Alle Ökonomen sind davon überzeugt, dass die Geldmenge als Indikator für die Geldpolitik nichts taugt. Alle Ökonomen? Nein, eine von unbeugsamen Querdenkern gepflegte Tradition leistet Widerstand gegen die Vorstellung des Mainstreams und erinnert an Weisheiten Milton Friedmans.
Vor 52 Jahren erschien “A Monetary History of the United States” von Milton Friedman und Anna Schwartz. Das vieldiskutierte Buch ist ein wichtiges Dokument, in dem Friedman seiner Überzeugung Ausdruck verlieh, dass die Wachstumsrate der Geldmenge eine wichtige Bestimmungsgröße der Wachstumsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts ist, das bekanntlich aus dem Preisniveau und dem realen Bruttoinlandsprodukt besteht. Friedman vertrat unter anderem die Ansicht, dass die schwere Krise der amerikanischen Wirtschaft in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts das Ergebnis einer nicht genügend expansiven Geldpolitik gewesen sei.
Ab den siebziger Jahren fühlten sich mehrere Zentralbanken, darunter die Deutsche Bundesbank, einer monetaristischen Geldpolitik à la Friedman verpflichtet, indem sie die Geldmenge als wichtiges Zwischenziel definierten, um die Stabilität des inländischen Preisniveaus zu sichern. Diese Geldmengenpolitik wurde in vielen Fällen nach relativ kurzer Zeit wieder aufgegeben, da sie sich nicht bewährte. Der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau erwies sich als weitaus weniger eng als erwartet und Friedman schadete Mitte der achtziger Jahre seinem Ruf nicht wenig, als er lauthals für die Vereinigten Staaten eine hohe Inflation ankündigte, die sich aber nicht einstellte. Viele Zentralbanken gingen von der Geldmengen- zur Zinssteuerung über. Die Bundesbank hielt an der Geldmengenpolitik fest, interpretierte das Konzept aber flexibel.
Seit etwa 25 Jahren ist die Geldmenge in der Theorie der Geldpolitik nahezu tot. Seit ein paar Jahren taucht sie als ein Frühindikator für Stress im Finanzsystem auf; wir haben in FAZIT mehrere Arbeiten (zum Beispiel hier) aus der Feder Hyun Song Shins vorgestellt. Aber für die Geldmenge als Indikator für das Preisniveau gilt, was Pedro Teles und Harald Uhlig in einem im Jahre 2013 veröffentlichten Paper demonstriert haben: Bei niedrigen Inflationsraten – also die Welt, in der wir leben – ist der Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisniveau “bestenfalls dünn”.
Nun unternehmen Michael Belongia und Peter Ireland einen neuen Versuch, die Geldmenge zu retten. Und wer frühere Arbeiten des Autorenduos kennt, ahnt, welches Pferd sie reiten: die Divisia-Geldmengen.
Divisia-Geldmengen
Um zu erklären, worum es dabei geht, schauen wir beispielhaft auf die Geldmenge M2 in der Definition der EZB: Sie beinhaltet das außerhalb des Bankensektors zirkulierende Bargeld sowie täglich fällige Einlagen (Sichteinlagen), Termineinlagen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren und Spareinlagen mit einer Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten von Nichtbanken.
In der traditionellen Geldmengenanalyse werden die einzelnen Bestandteile der Geldmenge, das Bargeld und die einzelnen Formen von Bankeinlagen, einfach addiert. So handhabten es auch Friedman und andere Vertreter der monetaristischen Schule.
Im Divisia-Ansatz, der auf den amerikanischen Ökonomen William Barnett zurückgeht und rund 35 Jahre alt ist, werden die einzelnen Bestandteile der Geldmenge gewichtet und zwar abhängig von ihrer Verzinsung. (Für jüngere Semester: Es gab einmal eine Zeit, in der auf Termin- und Spareinlagen von Null signifikant unterschiedliche (Nominal-)Zinsen gezahlt wurden). Je höher der Zins ist, umso niedriger ist das Gewicht des jeweiligen Bestandteils für die Berechnung der Geldmenge. Dem liegt die Idee zugrunde, dass mit zunehmender Verzinsung die Bereitschaft der Geldhalter abnehmen dürfte, ihre Einlage bei der Bank für Güterkäufe zu verwenden. Diese Einlagen werden von ihren Besitzern auch als Alternative zu anderen verzinslichen Anlagen wie Anleihen betrachtet. Ideengeschichtlich wird auf diese Weise der monetaristischen Geldmengenanalyse, die Geld fast nur als Transaktionsmedium wahr nimmt, eine keynesianische Komponente hinzugefügt, die Geld auch als Vermögensgut betrachtet.1) Und wie sich zeigt, ist dies dem Anliegen eher förderlich als schädlich. 2)
Divisia-Geldmengen wurden zumindest in der Vergangenheit von Zentralbanken intern für Studienzwecke berechnet. (Hier ist ein Hinweis auf der Homepage der Bank of England.). Interessant ist allerdings, dass sich auf der Basis der von der Fed veröffentlichten Daten überhaupt keine brauchbaren Divisia-Geldmengen berechnen lassen. Belongia/Ireland greifen auf Daten des von Barnett geleiteten Center for Financial Stability in New York zurück. Dort sind sie für die Vereinigten Staaten ab dem Jahr 1967 vorhanden.
Was zeigt die Analyse?
Die beiden Autoren untersuchen zunächst Korrelationen zwischen Veränderungen zweier Divisia-Geldmengen (M1 und M2) einerseits und Preisniveau sowie realem BIP für die Vereinigten Staaten zwischen 1967 und 2013. Insgesamt zeigen sie, dass sich der Zusammenhang seit den Zeiten von Friedman und Schwartz gelockert hat , auch wenn er noch da ist (“positive, but not overwhelmingly strong”). Und es zeigt sich auch, dass die früher schon vieldiskutierte Zeitverzögerung (“time lag”) zwischen einer Geldmengenveränderung und einer Veränderung des Preisniveaus oder des realen BIP offenbar noch größer ist als früher. Dies gilt vor allem für den Zeitraum von 1984 bis 2000, als die Inflationsraten deutlich sanken: Die stärkste Wirkung zwischen Geldmengenänderung und Preisniveauänderung stellt sich nach 13 bis 14 Quartalen, also mehr als drei Jahren ein. Die stärkste Wirkung zwischen Geldmengenänderung und BIP-Wachstum lässt sich nach 6 bis 8 Quartalen beobachten. Das ist weniger, aber auch noch sehr lang.
Nun lassen sich aus solchen Korrelationen keine ausreichenden Schlüsse ziehen; reiner Empirismus ist ungenügend. Also schicken die beiden Forscher ihre Daten durch ein theoretisches Modell. Sie finden Hinweise, dass es sinnvoll sein dürfte, die Geldmenge bei Untersuchungen zu berücksichtigen, um die volle Wirkung von Geldpolitik zu erfassen. Sie halten aber auch fest, dass es besserer Modelle bedürfe – vor allem Modelle, die neben der Rolle der Zentralbank auch die Rolle der Geschäftsbanken in der Schaffung liquider Vermögensgegenstände erfassen.
Wie geht es weiter?
“Man braucht weitere Forschungen” ist ein Standardsatz von Ökonomen, wenn die eigenen Ergebnisse nicht völlig überzeugend sind. Geldpolitische Modelle, die alleine auf den Zins abzielen, werden heute oft kritischer gesehen als vor der Finanzkrise. Dass die Geldmenge eine Rolle spielen könnten, wird durchaus wieder erwogen und dafür gibt es gute Gründe. Aber schon alleine an der Frage, was denn als relevante Geldmenge zu betrachten sei, haben sich in früheren Jahrzehnten Ökonomen abgearbeitet. Von daher liegt viel Arbeit vor den Fachleuten, die sich mit diesen Fragen befassen. Wie so oft: Vor uns befindet sich eine Baustelle, auf der Ökonomen werkeln, aber (noch) kein auf festen Fundamenten ruhendes Gebäude.
Wie es mit dieser und mit anderen Baustellen der Ökonomen weiter geht, wird dieses Blog wieder aufnehmen, wenn die Geschenke ausgepackt sind und die Weihnachtsgans verputzt ist.
Bis dahin wünscht FAZIT
Frohe Weihnachten
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- Mehrere Ökonomen sind schon vor Jahrzehnten zu dem Schluss gelangt, dass in theoretischer Hinsicht die Neuformulierung der Quantitätstheorie durch Friedman verwandtschaftliche Beziehungen zur Liquiditätspräferenztheorie von Keynes aufweist. In den Schlachten zwischen Monetaristen und Keynesianern ging es denn auch sehr stark um die Empirie.
- Interessanterweise wächst auch bei Teves/Uhlig die Aussagekraft der Geldmenge, wenn man den Zins berücksichtigt – in ihrem Falle in Gestalt der Lagerhaltungsmodelle von Geld im Geiste etwa von William Baumol und James Tobin.