Moderne Geldpolitik zielt darauf ab, die Inflationserwartungen der Menschen zu beeinflussen. Das setzt aber voraus, dass die Menschen Ahnung haben, was Geldpolitik überhaupt ist und wo die Inflationsrate liegt. Ein Autorenteam legt erschütternde Ergebnisse vor: Die Leute interessieren sich vor allem für den Benzinpreis und nicht für Geldpolitik.
Neuseeland gilt als eine der großen geldpolitischen Erfolgsgeschichten der vergangenen Jahrzehnte. Die dortige Notenbank verschrieb sich dort Anfang der neunziger Jahre als Pionier einer neuen geldpolitischen Strategie; der direkten Inflationssteuerung. Dabei versucht die Notenbank nicht länger, über die Steuerung eines Zwischenziels wie der Geldmenge indirekt auf die Inflationsrate einzuwirken. Im neuen Konzept setzt die Notenbank einen Leitzins und versucht ansonsten, die Menschen verbal von ihrer Absicht zu überzeugen, nur eine geringe Inflationsrate zu tolerieren. Die dahinterliegende Idee ist: Nach aller Erfahrung wird die künftige Inflationsrate stark von den aktuellen Inflationserwartungen der Menschen beeinflusst. Wenn die Notenbank die Menschen davon überzeugt, dass sie die Inflationsrate niedrig hält, werden die Menschen nur eine niedrige Inflationsrate erwarten und diese Erwartungen wirken sich dann vorteilhaft auf die künftige Inflationsrate aus. In der geldpolitischen Fachsprache heißt dies “forward guidance”. In Neuseeland ist, wie in vielen anderen Ländern, in den vergangenen 25 Jahren die Inflationsrate deutlich zurückgegangen.
Man sollte eigentlich denken, dass dieser Erfolg die Fähigkeit der Notenbank belegt, die Inflationserwartungen der Menschen nachhaltig zu verankern. Das Problem ist aber: Offensichtlich ist dies überhaupt nicht der Fall, wie die Befragung neuseeländischer Manager in den Jahren 2013 bis 2015 durch ein Team von Ökonomen ergibt. Demnach sind viele Manager, denen man im Durchschnitt immerhin ein größeres ökonomisches Wissen als einem privaten Haushalt unterstellen kann, mit der Geldpolitik kaum vertraut – nicht einmal ein Drittel kennt den Namen des Gouverneurs der Notenbank. Zwar trauen sie der Geldpolitik grundsätzlich die Steuerung der Inflationsrate zu, aber ihre eigenen Inflationserwartungen unterscheiden sich zum Teil sehr signifikant von den Inflationserwartungen, die von der Notenbank verankert werden möchten. Denn viele Manager interessieren sich gar nicht für gesamtwirtschaftliche Analysen und Inflationsprojektionen der Notenbank, sondern bilden ihre Inflationserwartungen beim persönlichen Einkauf und hier nicht zuletzt an der Entwicklung der Benzinpreise.
Nun ist Neuseeland fern, aber die Arbeit der vier Ökonomen belegt, dass die Situation in den Vereinigten Staaten nicht viel anders ist. Auch dort ist Wissen über die Geldpolitik kaum verbreitet und es wäre wenig erstaunlich, wenn ähnliche Befragungen in Europa ähnliche Ergebnisse zeitigten. Aktuelle Befragungen zeigen, dass der Ölpreis auch in Europa die Inflationserwartungen sehr stark bestimmt.
Was folgt daraus? Daraus folgt nicht, dass Inflationserwartungen in der Wirtschaft irrelevant sind. Vielmehr gaben viele befragte neuseeländische Manager an, dass sie ihre Entscheidungen über Löhne, Preise und Beschäftigung durch Inflationserwartungen beeinflussen lassen, nur übt halt die Notenbank nur einen geringen Einfluss auf die Inflationserwartungen aus. Daraus ziehen die Autoren der Studie den Schluss, dass sich die Notenbanken um eine bessere Kommunikation bemühen sollten.
Das ist sicherlich ein schöner Vorschlag. Aber das Problem ist fundamentaler Natur. Alle auf rationalen Erwartungen fußenden Theorien und Politikempfehlungen der vergangenen Jahrzehnte beruhen darauf, dass die Menschen zwischen der Veränderung eines Preisniveaus und der Veränderung relativer Preise unterscheiden können. Die Fokussierung vieler Menschen auf einen Güterpreis (Öl/Benzin) als Indikator für die gesamte Inflationsentwicklung belegt, dass diese Grundannahme der Theorie brüchig ist. Daher sollte man sich eher fragen, ob die aktuelle Geldpolitik nicht zu viel Gewicht auf die Steuerung von Inflationserwartungen legt. Wenn die Inflationserwartungen in Europa in erster Linie vom Ölpreis abhängen, werden die Versuche der EZB, durch Anleihekäufe Inflationserwartungen zu verändern, wenig erfolgreich sein. Daran dürfte auch eine Ausweitung/Verlängerung des Ankaufprogramms nichts ändern.