Junge und etablierte Forscher haben sich in Frankfurt bei der Konferenz „Ökonomie neu denken“ getroffen. Keynote-Speaker Rüdiger Bachmann (University of Notre Dame) verteidigt seine Disziplin, wettert gegen die Wortwahl von Journalisten und erklärt, warum Clemens Fuest nicht Hans-Werner Sinn ist.
Herr Bachmann, „Ökonomie neu denken“ haben die Veranstalter von Stifterverband und Handelsblatt Research Institute ihre Konferenz getauft. Das klingt nach Revolution. Beschreibt das, was in den Wirtschaftswissenschaften passiert?
Nein, ganz und gar nicht. Ich habe in meiner Keynote, in der ich über die Makroökonomik gesprochen habe, herausgearbeitet, dass es in diesem Bereich in Folge der Finanzkrise weder eine Revolution gegeben hat, noch wird meiner Ansicht nach eine Revolution gebraucht. „Evolution statt Revolution“ trifft es besser.
Das müssen Sie erklären.
DSGE-Modelle, also allgemeine Gleichgewichtsmodelle, haben ihre Bedeutung nicht verloren. Neue Bestandteile werden modular nach und nach in diese Modell eingearbeitet – der Bankensektor, der Immobilienmarkt, Verteilungsaspekte und auch verhaltensökonomische Erkenntnisse. Es gibt zwar noch kein neues Standardmodell und manche Dinge wie politische Macht und strategische Interaktion sind schwer zu integrieren. Das heißt aber nicht, dass Ökonomen diese Themen nicht im Blick hätten und sie nicht intensiv erforschen. Zudem ist gar nicht klar, ob all diese Bestandteile zwangsläufig in Konjunkturmodelle aufgenommen werden müssen. Gewisse Lücken sind also kein Totschlagargument. Ich bin überzeugt, dass alle wesentlichen Bestandteile der DSGE-Modelle (Dynamik, Stochastik und allgemeine Gleichgewichte) in künftigen Modellen erhalten bleiben.
Ist es also ein Irrweg, immer nach dem revolutionär Neuen zu suchen?
Ich finde schon. Der Zug ist abgefahren – das DSGE-Konstrukt hat sich als wandlungsfähig und flexibel erwiesen. Früher war der „Modellbau“ vielleicht oft auch davon getrieben, dass Modelle dazu dienen sollten, bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen zu rechtfertigen. Ich denke dabei unter anderem an das IS-LM-Modell. Die DSGE-Modellierungsphilosophie hingegen ist relativ neutral gegenüber wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Man kann zum Beispiel mit Blick auf die Fiskalpolitik zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Dass Themen wie Regulierung und Ungleichheit heute größere Bedeutung haben, ist innerhalb dieses Paradigmas darstellbar.
Nils Goldschmidt, Professor in Siegen, sieht das anders. Er hat während der Podiumsdebatte gefordert, Ökonomen sollten grundsätzlichere, methodologische Fragen stellen. Das gab Szenenapplaus aus dem Publikum.
Ja, aber das war sehr unkonkret. Er hat gesagt, man müsse weiter denken, er erwähnte die Plurale Ökonomik. Als Beispiele für das was fehle, hat er dann Politische Ökonomik, Verfassungsökonomik, neue Institutionenökonomik aufgezählt. Das sind aber alles Themenbereiche, denen sich Ökonomen längst widmen. Ich finde es aber gut, dass es in Siegen demnächst einen Masterstudiengang Plurale Ökonomik geben soll. Justus Haucap hat auf dem Podium ja bemängelt, dass die Wirtschaftsfakultäten in Deutschland viel zu klein seien, um Themen jenseits des Mainstreams abzudecken. Wenn sich eher kleine Departements wie in Siegen spezialisieren, dann ist das eine interessante Entwicklung. Es bleibt abzuwarten, ob das funktioniert.
Journalisten mussten sich bei der Veranstaltung einiges anhören. Sie haben dagegen gewettert, dass Forscher in der Presse als „Top-Ökonomen“ bezeichnet werden. Was ist so schlimm daran, Spitzenforscher so zu benennen?
Ökonomen sind nun mal Spezialisten für Teilgebiete. Die Bezeichnung „Top-Ökonom“ verleiht ihnen den Ruf des Weisen, der sich überall auskennt. Die Nobelpreisträger werden heute automatisch zu öffentlichen Intellektuellen. Natürlich sind das alles kluge Leute, aber ob sie diese Rolle einnehmen sollten, ist mehr als fraglich. Paul Krugman zum Beispiel ist Handelstheoretiker – aber man muss ein Fragezeichen machen, ob er auch ein guter Makroökonom ist. Oft wird die Bezeichnung auch verwendet, um der eigenen Ansicht mehr Nachdruck zu verleihen. Wer zum Beispiel Giannis Varoufakis als Top-Ökonom bezeichnet, der verfolgt damit ein bestimmtes politisches Interesse. Varoufakis war ein Jahr Lecturer in Cambridge – das ist gut, aber das sind keine höheren akademischen Weihen. Solche Übertreibungen sind nicht gut für die Debatte, sie erzeugen bei den Leuten falsche Bilder. Es gibt vielleicht Top-Geiger und Top-Mathematiker, das sind Genies, aber keine Top-Ökonomen.
In der Diskussion hat sich ein Philologe zu Wort gemeldet. Weil Ökonomen religiös Begriffe wie „Geldschöpfung“ und „Schuld“ verwenden, sagte er, gebe es eine Nähe zwischen Religion und Wirtschaftswissenschaften. Auch in der Ökonomie tobt ein konfessioneller Streit!
So ein Quatsch, das ist faktisch falsch. Es gibt diesen Konfessionsstreit schon lange nicht mehr. Früher kämpfte Chicago gegen Cambridge und die Forscher der amerikanischen Ostküste. Oder Ordoliberale gegen Keynesianer, dann gab es nochmal den Methodenstreit. Das ist doch aber vorbei. Gute Ökonomen lassen sich heute von guten Argumenten und neuen Daten überzeugen, sie sind nicht auf eine Deutung der Dinge festgelegt. Wirtschaftspolitische Empfehlungen guter Forscher sind nicht vorgefertigt. Ordoliberale und Linkskeynesianer waren in dieser Hinsicht schlechte Beispiele, aber das ist die Vergangenheit. Etwas anderes zu behaupten wird nicht richtiger dadurch, dass man es häufiger wiederholt. Und nebenbei: Natürlich stammen viele unserer Begriffe aus religiösen Kontexten – aber sie haben sich längst emanzipiert. Bei diesem Einwurf schien mir der Kollege sein fast magisches Verständnis von Sprache etwas zu übertreiben.
Die Verhaltensökonomie darf bei einer solchen Veranstaltung nicht fehlen. David Halpern, der Chef des Behavioural Insights Team, das die britische Regierung berät, stand auf der Bühne. Was hatte er zu bieten?
Er hatte einige beeindruckende Beispiele für Nudging dabei: Mit kleinen Veränderungen im Framing konnten gewünschte Veränderung erzielt werden. Er hat berichtet, dass die Regierung ursprünglich durch Steuererleichterungen versucht hat, ein bestimmtes Sparverhalten bei den Bürgern zu erreichen. Die Ergebnisse waren unbefriedigend, mit Nudging funktionierte es besser.
Wie muss man sich das vorstellen?
Es wurde ein Opt-Out-System implementiert. Wer bei dem Sparsystem nicht mitmachen will, muss aktiv werden und aussteigen. Mit neoklassischen Modellen ist das kaum zu erklären, schließlich kostet es kaum etwas, zum Telefonhörer zu greifen und auszusteigen. Das ist ein sanfter Paternalismus, gegen den nichts zu sagen ist. Manches ist aber doch alter Wein in neuen Schläuchen: In einem anderen Beispiel geht es darum, dass die Leute den Stromanbieter kaum wechseln, obwohl es Wettbewerb und eventuell günstigere Anbieter gibt. Das wurde behoben, indem Kunden ihre Daten, die in Form eines Barcodes auf der Rechnung stehen, nun mit dem Smartphone einscannen können. Das ermöglichst den Wechsel mit wenigen Klicks – mehr Kunden wechseln. Das hat aber nichts mit Verhaltensökonomie zu tun. Jeder Neoklassiker weiß, dass geringere Such- und Wechselkosten die Wechselhäufigkeit erhöhten.
In Deutschland gibt es auch eine Nudging-Einheit im Kanzleramt. Aber eine gewisse Reserviertheit bei diesem Thema. Ist Skepsis berechtigt?
Halpern hat von der deutschen Nudging-Einheit im Kanzleramt berichtet. Sie sei weitgehend verschwunden, man hört ja tatsächlich nicht viel von ihr, während die Engländer sehr aktiv sind. Vielleicht dominieren gerade Großthemen in der deutschen Politik, zu denen Verhaltensforscher nicht viel beitragen können. Aber sollte es andere Gründe geben, dann wäre es sehr schade, wenn Politiker in Deutschland diese Ressourcen und Erkenntnisse nicht nutzen.
Vom sanften Paternalismus ist es nur ein kleiner Schritt zum harten Paternalismus. Wie weit darf der Staat gehen?
Natürlich kann man es übertreiben: Soll in Amerika der Staat große Cola-Becher verbieten, damit die Leute weniger Zucker zu sich nehmen? Wo die Grenze solcher Maßnahmen ist, muss jede Gesellschaft festlegen, so etwas muss gesellschaftlich diskutiert werden. Ich plädiere aber stark für mehr Pragmatismus. Man muss die Dinge ausprobieren und evaluieren. Ideologische Extrempositionen helfen da nicht weiter.
In der politischen Session war Clemens Fuest dabei. Bald tritt er am Ifo-Institut das Erbe von Hans-Werner Sinn an. Meine Kollegin Lisa Nienhaus hat in der F.A.S. gerade gefragt, ob Fuest der neue Sinn wird. Was meinen Sie?
Er wird anders sein als Hans-Werner Sinn. Sinn ist einer der größten und charismatischen Apokalyptiker der neueren deutschen Geschichte. Das hat ihm viel Aufmerksamkeit beschert. Vielleicht bediente er auch so eine urdeutsche Lust am Untergang. Das wird man von Clemens Fuest nicht bekommen. Er ist ein sehr ruhiger, datenorientierter Forscher. Die Frage ist nun: Wird er damit durchkommen oder wird er sich der Medienökonomie ein wenig anpassen? Gerade in Konkurrenz zu Marcel Fratzscher könnte er sich klarer positionieren müssen. Das hat er, glaube ich, auch für sich selbst noch nicht so genau geklärt. Von seiner Mentalität ist er jedenfalls anders – das wird spannend: Wie weit muss er in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomik gehen, um die heutige Bedeutung des Ifos aufrecht zu halten? Das beobachtet die Szene mit großem Interesse.
Das Gespräch führte Johannes Pennekamp