müssen. Aber viele Anleger werden bei höheren Preise nicht einfach weiter kaufen, sondern verkaufen. Wiederum: Der Einfluss der Zentralbank auf das Preisniveau am Anleihemarkt ist nicht Null, aber auf die Preise an Wertpapiermärkten wirken viele Einflüsse ein, die nicht alle von der Geldpolitik kontrolliert werden können. Spekulationsblasen lassen sich, solange sie nicht geplatzt sind, leichter behaupten als belegen. Noch viel unklarer sind Wirkungen, die von höheren Wertpapierpreisen auf die eigentliche Zielgröße der Geldpolitik, das Preisniveau für Güter und Dienstleistungen, ausgehen.

Kehren wir zum Abschluss noch einmal zur Tagung in Jackson Hole zurück, auf der sich Geldpolitiker und Ökonomen auch mit den internationalen Wirkungen der Geldpolitik großer Zentralbanken und hier der Fed befasst haben. Da die Vereinigten Staaten die größte nationale Volkswirtschaft sind und der Dollar daneben die wichtigste Währung für internationale Finanzmarktgeschäfte und Rohstoffkäufe bildet, wirkt die amerikanische Geldpolitik über die Vereinigten Staaten hinaus. Wie weit dieser Einfluss reicht und wie er zu bewerten ist, bleibt Gegenstand vieler Debatten.

Die Ökonomin Gita Gopinath zeigte in einer Arbeit, dass eine Aufwertung des Dollar am Devisenmarkt nur wenig Einfluss auf das Preisniveau in den Vereinigten Staaten hat. Daraus lässt sich der Schluss ableiten, dass die Fed den Außenwert der Währung für ihre Geldpolitik nicht überschätzen sollte. Gopinath zeigte aber auch, dass der Dollar-Wechselkurs für das Preisniveau anderer Länder bedeutsamer ist. Der Gouverneur der Zentralbank Indiens, Raghuram Rajan, hält ebenso wie die Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich den internationalen Einfluss der amerikanischen Geldpolitik für enorm – und für problematisch.

 

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1) In der öffentlichen Debatte wird mit Begriffen wie Geldmenge oder Geldschwemme oft sehr unpräzise umgegangen. Mit der Geldmenge kann das von der Zentralbank geschaffene Geld gemeint sein – von dem aber nur das Bargeld und nicht die von der Zentralbank geschaffenen Einlagen in der Wirtschaft kursieren (“outside money”). Oder aber es ist eine in der Wirtschaft kursierende Geldmenge wie M3 gemeint, die neben dem Bargeld aus Einlagen bei Geschäftsbanken (und wenigen kurzfristigen Wertpapieren) besteht (“inside money”). Die beiden Geldmengen sind nicht identisch. Völlig abwegig ist die in der Öffentlichkeit zu hörende Auffassung, die Geschäftsbanken würden das von der Zentralbank geschaffene Geld (“outside money”) an Unternehmen oder Privatpersonen verleihen (“inside money”). Ähnlich unpräzise wird oft mit dem Begriff Zins hantiert – es gibt viele Zinsen und sie hängen nicht zwingend eng miteinander zusammen.

2) Brunnermeier/Sannikov urteilen mit Blick auf neuere Forschungen drastisch: “Long-run rates are not simply driven by expected future short rates. The expectations hypothesis … fails dramatically.” Und hier ist eine weitere, ganz aktuelle Arbeit: “… (t)his result suggests that neither expectations hypothesis holds for bond yields…”

3) In einem Modell mit perfekten Märkten, in denen Anleger in ihren Entscheidungen völlig frei sind, bleiben Anleihekäufe einer Zentralbank völlig wirkungslos (“Wallace-Neutralität”).

 

Dieser Artikel ist eine leicht überarbeitete Version des “Sonntagsökonom”, der am 30. August 2015 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen ist.