“Ich wünsche nie, Abschließendes zu sagen…” Am 29. Juni 1932 hielt Joseph A. Schumpeter (1883-1950) eine Abschiedsrede an der Universität Bonn. Wir dokumentieren Passagen aus der Rede – und der Leser mag sich fragen, ob es heute in den Wirtschaftswissenschaften so sehr viel anders ist als damals.
Zum Hintergrund der Abschiedsrede mit dem Titel “Das Woher und Wohin unserer Wissenschaft”:1) Der berühmte österreichische Ökonom hatte in Bonn seit dem Jahre 1925 gelehrt. Nachdem sich seine Hoffnungen zerschlagen hatten, die Nachfolge der von Werner Sombart gehaltenen Professur an der Berliner Universität anzutreten, wechselte Schumpeter in die Vereinigten Staaten an die Harvard University, wo er bis zu seinem Lebensende blieb.
Hier nun die Passagen:
“Die Ökonomen haben immer gefunden, dass ihre Wissenschaft nicht das leistet, was sie leisten sollte und könnte, und sie haben sich gegenseitig nie so hoch eingeschätzt, wie das im Arbeitskreis der Physik selbstverständlich ist. Das mag viele Gründe haben. Vor allem den Grund, dass ein praktisches Interesse besteht, die Arbeit des Nachbarn herabzusetzen, weil dessen Argumente Interessen von Gruppen verletzen könnten, die man selbst vertritt.”
“Die Leistungen der Wissenschaft blieben auch sehr hinter billigen Erwartungen zurück. Kein Resultat auf unserem Gebiet imponiert so sehr wie etwa eines über die Erforschung der physikalischen Welt. Und so kommt es denn, dass die Ökonomen selbst oft eine zu pessimistische Kritik üben, die noch weiter geht, als der tatsächliche Sachverhalt rechtfertigt. Wir müssen aber warten, lernen und die Saat erst wachsen sehen, ehe wir mähen.”
“.. ich wünsche nie, Abschließendes zu sagen. Wenn ich eine Funktion habe, dann die, Türen nicht zu-, sondern aufzumachen, und niemals habe ich das Bestreben gehabt, so etwas zustande zu bringen wie eine Schumpeterschule. Es gibt sie nicht, und es soll sie nicht geben, sondern ich will nur, wie es mir die Stunde zuführt, Anregungen geben – gute, wenn es geht, und schlechte, wenn es nicht anders geht.”
“Ich habe Ihnen so und so oft gesagt, dass nach meiner Auffassung … die Ökonomie eine ethisch indifferente, d.h., ihrem Gegenstand ethisch indifferent gegenüberstehende empirische Einzelwissenschaft ist, und dass sie insofern keinen Teil hat an der Stellungnahme des Philosophen und an der Predigt des Propheten, und dass jeder Lehrer, der versucht, vom Katheder zu predigen, schon durch diesen Versuch seiner wissenschaftlichen Aufgabe untreu wird.”
“Es ist gleichfalls etabliert, dass, ob wir Tatsachen sammeln oder sie behandeln durch statistische Methoden oder durch historische Erzählung, wir stets auf dem Boden der Empirie bleiben. Das heißt nicht, dass wir in der unmittelbaren Nachbarschaft des Lebens uns bewegen können. Wirklich lebenstreu ist keine Wissenschaft, sondern nur das Leben selbst. (…) Das Wirtschaftsleben selbst gleicht in allen Wirtschaftssystemen einem großen Strom. Es führt nun auf logische Probleme, ob die Wissenschaft Bewegung überhaupt darstellen kann.”
“Unsere empirische Einzelwissenschaft ist von derselben logischen Natur wie jede Wissenschaft. Der Gegenstand der Wissenschaft ist bis zu einem gewissen Grade gleichgültig.”
“Viertens folgt daraus, dass die Ökonomie keine Philosophie der Wirtschaft, keine Wesenschau ist. Wir müssen weniger philosophieren, um als Ökonomen leistungsfähiger zu werden. Wenn die Nationalökonomie metaphysische Elemente verwendet, sind diese gleichgültig für die einzelwissenschaftliche Erkenntnis. Infolgedessen kann es auch keine Schulen auf unserem Gebiet geben.”
“In der Wissenschaft kommt es nicht wie in Wirtschaft und Politik auf den momentanen Erfolg an. Man kann nur sagen, dass, wenn sich in der Wissenschaft etwas durchsetzt, es sein Lebensrecht bewiesen hat; und wenn die Sache nichts wert ist, wird sie schon absterben. Ich meinerseits akzeptiere durchaus das Urteil kommender Generationen.”
“Fünftens scheint mir die große Aufgabe der Zukunft zu sein, aus Tatsachen (Statistik) und dem, was eine frühere Generation Theorie nannte, eine zu machen.”
- Der Text basiert auf Mitschriften zweier Studenten; das Originaldokument ist offenbar abhanden gekommen oder war zum Zeitpunkt des Abdrucks nicht verfügbar. Wir haben den Text entnommen dem Buch “Joseph A. Schumpeter: Aufsätze zur ökonomischen Theorie”, erschienen 1952 bei J.C.B. Mohr (Tübingen).