Lockt das große Geld, schalten Menschen den Kopf aus. Und essen sogar Insekten.
Wenn Ökonomen untersuchen, wie sich Menschen verhalten, dann finden sie immer wieder zwei große Schwächen: Erstens überschätzen die Leute ihr Wissen und Können. Und zweitens tun sie alles, um Widerspruch zu ignorieren.
Schon lange ist bekannt: Die große Mehrheit der Führerscheinbesitzer hält sich selbst für überdurchschnittlich gute Autofahrer, auch wenn das mathematisch kaum möglich ist. Unter Psychologen gilt es auch als anerkannte wissenschaftliche Wahrheit, was einem sonst nur als Vorurteil unterkommt: Oft halten sich ausgerechnet die Leute für besonders kompetent, die am wenigsten Ahnung haben. (Wer mit diesem Wissen im neuen Jahr angeben will, merkt sich den Namen “Dunning-Kruger-Effekt”.) Das kommt vor allem daher, dass es in vielen Fragen einen Experten braucht, um Schwächen zu bemerken – und wer selbst kein Experte ist, bemerkt bei sich selbst die Schwächen nicht.
Blöd sind solche Selbstüberschätzungen vor allem dann, wenn Menschen alle Informationen meiden, die ihrer eigenen Einschätzung widersprechen. Wie verbreitet dieses Verhalten ist, wissen Psychologen ebenfalls seit Jahren. Am schlimmsten werden die Fehlschlüsse, wenn eine Gruppe von Leuten sich zu schnell einig zu sein scheint. Dann gehen Gegenargumente in jeder Frage vollkommen unter. Aber auch einzelne Menschen können Informationen, die sie nicht mögen, wunderbar überlesen, vergessen oder erst gar nicht beachten. Diese Tendenz wird von Verhaltensforschern “Confirmation Bias” genannt: Bestätigungs-Fehler. Der ist weitgehend unabhängig davon, ob ein Mensch generell intelligent ist.
Der Bestätigungs-Fehler ist auf jeden Fall schlecht für das Diskussionsklima in einer Gesellschaft. Wenn jeder die Argumente ignoriert, die der eigenen Position entgegenstehen, dann fällt die Verständigung zwischen Leuten mit unterschiedlichen Meinungen umso schwerer. Der Bestätigungs-Fehler führt nicht nur zu unterschiedlichen Sichtweisen. Er kann auch richtige Fehler zur Folge haben. Die Tendenz zur Selbstbestätigung geht sogar so weit, dass viele Menschen selbst bei simplen Logikaufgaben Probleme damit haben, auf ihre Hypothese auch mal die Gegenprobe zu machen. Entsprechend viele Fehler passieren, selbst wenn Menschen für eine richtige Lösung bezahlt werden.
Wenn es um viel Geld geht, werden wir blind
Jetzt sagt ein Forscher von der renommierten Universität Stanford: Wenn es um viel Geld und andere große Belohnungen geht, wird diese Schwäche noch gravierender. So gravierend, dass der Forscher empfiehlt: Für einige wichtige Entscheidungen des Lebens sollte es keine allzu großen Anreize geben, damit sich die Menschen nicht selbst zur Entscheidung drängen. Es geht um so wichtige Fragen wie die Teilnahme an medizinischen Versuchen, Eizellspenden oder Organspenden. Denn niemand könne sich darauf verlassen, dass solche Entscheidungen dann zuverlässig getroffen werden.
Der Forscher, um den es geht, schließt gerade seine Dissertation ab und sucht eine neue Stelle. Wenn von diesem Sonntag an in San Francisco die amerikanische Ökonomenvereinigung tagt, dann ist das nicht nur der größte Wirtschaftsforscher-Kongress der Welt, sondern nebenbei auch ein gewaltiger Arbeitsmarkt: Doktoranden stellen vor, was sie bisher gemacht haben, jeder mit einer Studie. Dann suchen sie Universitäten, an denen sie weiterarbeiten können. Einer dieser Doktoranden ist Sandro Ambuehl von der renommierten Stanford-Universität. Er hat wahrscheinlich ganz gute Karten auf dem Arbeitsmarkt. Denn der angesehene Ökonom Tyler Cowen hat seine Studie gerade erst als interessant und qualitativ hochwertig gelobt.
Darum geht es: Ambuehl bot mehr als 600 Teilnehmern eines Experimentes Geld dafür, dass sie etwas Unangenehmes tun: Insekten essen. Auf der Speisekarte standen Grillen, Mehlwürmer und Puppen von Seidenraupen.
Widerspruch wollen wir gar nicht sehen
Rund einem Viertel der Probanden konnte der Forscher so viel Geld anbieten, wie er wollte: Sie wollten die Insekten auf gar keinen Fall essen. Jeder zwanzigste wollte schon für kleinste Geldbeträge zubeißen. Ambuehl entschied am Ende per Zufall: Manchen Teilnehmern bot er drei Dollar für eine Portion, andere bekamen 30 Dollar angeboten.
Dann konnten sich einige der Versuchsteilnehmer Videos angucken. Sie konnten sich darüber informieren lassen, warum Insekten eine gute Nahrung sind: Sie sind reich an Proteinen, eine nachhaltige Nahrungsquelle und können richtig gut schmecken. Alternativ konnten sie sich anschauen, warum man Insekten vielleicht lieber nicht isst: Man verspeist alle Körperteile, auch diejenigen, die man bei anderen Tieren niemals essen würde. Der Verdauungstrakt der Insekten könnte zudem noch unverdaute Nahrung enthalten.
Bei den Probanden, die nur drei Dollar bekamen, änderten die Videos kaum etwas an ihrer Entscheidung. 40 Prozent der Teilnehmer aßen die Insekten – ob mit Videos oder nicht. Wenn aber 30 Dollar geboten waren, dann spielten die Videos plötzlich eine Rolle.
Von den Probanden, die 30 Dollar bekommen sollten, aber kein Video anzuschauen hatten, bissen 66 Prozent zu. Wenn ihnen aber die Videos zur Verfügung standen, dann wuchs die Beteiligung an der Mahlzeit auf 77 Prozent.
Und welches Video sahen sich die Probanden an? Nicht dasjenige, das sie von den Insekten noch hätte abbringen können. Neun von zehn Versuchsteilnehmer wählten das Pro-Video. Auch wenn sie einzelne, kurze Videoclips mit einzelnen Argumenten auswählen konnten, blieben die Teilnehmer meist auf der Pro-Seite – und das umso eher, je mehr Geld ihnen geboten war. Ökonom Ambuehl interpretiert das so, dass die Probanden sich angesichts des hohen Geldbetrags mit Hilfe der Videos davon überzeugen wollten, die Insekten doch zu essen. Sich von der Entscheidung abschrecken zu lassen, das ist vielen Teilnehmern nicht in den Sinn gekommen.
Die offene Frage: Ist das alles ein Fehler?
Leider sagt Ambuehl in seinem Forschungsbericht nichts darüber, ob seine Versuchsteilnehmer hinterher froh darüber waren, dass sie die Insekten gegessen hatten. Stattdessen berichtet er von einem zweiten Experiment, in dem kein Insekt vorkam, sondern lediglich ein kleines Glücksspiel um Geld: Die Probanden konnten an einer kleinen Lotterie teilnehmen, die ihnen einen Gewinn oder Verlust einbringen konnte. Wieder gab es dafür unterschiedliche Anreize, allerdings konnten die Probanden mit einem kleinen Konzentrationsspiel vorher erfahren, wie die Lotterie ausgehen würde. Es stellte sich heraus: Je größer der finanzielle Anreiz war, umso mehr Probanden nahmen an der Lotterie teil. Vor allem aber wuchs der Anteil derer, die ihre Konzentrationsaufgabe falsch lösten und sich trotzdem für die Lotterie entschieden.
Das Geld-Experiment liefert Ambuehl ein Argument dafür, dass tatsächlich ein ordentlicher Teil der Leute ihre Entscheidung hinterher bereut. Aber wäre das auch mit den Insekten so gewesen? Oder sind die Leute anschließend mit ihrer Insekten-Entscheidung zufrieden?
All das beantwortet aber nicht die letzte, entscheidende Frage: Falls die Leute mit ihrer Wahl am Schluss zufrieden sind, wäre ihre Vorgehensweise dann überhaupt ein Fehler? Darauf lässt sich mit einem Experiment keinen Antwort finden.