Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Auf der Suche nach der optimalen Steuer

Steuern sind lästig, doch es geht nicht ohne. Effizient und gerecht sollen sie sein, aber was ist gerecht?

Den schwierigsten Fragen ihres Faches widmen sich Ökonomen manchmal mit Humor. Das gilt für die heikle Frage, wie ein gutes Steuersystem auszusehen habe. „Besteuere nicht dich, besteuere nicht mich, besteuere den Kumpel, der sich hinter dem Baum versteckt“, lautet eine dieser Weisheiten. In der deutschen Übertragung hört sich der Ökonomenhumor weniger spaßig an als im englischen Original, doch macht der Spruch das Grundproblem jeder Steuerpolitik deutlich: dass nämlich niemand gerne Steuern zahlt.

In dieser Tradition steht auch eine Empfehlung des freiheitlich gesinnten Ökonomen Milton Friedman. „Jede Zeit ist eine gute Zeit, um die Steuern zu senken“, gab der verstorbene Wirtschaftsnobelpreisträger einst zu Protokoll. Dahinter verbirgt sich abgrundtiefes Misstrauen gegenüber der Fähigkeit von Abgeordneten und Regierenden, das mühsam erarbeitete Einkommen besser und sinnvoller auszugeben als der Steuerzahler selbst.

Optimale Steuern gegen paternalistische Vorgaben

Mit mehr wissenschaftlicher Würde und Bürde belastet kommt die Theorie der optimalen Steuern daher, in der Ökonomen seit Jahrzehnten versuchen, ein ideales Steuersystem zu ergründen. In der klassischen Ausformung geht es bei diesen Überlegungen darum, die Kosten der Besteuerung möglichst gering zu halten. Der wissenschaftliche Laie denkt dabei an Finanzämter, die Zahl der Steuerbeamten und die Stunden, die er oder sein Steuerberater zur Erstellung der Steuererklärung aufbringen müssen. All das sind gewichtige Kosten, die in der Politik schnell unter den Tisch fallen. Der Ökonom aber denkt weiter. Die Kosten der Besteuerung gründen in seiner Sicht vor allem darin, dass der Staat mit der Steuererhebung das Verhalten der Bürger verändert.

Besteuert und verteuert der Staat beispielsweise Champagner oder Bier stärker als andere Getränke, werden die Bürger diese eher meiden und auf billigere Getränke wie etwa Sprudel zurückgreifen. Ausweichreaktion nennen Ökonomen diese Verhaltensänderung. Der Verkauf und Konsum von Champagner oder Bier werden schrumpfen, und die wichtigsten Kosten entstehen dadurch, dass weniger Menschen Champagner oder Bier genießen werden. Ein Steuerpolitiker, der ein bestimmtes Steueraufkommen erzielen möchte, der den Bürgern aber nicht vorschreiben will, was sie zu tun und zu lassen haben, wird versuchen, solche steuerlich hervorgerufenen Verhaltensänderungen zu minimieren.

Gleichzeitig führt eine Besteuerung der Lohn- oder Arbeitseinkommen dazu, dass sich Arbeit weniger lohnt und die Menschen der Tendenz nach weniger arbeiten und mehr Freizeit genießen werden. Dem Steuerbürger entgeht dadurch Einkommen, und auch der Staat kann auf weniger Wirtschaftskraft zurückgreifen, um Ausgaben zu finanzieren. Die Theorie optimaler Steuern setzt in der klassischen Ausformung darauf, solche unerwünschten Kosten der Steuererhebung weitgehend zu vermeiden. Das bedingt vereinfacht gesagt eine möglichst gleichmäßige Besteuerung aller Aktivitäten oder Waren, um Ausweichreaktionen zu verhindern. Höhere Steuern etwa auf Alkohol oder Tabak, um Wahlbürger zu einem gewünschten Verhalten zu erziehen, mögen durch paternalistische Vorlieben von Politikern oder alles mögliche andere begründet sein, aber nicht durch die klassische Theorie optimaler Steuern.

Wie viel Umverteilung darf es denn sein?

In einer entscheidenden Erweiterung der Theorie optimaler Steuern haben Ökonomen wie Anthony Atkinson oder die Wirtschaftsnobelpreisträger James Mirlees und Joseph Stiglitz in den siebziger Jahren angenommen, dass Steuerpolitik auch Mittel der Umverteilungspolitik sei. Dieser Dreh verändert die Fragestellung der optimalen Steuer. Ging es zuvor darum, dass die Steuerpolitik möglichst geräuschlos und zu geringen Erhebungskosten Staatseinnahmen generieren sollte, geht es nun darum, zwischen dem Verteilungsziel und der wirtschaftlichen Effizienz abzuwägen. Die Kosten der zunehmenden Belastung höherer Einkommen durch eine progressive Einkommensteuer werden danach zu einem gewissen Grade hingenommen, weil die damit verbundene Umverteilung als positiv gewertet wird. Nahezu alle Ausarbeitungen zur optimalen Steuer sind seither Variationen dieses Themas.

Mit diesem Wandel der Fragestellung geriet die Theorie optimaler Steuern in gefährliches Fahrwasser. Die Frage, wie viel Umverteilung es denn sein darf, ist nicht mehr technisch zu lösen, sondern bedarf eines klaren Werturteils. Dieses Werturteil ist im echten Leben nur im gesellschaftlichen Miteinander politisch zu bestimmen, nicht aber durch Ökonomen vorzugeben. Diese basteln sich modelltheoretische Zielfunktionen zur gesellschaftlichen Wohlfahrtsmaximierung und nehmen dabei implizit an, dass ein ökonomischer Weltenrichter Kosten und Nutzen bestimmen, messen und gegeneinander abwägen könne. Sie vernachlässigen aber gerne, dass nur der Reiche selbst weiß, wie sehr ihn der steuerpolitisch herbeigeführte Verzicht auf Champagner schmerzt. Und dass ebenso nur der Arme selbst weiß, wie viel ihm die zusätzliche Scheibe Brot nutzt.

Wie sehr Ökonomen mit der Theorie der optimalen Steuer so einem intellektuellen Glasperlenspiel erliegen, zeigt wohl ungewollt ein erhellender Aufsatz von Felix Bierbrauer. Auf 19 Seiten stellt der Kölner Ökonom in geraffter Form 90 Jahre der Theorie optimaler Steuern dar. Erst im vorletzten Absatz kommt er zum Kern des Problems und schreibt, dass die grundsätzliche Frage nach der politischen Relevanz wohlfahrtsmaximierender Ansätze offenbleibe. „Im politischen Prozess werden Partikularinteressen und die Interessen der Mittelschicht in einem Maß berücksichtigt, das jeder Vorstellung von Wohlfahrtsmaximierung zuwider läuft.“

Bestmöglich sich der Steuer entziehen

Im Klartext heißt das: Die Ökonomen können noch so schöne optimale Steuersysteme erforschen. Die Gesellschaft folgt ihnen aber nicht, weil der demokratische Prozess durch Sonderinteressen von Politikern und Wahlbürgern bestimmt wird. Hilfreicher als die utopische Annahme einer am wie auch immer definierten Gemeinwohl interessierten und wohlfahrtsmaximierenden Regierung ist daher vielleicht die Vermutung, dass es Politikern und Beamten vor allem um mehr Steuereinnahmen geht.

Solche Leviathan-Regierungen haben etwa die Ökonomen Geoffrey Brennan und James Buchanan – auch ein verstorbener Nobelpreisträger – untersucht. Ein optimales Steuersystem in dieser Variante besteht darin, die Ausweichreaktionen der Bürger auf die Steuern nicht zu minimieren, sondern im Gegenteil zu maximieren: Der Steuerbürger sollte sich der Besteuerung bestmöglich entziehen können. Geboten wäre so nicht eine möglichst gleichmäßige, sondern eine möglichst enge Besteuerung idealerweise nur weniger Güter oder Tätigkeiten. Die Steuerbasis dürfte nicht breit sein, sondern möglichst eng. Damit wäre man dann wieder bei einfachen Weisheiten wie der von Milton Friedman: Steuersenkungen sind immer angebracht.

 

Felix J. Bierbrauer (2016): Effizienz oder Gerechtigkeit? Ungleiche Einkommen, ungleiche Vermögen und optimale Steuern. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Bd. 17, Heft 1, S. 2-24.

Geoffrey Brennan, James M. Buchanan (1980): The Power to Tax.

 

Dies ist eine ergänzte Fassung eines Textes, der am 3. Juli als „Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien.

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