Insiderhandel ist verboten und verpönt. Dabei hätte er Volkswagen retten können.
Das Leben ist manchmal schwer zu verstehen. Wenn ein Informant oder „Whistleblower“ den Behörden von Bilanzfälschungen oder anderen Straftaten in einem Unternehmen berichtet, gilt das in der Öffentlichkeit als ehrenhafte Tat und wird oft auch entsprechend honoriert. Wenn derselbe Informant sein Wissen nutzt und Aktien des Unternehmens verkauft, steht er als Insider-Bösewicht am Pranger. Ist das zu verstehen? Nein.
Auch der Insider leistet der Gesellschaft einen Dienst. Er sorgt dafür, dass der Preis der Aktie sinkt. Damit signalisiert er anderen Anlegern, dass an dem Papier etwas faul ist. Das kann zu unangenehmen Nachfragen an das Management animieren. Der amerikanische Ökonom und Jurist Henry Manne hat diese wünschenswerte Wirkung des Insiderhandels auf die Formel gebracht, dass den Whistleblower nicht braucht, wer den Insiderhandel zulässt. Manne war einer der Väter der ökonomischen Analyse des Rechts („Law and Economics“). Im Januar dieses Jahres starb er im Alter von 86 Jahren.
Manne folgend, muss man die Frage stellen, ob es die Skandale bei Enron oder Worldcom, bei Toshiba oder Volkswagen in dem Ausmaß gegeben hätte, falls der Handel mit Insiderwissen erlaubt gewesen wäre. Die umfassenden Betrügereien im Rechnungswesen und anderswo waren intern vielen Menschen bekannt. Der Anreiz, dieses Wissen zu gewinnbringenden Spekulationen an der Börse zu nutzen, muss groß gewesen sein. Die Aktienkurse hätten die Missetaten wohl Monate, wenn nicht Jahre früher anzeigen können – und andere Anleger von Fehlinvestitionen abhalten können.
Wenn Aktienkurse lügen
Das ist der größte Schaden, der durch das Verbot des Insiderhandels entsteht: Die Aktienkurse lügen dann, wie der Ökonom Donald Boudreaux formuliert. Zumindest lügen sie ohne Insiderhandel länger, als es unvermeidbar ist. Das gilt für Fälle, in denen das Insiderwissen ein Fallen des Aktienkurses erwarten lässt, ebenso wie für die Fälle, in denen das Wissen etwa über eine neue Erfindung den Kurs steigen lässt. Je eher die Informationen den Markt erreichen, desto schneller bewegen sich die Kurse in die richtige Richtung, nach unten wie nach oben.
Das übliche Argument für ein Verbot ist, dass Insiderhandel unfair sei. Anleger ohne Insiderwissen würden benachteiligt. Doch greift dieser Gedanke zu kurz. Jeder langfristig orientierte Anleger stellt sich besser, wenn Marktpreise schneller die Fakten widerspiegeln. Verlieren mag, wer kurzfristig spekuliert und auf die falschen Vermutungen gesetzt hat. Dieses Risiko aber ist dem Markt nicht nur an der Börse eigen. Das kann man nicht dem Insiderhandel anlasten.
Behelfsweise argumentieren die Befürworter des Verbots, der Insiderhandel führe zum Vertrauensverlust und schrecke Anleger vom Aktienmarkt ab. Das freilich muss kein Nachteil sein. Es kann sich sogar als Vorteil erweisen, wenn gerade Kleinanleger nicht nur auf ein Unternehmen wetten und ihr Anlagegeld zur Risikominimierung breiter streuen.
Wer Anleger in die Irre führt
Die Anhänger der Fairnessargumente übersehen, dass ein Verbot des Insiderhandels manche benachteiligt. Wer zählt die Anleger, die im Vertrauen auf die tollen Zahlen von Enron und Toshiba oder die tolle Technik von Volkswagen Geld in diese Unternehmen steckten – und verloren? Wenn Aktienkurse lügen, werden Menschen in die kostenträchtige Irre geführt. Insiderhandel kann dazu führen, dass die Aktienkurse schneller echte Werte anzeigen und kann die Menschen davon abhalten, ihr Geld falsch anzulegen. So gesehen ist das Verbot des Insiderhandels nicht nur ineffizient, sondern unfair.
Das gilt auch deshalb, weil Gesetze gegen Insiderhandel generell nur in einem Bruchteil der Fälle durchsetzbar sind. Insiderinformationen sind wertvoll, wenn man mit dem Insiderwissen Aktien kauft oder verkauft. In diesen Fällen können Strafverfolgungsbehörden vielleicht zeitlich rekonstruieren und nachweisen, dass ein Zusammenhang zwischen Information und Kauf oder Verkauf besteht. Doch ist Insiderwissen auch wertvoll, wenn man mit dem Wissen Aktien behält, anstatt sie zu verkaufen, sozusagen ein Insiderhandel ohne Handel. Diese Fälle sind gar nicht justitiabel, denn in Köpfe hineinschauen können Aufsichtsbehörden nicht. Man darf unwissenschaftlich vermuten, dass die Vorteile des Insiderwissens sich in rund der Hälfte der Fälle auf solchen Insiderhandel ohne Handel beziehen. Wie nennt man ein Gesetz, das höchstens in der Hälfte der Fälle anwendbar ist? Fair?
In Deutschland wird versucht, dem Insiderhandel durch die Ad-hoc-Publizitätspflicht einen Riegel vorzuschieben. Börsengehandelte Unternehmen sind gesetzlich angehalten, relevante Nachrichten schnell zu veröffentlichen. Damit sollen alle Anleger rasch auf denselben Informationsstand gebracht werden. Das hört sich besser an, als es ist. Darf man erwarten, dass Betrügereien wie bei Volkswagen ad hoc schneller aufgedeckt werden? Wohl kaum.
Wenn Insider Unternehmen helfen
Henry Manne hilft auch hier weiter. Ihn trieb über Jahrzehnte ein Rätsel um: Insiderhandel, so wird behauptet, ist für Unternehmen schädlich. Warum aber haben Unternehmen dann vor dem gesetzlichen Verbot den Insiderhandel nicht selbst intern verboten? Ein Grund könnte sein, dass Insiderhandel den Unternehmen eben doch nicht schadet, sondern hilft.
In Großunternehmen kann die Führungsspitze nicht alle Details des Geschäfts kennen. Es fehlt das intime Wissen vor Ort, in den Abteilungen. Insider, die Fehlentwicklungen sehen und an der Börse Aktien des eigenen Unternehmens verkaufen, drücken den Kurs. Das kann, so argumentierte Manne in Anlehnung an Friedrich August von Hayek, für die Führung ein wichtiges Informationssignal sein, um stärker nach dem Rechten zu sehen. Am konkreten Beispiel: Hätten die Techniker bei Volkswagen ihr Wissen über den Pfusch an der Börse zu Geld machen dürfen, hätte der frühere Volkswagenchef Martin Winterkorn vielleicht stärker nachgeforscht, warum der Aktienkurs fällt und was im Unternehmen schiefläuft.
Diesen Anreizüberlegungen mag man entgegenhalten, dass der Zusammenhang vom Insiderhandel über den Aktienkurs zum Verhalten des Vorstandsvorsitzenden reichlich vage ist. Möglicherweise. Wenn das Gehalt des Chefs am Aktienkurs hängt, ist der Zusammenhang aber gar nicht so weit – und er ist vielleicht vielversprechender als das Vertrauen auf Aufsichtsbehörden. Den Betrug bei Volkswagen hatten zumindest die deutschen Behörden nicht entdeckt.
Hinweise:
Henry Manne (1966): Insider Trading and the Stock Market, New York: Free Press.
Henry Manne (2005): „Insider Trading: Hayek, Virtual Markets and the Dog that Did Not Bark“, Journal of Corporation Law, Bd. 31, S. 167–185.
Der Text erschien als „Sonntagsökonom” am 25. Oktober in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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