Nicht wenige liberale deutsche Ökonomen waren einst große Anhänger Milton Friedmans, als dieser gegen zu großen Staatseinfluss und für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik stritt. Heute demonstrieren dieselben liberalen Ökonomen völliges Unverständnis gegenüber Ideen Friedmans. Konzepte wie Grundeinkommen, Helikoptergeld oder Anleihenkaufprogramme durch Notenbanken sind keineswegs Erfindungen unserer – wie suggeriert werden soll: scheinbar aus den Fugen geratenen – Zeit.
Wir werfen einen Blick auf fünf Betrachtungen Milton Friedmans (1912 bis 2006):
- Bedingungsloses Grundeinkommen
Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens ist nicht neu. Eine sehr ähnliche Idee kursiert seit Jahrzehnten als “negative Einkommensteuer” in der ökonomischen Literatur, und einer ihrer Befürworter war Milton Friedman. Wir lesen in der deutschen Ausgabe seines von Liberalen gewöhnlich gefeierten Buches Kapitalismus und Freiheit: “Zwei Dinge sind offensichtlich. Erstens: Wenn das Ziel der Abbau der Armut ist, benötigen wir ein Programm mit dem Zweck, die Armen zu unterstützen… Das Programm sollte dazu eingerichtet sein, Menschen als Menschen zu helfen, und nicht als Mitglieder bestimmter Berufsgruppen oder Altersgruppen oder Einkommensgruppen oder Gewerkschaften oder Industriezweige… Zweitens sollte das Programm zwar auf dem Markte funktionieren, dabei jedoch so weit wie möglich den Markt nicht stören und seine Funktionsweise nicht beeinträchtigen… Die Maßnahme, die sich aus rein technischen Gründen anbietet, ist eine negative Einkommensteuer…Auf diese Weise könnte eine Grundlage geschaffen werden, die im Einkommen des einzelnen niemals unterschritten werden könnte…Die genaue Höhe des Grundeinkommens hinge davon ab, was die öffentliche Hand aufbringen könnte.” In der deutschen Übersetzung aus dem Jahre 1971 (das amerikanische Original erschien 1962) findet sich bereits das Wort “Grundeinkommen” – also lange vor den Debatten unserer Zeit. Friedman war sich der Gefahr des politischen Missbrauchs der negativen Einkommensteuer durchaus bewusst, aber eine bessere Alternative existierte nach seiner Meinung nicht.
- Helikoptergeld
Einer der berühmtesten Aufsätze Milton Friedmans lautet in der deutschen Übersetzung Die optimale Geldmenge. (Er wurde im Jahre 1969 im amerikanischen Original veröffentlicht.) Dort lesen wir: “Wir wollen nunmehr annehmen, dass eines Tages ein Hubschrauber über dieses Land fliegt und 1000 Dollar in Banknoten abwirft, die natürlich von allen Leuten hastig eingesammelt werden… Wenn sich jedes Wirtschaftssubjekt einfach dazu entschließen würde, diesen Betrag zusätzlich zu halten, so würde nichts weiter geschehen… Aber dieses ist nicht das zu erwartende Verhalten der Wirtschaftssubjekte… Wir wissen nur, dass jeder einzelne seine Kassenhaltung in einem gewissen Ausmaß zu reduzieren sucht, und zwar dadurch, dass er danach trachtet, mehr auszugeben, als er einnimmt. Kurz, ohne eine im Vergleich zu unseren Ausführungen weitaus ausführlichere Spezifizierung der Reaktionsverläufe können wir nur wenig über den Anpassungsprozess vorhersagen.” Friedman analysiert bewusst einen einmaligen Abwurf von Geld, denn: “Anderenfalls könnte das Erscheinen des Hubschraubers die von den Wirtschaftssubjekten empfundene Unsicherheit vergrößern, wodurch sich wiederum die reale Nachfrage nach realer Kassenhaltung verändern könnte.” Was selten erwähnt wird: Friedman analysierte auch den Fall einer Verringerung der Geldmenge, indem er in seinem Bild den Helikopter durch einen Hochofen ersetzte. Friedman befürwortete nicht den geldpolitischen Einsatz von Helikoptergeld, aber er hielt es für eine analysewürdige Vorstellung. Heute scheinen manche Ökonomen alleine schon Diskussionen über Helikoptergeld als skandalös zu empfinden.
- Ankäufe von Staatsanleihen
Ende der neunziger Jahre befand sich Japan schon einige Jahre in der Krise. Und während deutsche liberale Ökonomen meinten und meinen, die japanische Krise sei das Ergebnis einer zu lockeren Geldpolitik, war Milton Friedman in einem Beitrag aus dem Jahre 1998 der Ansicht, die japanische Geldpolitik wäre nicht expansiv genug: “The surest road to a healthy economic recovery is to increase the rate of monetary growth, to shift from tight money to easier money, to a rate of monetary growth closer to that which prevailed in the golden 1980s but without again overdoing it. That would make much-needed financial and economic reforms far easier to achieve. Defenders of the Bank of Japan will say, ‘How? The bank has already cut its discount rate to 0.5 percent. What more can it do to increase the quantity of money?’ The answer is straightforward: The Bank of Japan can buy government bonds on the open market, paying for them with either currency or deposits at the Bank of Japan, what economists call high-powered money… There is no limit to the extent to which the Bank of Japan can increase the money supply if it wishes to do so.” Hier steht ausdrücklich nichts von einer Obergrenze für die Bilanzausdehnung der Notenbank – das heißt, die Käufe müssen nicht mit Staatsanleihen enden. Geldpolitik durch Steuerung der Geldbasis wird heute als “unkonventionell” bezeichnet, galt aber vor ein paar Jahrzehnten als allein seligmachende Form der Geldpolitik. Interessant ist auch, dass nach Ansicht Friedmans eine Lockerung der Geldpolitik wirtschaftliche Reformen erleichtern würde. Heute wird der EZB und auch der Bank von Japan von Ökonomen vorgeworfen, ihre zu lockere Geldpolitik erschwere wirtschaftliche Reformen.
- Ein niedriger Leitzins zeigt Wirtschaftsschwäche an
Häufig wird in Deutschland die Ansicht vertreten, alleine das historisch betrachtet sehr niedrige Niveau der Leitzinsen mit Null- oder sogar Negativzinsen sei Ausdruck einer “ultralockeren” Geldpolitik. Hier ist dagegen Milton Friedman, der eine derartige Sicht als “interest-rate-fallacy” bezeichnete: “Low interest rates are generally a sign that money has been tight, as in Japan; high interest rates, that money has been easy.” Sehr niedrige Leitzinsen sind nach Friedman ein Zeichen für eine Schwäche der Wirtschaft als Folge einer vorher zu straffen Geldpolitik, während einige Ökonomen den aktuell niedrigen Leitzins als Zeichen einer kompletten Verirrung nach einer Periode bereits viel zu niedriger Zinsen in der Vergangenheit ansehen. Wohlgemerkt: Auch aus Friedmans Sicht konnte ein niedriger Leitzins Ausdruck einer lockeren Geldpolitik sein – aber nur im Vergleich zu einem realen natürlichen Gleichgewichtszins, der sich aber nicht direkt beobachten lässt und über dessen vermutliche Höhe unter Ökonomen seit Jahren Debatten laufen.1) Friedman schrieb einmal: „Unfortunately, we have as yet devised no method to estimate accurately and readily the natural rate of either interest or unemployment. And the ‘natural’ rate itself will change from time to time.” Locker wäre die Geldpolitik dann, wenn der Leitzins unter dem realen Gleichgewichtszins liegt.
- Der optimale Zins ist Null
Kritiker betrachten einen Nullzins als viel zu niedrig. Diese Auffassung steht im Widerspruch zu einem seit Jahrzehnten als “Friedman-Regel” bekannten Konzept, nach dem der optimale Zins Null ist. Wir lesen wiederum in dem Aufsatz Die optimale Geldmenge: “Unsere endgültige Regel für die optimale Geldmenge besagt, dass sie durch eine Preissenkungsrate realisiert wird, die den nominellen Zinssatz dem Werte Null zuführt.”Die Begründung stammt aus der mikroökonomischen Theorie: Da die Grenzkosten der Geldproduktion praktisch Null sind, ist der Optimalzustand erreicht, wenn die Grenzerträge der Geldhaltung ebenfalls Null sind: “Folglich wird sich jedes Individuum und jedes Unternehmen dazu veranlasst sehen, gerade jene Kasse zu halten, bei der die marginalen Erträge – als Nutzen für das Individuum und als produktive Dienste für die Unternehmung – gleich Null sind. Da die Erhöhung der realen Kassenhaltung insgesamt keine physischen Ressourcen kostet, gleichen die Gesamterträge aller die Kosten gerade aus.” Übrigens kann es in der Welt eines Nominalzinses von Null natürlich einen positiven Realzins geben – in Gestalt eines leicht sinkenden Preisniveaus.
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Anmerkung: Der Verfasser teilt nicht alle Ansichten Milton Friedmans. Und ob ein ökonomisches Konzept alt oder neu ist, sagt alleine nichts über seine Qualität aus. Aber aus dem Unwillen/Unvermögen mancher Ökonomen, unsere Welt zu verstehen, folgt keineswegs der Schluss, die Welt sei aus den Fugen geraten.
- Mit diesem Thema haben wir uns in FAZIT häufiger befasst, zum Beispiel hier und hier und hier.