In 200 Jahren hat Griechenland vier schwere Schuldenkrisen erlebt. Wer auf diese Schuldenkrisen schaut, erkennt erstaunliche Parallelen über einen langen Zeitraum. Eine wichtige Botschaft lautet: Nicht so sehr die absolute Höhe der Staatsverschuldung ist wichtig, sondern ihre Zusammensetzung – Auslandsschulden sind oft viel gefährlicher als Inlandsschulden. Vielleicht sollten moderne Politiker und Ökonomen mehr Zeit in Wirtschaftsgeschichte investieren.
“The fact that the ongoing crisis is very much an external debt crisis has been largely overlooked… The events since 2010 are neither new nor unique in Greek history… The history of Greece is a narrative of debt, default and external dependence…Most surprising are the close similarities in the crisis resolution process.” (Reinhart/Trebisch)
Die griechische Krise wird in Deutschland gerne vor allem als eine Geschichte einer zu hohen Staatsverschuldung im Verein mit einer wettbewerbsschwachen Volkswirtschaft und einem ineffizienten politischen System geschildert. Diese Wahrnehmung ist natürlich nicht falsch, aber sie ist unvollständig. Die griechische Krise – wie auch die gesamte Eurokrise – ist auch und nicht zuletzt ein aus der Finanzgeschichte bekannter Krisentyp, bei dem zunächst ein starker Zustrom ausländischen Kapitals, der sich plötzlich in sein Gegenteil verkehrt, für erhebliche Instabilitäten sorgt. Schon im Jahre 2011 bezeichnete der heutige Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Hyun Song Shin, die Eurokrise als Ausprägung einer schon oft erlebten “Zwillingskrise”, in der als Folge der internationalen Kapitalverflechtungen erste eine Banken- und dann eine Staatsschuldenkrise auftritt.
Ein in der F.A.Z und FAZIT erschienener Beitrag von Brunnermeier/Reis/Braunberger hat diesen Gedankengang auf die Eurokrise angewendet (“Ein Crashkurs für die Eurokrise”). Von den in Deutschland ansässigen Ökonomen hat vor allem Hans-Werner Sinn häufig die Bedeutung des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs für die Eurokrise erwähnt. Aus Theorie und Praxis ist bekannt, dass eine externe Schuldenkrise häufig mit rückläufigem Wirtschaftswachstum, nachlassenden Investitionen, einem zumindest vorübergehenden Ausschluss von den internationalen Kapitalmärkten und hoher Inflation begleitet ist.
Auf die erhebliche Bedeutung internationaler Kapitalströme für die wiederkehrenden Krisen Griechenlands weisen jetzt Carmen Reinhart und Chirstoph Trebesch in einer interessanten Arbeit hin. Ihre Studie zeigt zunächst, dass Griechenland in den vergangenen 200 Jahren sehr häufig Geld im Ausland aufgenommen hat – häufig über internationale Finanzplätze wie London und New York bei privaten Kapitalgebern, gerade in Krisen aber auch bei öffentlichen Geldgebern wie Regierungen fremder Länder. Bedeutsam dabei ist, dass Griechenland diese Kredite in ausländischer Währung bekam – also in Dollar oder Pfund -, was ein besonderes Problem werden kann in Krisen; in einer eigenen Währung könnte ein Land mit eigener Notenbank zumindest nicht gegen seinen Willen pleitegehen (die Alternative zu einer Pleite wäre möglicherweise einen substantielle Inflationsrate).
Zunächst erhielt Griechenland in den Jahren 1824 und 1825 erhebliche Auslandsgelder, die der Finanzierung des Unabhängigkeitskrieges dienten. 1826 war man erstmals zahlungsunfähig. Die zweite Welle fand zwischen 1878 und 1893 statt, als Hellas im Ausland Kredite über mehr als 100 Prozent seines BIP erhielt. Prompt folgte 1893 die zweite Zahlungsunfähigkeit. Zum dritten Mal zahlungsunfähig wurde Hellas im Jahre 1932; damals verließ das Land auch den Goldstandard. Seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ließen sich die alten Muster wieder erkennen und nach der Einführung des Euros kam eine erhebliche Zunahme der privaten Verschuldung im Ausland hinzu. 2010 wurde ein Rettungsprogramm für Griechenland beschlossen; 2012 kam es zu einem Schuldenschnitt.
Reinhart/Trebesch zeigen weitere Parallelen auf. In der Vergangenheit dauerte es oft viele Jahre, bis die Gläubiger einer Lösung der Schuldenkrisen zustimmten, die Griechenland zumindest für einige Zeit wieder Luft zum Atmen gab. So dauerte es nach dem Zahlungsausfall des Jahres 1932 bis zum Jahre 1964, ehe es zu einer Neustrukturierung der Schulden in Verbindung mit einem neuen Zugang zum internationalen Kapitalmarkt kam. Der erste Zahlungsausfall wirkte noch viel länger nach: “In sum, it took Greece more than 100 years to recover from the legacy of its first external loans.”
Eine Kontinuität lässt sich auch beim Verhalten der Gläubiger beobachten: Sie stellten Griechenland in allen vier Fällen “Rettungsgelder” gegen wirtschaftspolitische Auflagen zur Verfügung. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand, Griechenland zu einem Primärüberschuss in seinem Haushalt zu bringen, mit dessen Hilfe sich die Schuldenlast verringern ließ. Die Geschichte hat allerdings eine ernüchternde Lektion parat: “The success of these interventions was often limited.”