Das geringe Wachstum der Produktivität trotz erheblichen technischen Fortschritts gehört zu den größten Wirtschaftsrätseln unserer Zeit. Eine neue Arbeit besagt: Die Geldpolitik kann zu dieser Entwicklung beitragen.
In den ersten Jahren nach der Einführung des Euros floss viel Geld aus Staaten nördlich der Alpen, darunter auch viel Geld aus Deutschland, in den spanischen Immobilienmarkt. Die Investoren erhofften sich dort höhere Renditen als in ihrer Heimat. Das Ergebnis war zunächst ein gewaltiger Bauboom in Spanien, der das Wirtschaftswachstum trieb und für viele neue Arbeitsplätze sorgte. Gleichzeitig vergaben spanische Banken, begünstigt durch niedrige Zinsen dank einer expansiven Geldpolitik, großzügige Kredite an Bauherren, von denen sich viele sehr hoch verschuldeten. Das Ergebnis ist bekannt: Der spanische Bauboom verwandelte sich in eine schwere Krise, die der spanischen Wirtschaft sehr schadete und viele regionale Banken in erhebliche Schwierigkeiten brachte. Manche Banken wie die Regionalbank Bankia haben sich bis heute nicht vollständig erholt. Spanien ist ein Musterbeispiel für eine Finanzkrise als Folge hoher Verschuldung. (Wir haben diese Prozesse hier ausführlich analysiert.)
Die jüngste Entwicklung in Spanien ist aber auch ein Beleg für ein Phänomen, das erst allmählich in das Bewusstsein der Fachleute rückt. Es handelt sich um die Beobachtung, dass in vielen Ländern trotz erheblichen technischen Fortschritts durch die Digitalisierung die Produktivität nur langsam wächst. Dieses Phänomen, für das es bis heute keine allgemein akzeptierte Erklärung gibt, gilt als eine wesentliche Ursache des wenig dynamischen Wirtschaftswachstums seit der Finanzkrise. Und dieses langsame Wachstum trägt zum hohen Stand der auf Banken und manchen Finanzmärkten lastenden Verschuldung bei.
Fachleute erwägen mehrere Ursachen für das auffallend langsame Wachstum der Produktivität, zum Beispiel eine nur langsame Ausbreitung technischen Fortschritts in der Wirtschaft. Eine denkbare Ursache des auffallend niedrigen Wachstums der Produktivität könnte eine falsche Geldpolitik sein, die zu sehr starkem Kreditwachstum in der Wirtschaft und daraus entstehenden Booms am Immobilienmarkt führt, die schließlich in schweren Finanz- und Wirtschaftskrisen enden. Dies behaupten Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, einer der wichtigsten Denkfabriken für Geldpolitik und Finanzmärkte. Sie haben eine große Zahl von Finanzkrisen aus den vergangenen Jahrzehnten untersucht, unter denen das spanische Beispiel ein besonders prominentes ist.
Ein Immobilienboom steigert die Produktivität kaum
Ein Ergebnis ist interessant, aber auch nicht völlig neu: Eine Geldpolitik, die zu einem Immobilienboom führt, senkt das Wachstum der Produktivität in dieser Phase um rund einen Viertelprozentpunkt im Jahr. Das hängt damit zusammen, dass im Boom viele neue Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft entstehen, deren Produktivität im Vergleich zur Gesamtwirtschaft unterdurchschnittlich ist. Gleichzeitig werden in einer solchen Phase überdurchschnittlich produktive Arbeitsplätze in der Industrie nur geringfügig ausgebaut. Das konnte man vor der Krise auch in Spanien sehen: Das Geld deutscher Banken und anderer deutscher Anleger floss in erster Linie in die Immobilienwirtschaft oder andere wenig effiziente binnenwirtschaftliche Branchen wie den Einzelhandel. Die sehr viel effizientere exportorientierte Industrie erhielt nicht viele Gelder aus dem Ausland. (Ein mittlerweile häufig zitiertes Papier von unter anderem Gita Gopinath ist hier.)
Dies klingt plausibel, aber der spanische Immobilienboom ist schon einige Jahre her. Warum wächst die Produktivität seit der Überwindung der heißen Phase der Krise ebenfalls unterdurchschnittlich? Eine ganz aktuelle Studie nennt für Großbritannien Eigenarten des Arbeitsmarktes als wesentlichen Grund für das “Produktivitätsrätsel”. Die Untersuchung aus der BIZ sieht wiederum einen mit der Geldpolitik verwandten Grund. Nach dieser Ansicht ist eine durch expansive Geldpolitik bewirkte wirtschaftliche Erholung nicht in der Lage, Arbeit von wenig produktiven in produktivere Verwendungen umzuleiten. Statt dessen sind Strukturreformen notwendig, um die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern. Das bedeutet aber auch, dass sich die BIZ-Ökonomen kritisch gegenüber der Theorie der säkularen Stagnation à la Larry Summers wenden, die das lasche Wirtschaftswachstum seit der Finanzkrise als ein Phänomen mangelnder gesamtwirtschaftlicher Nachfrage ansieht. Hier könnte man einwenden, dass die eine Erklärung die andere nicht zwingend ausschließt: Ein Wirtschaft kann gleichzeitig unter Angebots- wie unter Nachfrageproblemen leiden – und gerade Südeuropa wäre ein Ort, an dem sich diese These gut überprüfen ließe.