Wenn es auf Märkten illegal zugeht, sind daran nicht die Verbrecher, sondern die Politiker schuld.
Was sind illegale Märkte? Man könnte es sich leichtmachen und sagen: das Gegenteil von legalen. Aber die Formulierung genügt schon, um auf eine Asymmetrie hinzuweisen. Niemand spricht vom “legalen Markt für Milchprodukte” oder dem “legalen Automarkt”. Zwar hat jeder Anbieter, der sich auf solchen Märkten bewegen will, eine Vielzahl von Regularien zu beachten und Formulare auszufüllen. Sie dokumentieren staatliche Vorbedingungen, an die wirtschaftliches Handeln gebunden ist. Aber der Eindruck auf der Kundenseite, dass Märkte einfach dort entstehen, wo es ein Bedürfnis gibt, und voraussetzungslos betreten werden können, beherrscht den allgemeinen Begriff von ihnen. Es gibt Rechtsstreitigkeiten aller Arten zwischen Anbietern und Nachfragern darüber, ob richtig geliefert und pünktlich bezahlt wurde. Es gibt Ladendiebe, Falschauszeichnungen und Verstöße gegen das Arbeitsrecht. Märkte selbst aber werden unausgesprochen als rechtmäßig behandelt.
Das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln hat gerade zwei Texte zur Diskussion gestellt, die sich mit illegalen Märkten beschäftigen. Beide weisen darauf hin, dass aufgrund jener weitgehenden Gleichsetzung von Märkten mit Legalität illegales Markthandeln lange Zeit als ein Spezialfall von Forschungen zur Kriminalität behandelt worden ist. Man dachte in der Ökonomie und der Soziologie meistens vom Verbrecher aus.
Demgegenüber betonen die Kölner Forscher, dass Märkte nicht von Verbrechern, sondern vom Gesetzgeber illegal gemacht werden. Illegale Märkte existieren inzwischen in einer großen Vielfalt: für illegale Waren wie Drogen, Verbrechen oder seltene Tiere, für illegal hergestellte oder gehandelte Waren (Blutdiamanten, Uran, Nieren) – und für Waren, die zwar gehandelt werden dürfen, aber nicht so, wie es oft geschieht: Waffen, Handwerkerleistungen, Kunstwerke.
Es geht um Geschäftsinteressen – und um Tradition
An der Definition von Illegalität sind dabei viele Kräfte beteiligt. In der Debatte über die Legalisierung von Drogen beispielsweise sind regelmäßig nicht nur Politik, Wirtschaft und Recht vertreten, sondern auch Sozialarbeit und Medizin. Die Argumente, die ausgetauscht werden, sind oft moralischer Natur und betreffen die Frage, welcher Wert – Freiheit, Gesundheit, Sicherheit – die Vorfahrt haben soll. Das gilt genauso für die Illegalisierung des Marktes für die Hörner von Rhinozerossen, der, wie Matías Dewey schreibt, die Länder Südafrika, China und Vietnam verbindet. Tierschützern und Verwaltern von Nationalparks stehen nicht nur Geschäftsinteressen, sondern auch lokale Traditionen gegenüber, die an eine krebsheilende und aphrodisierende Wirkung der Hörner glauben.
Rhinozeros-Horne nein, Hirschgeweihe ja – dass man es den Waren selbst nicht ansieht, ob sie legal oder illegal sind, wird besonders dort deutlich, wo ein und dieselbe Ware unter verschiedenen Umständen auf jeweils die erlaubte oder die unerlaubte Seite fallen kann. Der Waffenhandel ist vielleicht das prominenteste Beispiel, aber auch in der Schattenwirtschaft für Dienstleistungen werden oft genau dieselben gehandelt wie im legalen Bereich.
Auch illegale Märkte entwickeln politische Strukturen
Das heißt aber nicht, dass es folgenlos wäre, ob im Schatten oder im Licht gehandelt wird. Zum einen tendieren illegale Märkte dazu, selbst politische Strukturen samt Paralleljustiz und eigener Polizei zu entwickeln. Die italienischen Soziologen Diego Gambetta (Florenz) und Francesco Varese (Oxford) haben in großen Studien zum organisierten Verbrechen seit langem darauf hingewiesen, dass man den illegalen Markt für bestimmte Güter – von Zwangsprostitution bis zu Markenpiraterie – nicht mit dem illegalen Markt für Schutzdienstleistungen verwechseln darf, der sich auf ihn bezieht. Die Mafia beispielsweise verkauft unter Einsatz von illegaler Gewalt und gegen Abgaben eine Reihe von Garantien – Wettbewerbsregulation, Strafjustiz, Lobbyismus – an Leute, die ihrerseits illegal produzieren und deswegen solche Garantien legal nicht erhalten.
Dass ein solches Geschäftsmodell nicht zum Gewaltmonopol des Staates passt, liegt auf der Hand. Die zugrundeliegende Produktion aber erstreckt sich über Märkte für Güter, auf denen ein gesellschaftliches Tabu liegt, bis zu solchen, die weit weniger Empörung erregen wie unversteuerte Zigaretten oder Raubkopien. Das führt zu ganz unterschiedlichem politischem Umgang mit illegalen Märkten. Man muss, um Praktiken der Legalisierung von Strukturen zu beobachten, innerhalb derer dann leichter illegal gehandelt werden kann, nicht bis nach Panama reisen. Im italienischen Prato, einer Stadt von 200.000 Einwohnern, existieren fünftausend chinesische Betriebe und leben, offiziell registriert, 50.000 Chinesen, die überwiegend in einer Textilindustrie beschäftigt sind, über deren Rechtsförmigkeit sich niemand Illusionen macht. Doch weil es eben nur um Klamotten geht, wiegt die Wirtschafts- und Beschäftigungsleistung politisch schwerer als das Arbeitsrecht. Illegale Märkte können, zumindest lokal, auch systemrelevant sein und insofern als legitim erscheinen.
Illegale Märkte ziehen weitere Rechtsbrüche nach sich
Allgemein ist es also ein Merkmal illegaler Märkte, über ihre “Kernillegalität” hinaus weitere Rechtsbrüche nach sich zu ziehen. Geheimhaltungsbedürfnisse führen etwa zu Dokumentenfälschung, Bestechung, Erpressung. Matías Dewey weist aber zu Recht darauf hin, dass die Akteure auf illegalen Märkten natürlich ihrerseits bestrebt sind, ihre Handlungen legal erscheinen zu lassen. Illegalität ist ein Geschäftsfeld mit hoher Anwaltsdichte. Vor Jahren schon hat der schottische Kriminologe Simon Mackenzie gezeigt, welchen Aufwand Kunsthändler treiben, um sich vom Verdacht zu befreien, sie handelten mit eventuell illegal importierten Antiquitäten. Eine Gesetzgebung, so Mackenzie, die auf überprüfbaren Quellen bestehe, habe nur den Preis für deren Nachweis nach oben getrieben. “300.000 Pfund für die Venus, 7 Millionen für ihre Provenienz!”, soll ein britischer Kunsthändler einmal ausgerufen haben. Dewey spricht von Devianznormalisierung: Manche illegale Märkte sind so etabliert, dass niemand, der sich auf ihnen bewegt, das Gefühl hat, irgendjemand zu schädigen. Gerade dann, wenn als offensichtlichste Form der Schädigung direkte Gewalt aus dem Spiel bleibt, kann es darum leicht zu Legitimitätsgefühlen in illegalen Zonen kommen.