Woher kommen die Flüchtlinge? Wer kommt da nach Deutschland? In einer Forschungskooperation sollen 2000 Menschen befragt werden. DIW-Forscher Jürgen Schupp erklärt in einem Gastbeitrag das Vorhaben.
Was wird uns in Zukunft vermutlich dauerhaft mit dem Jahr 2015 in Erinnerung bleiben? Die Zuspitzung der Griechenland-Krise im Frühjahr 2015 dürfte schnell vergessen werden. Sie war ja den meisten bereits zum Jahresende nicht mehr bewusst. Aber mit großer Sicherheit werden wir uns auch in etlichen Jahren an den Zustrom von Geflüchteten vor allem aus Syrien und anderen Krisenregionen dieser Welt erinnern, ebenso an die täglich praktizierte enorme Hilfsbereitschaft der Menschen in Deutschland.
Vor allem das vielfältige ehren- und bürgerschaftliche Engagement, um die Flüchtlinge in Deutschland willkommen zu heißen und ihnen ein Integrationsangebot zu unterbreiten, prägt die Situation in Deutschland. Diese eher positive Grundhaltung der Menschen in Deutschland zur Aufnahme von Menschen auf der Flucht sieht sich freilich in den letzten Monaten auch zunehmend mit einer Stimmung aus Skepsis, Furcht sowie ablehnenden Vorbehalten in der Bevölkerung konfrontiert.
Der in der zweiten Jahreshälfte 2015 angewachsene Flüchtlingszustrom nach Deutschland stellt aber nicht nur die Politik, Verwaltung und die Bevölkerung vor enorme Herausforderungen. Auch die empirische Sozialforschung mit ihren amtlichen wie wissenschaftsgetragenen statistischen Forschungsdaten ist gefordert, eine verbesserte empirische Datengrundlage zu schaffen.
Dies betrifft auch hier sowohl die Verbesserung der für Sekundäranalysen zugänglichen Forschungsdateninfrastruktur auf Basis der statistischen Erfassung der Geflüchteten, aber auch die Erforschung von Motiven wie Folgen der zu beobachtbaren großen bürgerschaftlichen Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist eine methodische Herausforderung. Ebenso wie die Gewinnung eines besseren Verständnisses von Sorgen und Befürchtungen in wachsenden Teilen der Bevölkerung und dem daraus resultierenden politischen Polarisierungsprozess.
2000 Menschen werden befragt
Auch für die am DIW Berlin angesiedelte Langzeitstudie SOEP der Leibniz-Gemeinschaft stellt dies eine Herausforderung dar. Aufgebaut werden kann auf eine bereits im Jahr 2013 zusammen mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) begonnene Erhebung bei Neuzuwanderern. In der etwa 5.000 Personen umfassenden IAB-SOEP-Migrationsstichprobe sind bereits jetzt auch rund 500 Personen enthalten, die zum Zeitpunkt ihrer Einreise als Geflüchtete, so als Asylbewerber nach Deutschland kamen; gewichtet betrug der Anteil immerhin rund 15 % aller Neuzuwanderer des Zeitraums von 1995 bis 2012. In unserer im Jahr 2015 erhobenen zweiten IAB-SOEP-Migrationsstichprobe erwarten wir rund 200 weitere Fälle an Geflüchteten, die in den letzten zehn Jahren zunächst als Asylbewerber nach Deutschland kamen.
Kurz vor Weihnachten 2015 wurde erneut eine Kooperation zwischen dem IAB und dem SOEP am DIW Berlin sowie zusätzlich dem Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF) eingegangen. Im Jahr 2016 wird gemeinsam eine große zufallsbasierte Stichprobe von in Deutschland registrierten Flüchtlingen gezogen werden, die zudem als Längsschnittuntersuchung angelegt sein soll. In der IAB-BAMF-SOEP-Flüchtlingsstichprobe werden knapp 2.000 erwachsene Geflüchtete im zweiten Halbjahr 2016 erstmals befragt werden. Die Studie wird etliche Überlappungen mit der seit nunmehr 30 Jahre laufenden Leibniz-Langzeitstudie SOEP haben. Ende 2016 soll ein erster Bericht der Studie erstellt werden und im Jahr 2017 sollen die anonymisierten Daten der gesamten scientific community für Forschungszwecke im nutzerfreundlichen Format bereitgestellt werden.
Die survey-methodischen Herausforderungen an eine Erhebung bei Geflüchteten werden enorm sein, sowohl von der Stichprobengewinnung als auch der praktischen Durchführung der Erhebung, die einerseits auf die Mitarbeit von Übersetzern angewiesen sein wird und andererseits auch auf innovative technische Verfahren abrufbereiter einzelner Fragen, die auf Wunsch den Befragten vorgelesen werden. Mit der Durchführung der Erhebung wurde mittlerweile das Erhebungsinstitut TNS Infratest Sozialforschung, München, beauftragt.
Erste Ergebnisse im Frühjahr
Im Dialog mit wissenschaftlichen Expertinnen und Experten im Bereich Migrationsforschung wurde die Studie konzipiert und vorbereitet und anschließend zusammen mit unseren Kooperationspartnern im BAMF fortgesetzt. Im Frühjahr 2016 werden allererste Ergebnisse sowohl unserer qualitativen Vorstudie als auch eines Instrumententests zur Diskussion gestellt werden.
Aber wir wollen in der Langzeitstudie SOEP unsere Anstrengungen nicht allein auf die zusätzliche Einbeziehung der Flüchtlinge in die Längsschnitt-Stichproben beschränken, sondern wir haben in den letzten Wochen auch den Fragebogen für die im Februar beginnende 33. Erhebungswelle des SOEP um einige Fragen zum Thema „Flüchtlingszustrom“ nach Deutschland ergänzt. Hier interessieren uns zum einen Fragen zur subjektiven Bewertung, ob also der Zustrom von Geflüchteten eher als Chance oder als Risiko erachtet wird. Aber wir stellen auch Fragen zum bereits praktizierten sozialen oder politischen Engagement zum Thema Flüchtlinge genauso wie wir Fragen zum geplanten sowie beabsichtigten Engagement stellen werden. Nimmt man noch unseren seit vielen Jahren bereits abgefragten SOEP-Standardindikator zu Sorgen über die Zuwanderung nach Deutschland sowie über Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass in Deutschland hinzu, so wird deutlich, dass das SOEP auch zu diesem besonderen historischen Thema künftig ein fundiertes, reichhaltiges und breit gefächertes Angebot zur Erforschung der Folgen der Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland anzubieten vermag.