Soll sich die universitäre Ausbildung in der Volkswirtschaftslehre ändern? Diese Frage wurde gerade auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik in Augsburg diskutiert. Ein Thema ist die stärkere Berücksichtigung der Theoriegeschichte. Joachim Starbatty hat eine Idee, welche Autoren gelesen werden sollten.
Besitzen die modernen Ökonomen wichtige Kenntnisse, über die Adam Smith vor mehr als 200 Jahren noch nicht verfügte? Diese Frage wird immer wieder einmal gestellt. Und mit der Frage wird implizit die provozierende Antwort “Nein” mitgeliefert, weil die Frage ansonsten keinerlei Reiz besäße. Man hat sich in der ökonomischen Geistesgeschichte aber nicht immer den klassischen Ökonomen – unter denen die Briten Adam Smith, Thomas Malthus, David Ricardo und John Stuart Mill fraglos die bekanntesten waren – respektvoll genähert. So schrieb Joseph Schumpeter, die Arbeitsweise der Klassiker wäre “grob und oftmals schwerfällig” gewesen. Adam Smith habe eine Abneigung gegen alles besessen, was über den gesunden Menschenverstand hinausgegangen sei.
Mit dem Werk der britischen Ökonomen der klassischen Schule macht Joachim Starbatty die Leser in einem kompakten, kompetenten und gut lesbaren Buch vertraut. Bemerkenswert ist: Sein jetzt wieder aufgelegter Band stammt original aus dem Jahre 1985. Der kaum veränderte Originaltext, der um eine Nachbetrachtung von Heinz Rieter ergänzt wurde, hat aber nach wie vor Bestand, denn auch die neuere Forschung über die Klassiker erzwingt keine Änderungen der konzisen Zusammenfassung Starbattys.
Die Klassiker waren keine homogene Gruppe, sondern ein “buntes Völkchen” (Starbatty). Zu Beginn bringt der Autor einen kurzen Abriss des Lebens seiner Helden, in dem er auch ihre unterschiedliche Einstellung gegenüber der Möglichkeit einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse erwähnt. Smith und Mill waren eher Optimisten, Ricardo und Malthus eher Pessimisten.
Diese nach Herkunft und Temperament sehr unterschiedlichen Autoren haben kein in sich geschlossenes Theoriegebäude hinterlassen. Smith hatte die Industriegesellschaft weder gesehen noch erahnt, während Mill sie erlebte. In seinem schönen und lehrreichen Aufsatz nennt Rieter sieben verschiedene Möglichkeiten, sich den Werken der Klassiker anzunähern. Starbatty entscheidet sich für einen Ansatz, der für einen deutschen Ordoliberalen nicht erstaunt: Er betrachtet das Werk der Klassiker als einen wesentlichen Beitrag zur Theorie des Liberalismus. Sein zweites Kapitel trägt damit einen programmatischen Titel: “Die Ordnungselemente des Systems der natürlichen Freiheit”. Und schon der erste Satz des Kapitels führt den Gedanken weiter: “Die ordnungspolitischen Ideen der englischen Klassiker – Privateigentum als Ordnungsfaktor, Zutrauen zum Wettbewerb, Skepsis gegenüber Staatsinterventionen, Herrschaft des Gesetzes – werden vor dem Hintergrund eines bestimmten Menschenbildes verständlich.”
Dieses Menschenbild lehnt Kollektiveigentum ab, weil es nicht der Veranlagung des Menschen entspreche. Starbatty leitet aus den Schriften der Klassiker ein Plädoyer für das Privateigentum ab und eine Schaffung von Institutionen, innerhalb derer sich die Menschen frei bewegen. Auf diese Weise gelangt man zu Smiths System der natürlichen Freiheit, indem es jedermann vollkommen freisteht, “sein eigenes Interesse auf seine eigen Weise zu verfolgen und einerseits mit seiner Arbeit und andererseits mit seinem Kapital einem anderen Konkurrenz zu machen”. Malthus und Ricardo hätten “staatliche Eingriffe in die Einkommensverteilung und in die Arbeitswelt” abgelehnt. Zu erwähnen ist natürlich auch Ricardos berühmtes Plädoyer für den Freihandel. Mit Blick auf Mill stellt Starbatty unter anderem dessen Ansicht heraus, die freie Preisbildung sei der Preisfestsetzung durch den Staat vorzuziehen. Zugegeben sei, dass Starbatty hier mit einem sehr großen Pinsel malt: Zumindest Mill hätte es heute wohl schwer, in die Mont-Pèlerin-Gesellschaft aufgenommen zu werden, und bei Malthus erscheint der Fall auch nicht so ganz klar.
Anschließend arbeitet sich Starbatty in mehreren Kapitel durch Elemente des Denkens der Klassiker durch: Er beginnt mit ihrer Vorstellung von den Aufgaben des Staates und ihrer Finanzierung und gelangt über die klassische Wert- und Preistheorie (die schon lange als überwunden gilt) zu den keineswegs einheitlichen verteilungstheoretischen Vorstellungen. Danach befasst er sich unter anderem mit utilitaristischer Ethik, Zins, Wachstum und Konjunktur sowie den Positionen der Klassiker zum Geldwesen – einem Gebiet, das seinerzeit in England außergewöhnlich intensiv diskutiert wurde.
Abschließend bearbeitet Starbatty ein Gebiet, das aus der Sicht heutiger Ökonomen, die über einen Zugang zu den Klassikern nachdenken, fraglos wichtig ist: dem methodischen Vorgehen der Altmeister. Hier muss man klar sagen, dass den Klassikern das systematische Vorgehen der modernen Ökonomik, das sich unter anderem in den mathematischen Modellen ausdrückt, fernlag. Starbatty schreibt über Smith und Ricardo, sie hätten über die Art ihres Vorgehens nicht systematisch nachgedacht: “Beide waren von der Errichtung ihrer Systeme so beansprucht, dass sie keine Zeit hatten, zurückzutreten, das Ganze in Augenschein zu nehmen und kritisch die eigene Vorgehensweise zu reflektieren.” Immerhin aber trachtete Ricardo danach, sich von historischen Betrachtungsweisen zu lösen und, wenn auch nicht in mathematischer Form, aus der Betrachtung von Kunstwelten (Modellen) allgemeine Schlussfolgerungen zu ziehen. Mill wiederum kämpfte mit der Frage, ob die Wirtschaftswissenschaft als eigenständiges Fach oder als Bestandteil einer breiter gefassten Sozialwissenschaft verstanden werden sollten – ein durchaus modernes Thema.
Nicht alle Dogmenhistoriker werden Starbattys liberale Interpretation der Klassiker in dieser Form teilen. Aber darauf kommt es nicht an, denn Starbatty schreibt, dass er mit seinem Büchlein die Leser dazu anregen möchte, die Klassiker selbst zu lesen und sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Das kann man nur unterstützen.