So sicher wie Weihnachten und der Geburtstag kommt einmal im Jahr die “Renteninformation”. Es ist ein nüchternes Schreiben – das es in sich hat. Denn in dem Brief informiert die Deutsche Rentenversicherung in bestem Behördendeutsch über die “Höhe Ihrer künftigen Regelaltersrente”. Auf den Cent genau ist nachzulesen, wie viel Geld man später jeden Monat ausbezahlt bekommt. Große Jubelstürme löst das selten aus. Eher stellen sich viele die bange Frage: “Wie soll ich denn davon leben?”
Diese Frage ist nicht ganz unberechtigt. Denn in Deutschland wächst die Gefahr von Altersarmut. Im Jahr 2030 falle jeder zweite Rentner unter die Armutsgrenze, schlug der WDR kürzlich Alarm. Das erwies sich zwar als weit überzogen, Rentenexperten gehen von viel weniger Betroffenen aus. Doch Fakt ist: Die Babyboomer gehen bald in Rente, Kinder fehlen, und die Alten kassieren und leben (glücklicherweise) immer länger. Deshalb wirft das staatliche Umlagesystem für jeden Einzelnen weniger ab. Wer heute in Rente geht, bekommt im Schnitt weniger als die Hälfte seines früheren Durchschnittslohns, Tendenz fallend. Und das, obwohl der Staat dem System Jahr für Jahr 86 Milliarden Euro zuschießt.
Wie also kriegt man die Leute dazu, selbst mehr vorzusorgen? In Deutschland soll die staatlich subventionierte Riester-Rente dafür sorgen. Rund 16,5 Millionen entsprechende Verträge haben die Deutschen abgeschlossen. Dieses Fördersystem hat sich der Staat in den vergangenen 15 Jahren etwa 25 Milliarden Euro kosten lassen. Ob das Geld gut angelegt ist? Das ist umstritten.
Es gibt subtilere – und vor allem günstigere – Wege, die Deutschen zum Sparen anzuspornen. Das zumindest legt eine jetzt erscheinende Studie von vier Wissenschaftlern des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim (ZEW) nahe. Alles, was man braucht, ist demnach die bittere Wahrheit: schwarz auf weiß niedergeschrieben in der “Renteninformation”.
ZEW-Ökonom Andreas Peichl und seine Ko-Autoren haben untersucht, wie Menschen auf den jährlichen Brief reagieren. Das eindeutige Ergebnis: Sie sparen nach der Lektüre mehr. “Die Effekte sind ziemlich groß und halten über mehrere Jahre an”, fassen die Autoren zusammen.
Die Forscher konnten den Effekt des Briefes genau beobachten, denn es gibt verschiedene Gruppen von Empfängern. Wer älter ist als 55 Jahre, hat ihn schon immer bekommen. Seit dem Jahr 2004 flattert er zudem auch Arbeitnehmern ins Haus, die älter sind als 26 und mindestens fünf Jahre in die Kasse eingezahlt haben. Diese Konstellation sowie umfangreiche Daten aus dem “Taxpayer-Panel” des Statistischen Bundesamts ermöglichten es, den Effekt des Briefes zu “identifizieren”, wie es im Forscherjargon heißt.
Die Summen, um die es geht, klingen gering, sind aber durchaus der Rede wert. Je nach Altersgruppe steckten die Empfänger, nachdem sie die Renteninformation erhalten hatten, im Schnitt 20 bis 40 Euro im Jahr mehr in ihre private Altersvorsorge. Das ist insofern relevant, als es viele Menschen gibt, die gar keine private Altersvorsorge abgeschlossen haben, 2004 waren es nur zehn Prozent. Deshalb sind es im Schnitt je Arbeitnehmer nur recht überschaubare Beträge, die in die “3. Renten-Säule” fließen. Die zusätzlichen Sparbeträge entsprächen zwischen 16 und 33 Prozent der Beträge, die in den jeweiligen Altersgruppen vor 2004 gespart wurden, fassen die Forscher zusammen. “Ein scheinbar unbedeutendes Detail wie die schriftliche Renteninformation hat also dafür gesorgt, dass die von der Politik gesteckten Ziele erreicht werden – nämlich den Anteil privater Altersvorsorge im deutschen Rentensystem zu erhöhen.” Mehr Geld auf die hohe Kante zu legen hat allerdings seinen Preis: Die Sparer spendeten weniger, um sich die Vorsorge leisten zu können.
Mit den üblichen neoklassischen Modellen, die ein streng rationales Verhalten unterstellen, lässt sich die gestiegene Lust am Sparen nicht erklären. Denn durch den Brief verändert sich die Höhe der künftigen Rente nicht – und damit auch nicht das Kalkül der Menschen, die abwägen, wie viel Geld sie beiseitelegen. Der Brief führt den Empfängern lediglich vor Augen, wie es im Alter um sie bestellt sein könnte. “Zwei Drittel der Rentenzahler neigen dazu, ihre voraussichtlichen Rentenansprüche zu hoch einzuschätzen”, schreiben die Forscher.
Dass auch solche “weichen” Faktoren erheblichen Einfluss auf menschliches Verhalten haben, ist trotz des Widerspruchs zu den alten Modellen keine allzu große Überraschung. Nicht nur der gesunde Menschenverstand legt das nah, sondern auch der schnell wachsende Erkenntnisschatz der Verhaltensökonomie. Diese vergleichsweise junge Disziplin hat sich längst vom Modell des kühl kalkulierenden “Homo oeconomicus” verabschiedet. Verhaltensökonomen haben in zahlreichen Studien gezeigt, dass die Menschen mehr sparen, wenn sie regelmäßig daran erinnert werden, dass sie sich vorgenommen haben, bestimmte Summen zurückzulegen. Zudem passen sie ihr Verhalten an, wenn sie erfahren, wie viel oder wenig andere Menschen sparen. Wenn Arbeitnehmer mit geringem Einkommen gesagt bekommen, dass andere Arbeitnehmer mehr sparen, verringern sie ihre Bemühungen zur Vorsorge. Der Grund: Sie fühlen sich entmutigt und abgehängt.
Das Verhalten der Menschen mit kleinen “Stubsern” wie der “Renteninformation” zu beeinflussen, ist nicht unumstritten. Kritiker sehen in diesem sogenannten Nudging eine Manipulation oder Erziehungsmaßnahme, die dem Staat nicht zustehe. In diesem konkreten Fall lässt sich den Kritikern aber etwas entgegenhalten. Sparen mag zwar Privatsache sein. Es kann dem Staat aber nicht egal sein, ob die Bürger ausreichend für ihr Alter vorsorgen. Denn wenn sie es nicht tun, muss der Fiskus einspringen und den verarmten Alten eine staatliche Grundrente zur Verfügung stellen. Die Zeche zahlen dann die Jungen.
Zudem ist die Renteninformation ein vergleichsweise sanftes Nudging-Instrument. Eine härtere Variante wäre es, alle Arbeitnehmer ungefragt für eine private Altersvorsorge anzumelden, die sie dann aktiv wieder kündigen müssen, falls sie keine Lust darauf haben. Solche “Opt-Out-Modelle” haben zum Beispiel in Dänemark und Neuseeland die Quote der Sparer deutlich erhöht. Und wenn auch das nicht reicht, bliebe nur noch staatlich verordneter Zwang zum Sparen. Aber so weit ist es zum Glück noch nicht.