Seit dem vergangenen Sommer verbessern sich die Wachstumsaussichten in der Welt. An den Finanzmärkten wird mit der Wahl Donald Trumps die Hoffnung auf steigende Realzinsen und weiteres Wirtschaftswachstum verbunden. Ist damit die These der säkularen Stagnation tot? Ein solcher Schluss wäre voreilig, wie eine Veranstaltung auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos belegt.
Die These einer säkularen Stagnation wurde erstmals vor rund sieben Jahrzehnten von dem amerikanischen Ökonomen Alvin Hansen formuliert und vor wenigen Jahren von dem amerikanischen Ökonomen Larry Summers revitalisiert. In Davos wurde das Thema aufgenommen – allerdings in einer Veranstaltung in kleinem Kreise, für die die sogenannten “Chatham House Rules” galten. Das heißt: Ich kann berichten, was dort gesprochen wurde, allerdings darf ich nicht schreiben, wer dort gesprochen hat. Aber der Leser kann davon ausgehen, dass ein Ökonom zu Wort kam, der sich mit dem Thema gut auskennt…
Was heißt säkulare Stagnation?
Damit ist eine lange Phase schwachen Wirtschaftswachstums gemeint, in dem die Sparwünsche in einer Volkswirtschaft größer sind als die Investitionsnachfrage. Dies führt zu einem Druck auf den Realzins. Folgende Gründe für die Wachstumsschwäche und den sehr niedrigen Realzins vor allem in den Industrienationen sind denkbar, darunter:
- Die Alterung der Gesellschaft führt zu hoher Ersparnis, aber geringer Nachfrage nach Investitionen für künftigen Konsum
- Im Übergang von der Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit weniger Sachkapital sinkt der Preis für Investitionsgüter
- Produktive Innovationen fallen schwerer, weil die „niedrig hängenden Früchte“ der Industrialisierung (Eisenbahn, Elektrizität…) längst gepflückt sind
- Höhere Ungleichheit der Einkommen und Vermögen sorgt dafür, dass immer mehr Einkommen bei reichen Leuten vorhanden sind, die eine geringe Konsumquote haben
- Aus den Schwellenländern fließt Ersparnis auf der Suche nach sicheren Anlagen in die Industrienationen.
Die Liste ist nicht vollständig. Es gibt Versuche, diese und andere Einflüsse auf den Realzins zu schätzen – über den einen oder anderen Versuch haben wir in FAZIT berichtet.
Wenn die Ersparnis aber nicht für neues Sachkapital nachgefragt wird, sondern in vorhandenes fließt, bläht sie die Preise von vorhandenem Sachkapital auf. Und wenn immer mehr Kredite vergeben werden, für die das immer teurer werdende Sachkapital als Sicherheit herangezogen wird, entstehen Vermögenspreisblasen. Das ist ein wichtiger Aspekt, auf den wir noch zurückkommen – mit dem Konzept der säkularen Stagnation kann man Vermögenspreisblasen ohne die Geldpolitik erklären, denn der Rückgang des Zinses beruht alleine auf realwirtschaftlichen Faktoren.
Warum holte Summers das Konzept hervor?
Summers erwähnte es auf einer Konferenz des Internationalen Währungsfonds im Jahre 2013, schränkte aber damals ein, möglicherweise liege er falsch. Seine kurze Erwähnung reichte aber, um die Idee einer säkularen Stagnation zu verbreiten, und folgerichtig wird bis heute darüber – durchaus sehr kontrovers – diskutiert.
Aufgefallen war ihm für die Vereinigten Staaten etwas Merkwürdiges in den Jahren vor dem Ausbruch der Finanzkrise:
- Am amerikanischen Immobilienmarkt gab es eine gewaltige Preisblase
- Übliche Standards für die Kreditvergabe spielten keine Rolle mehr
- Die Geld- und die Finanzpolitik waren expansiv
- Und trotzdem war das Wirtschaftswachstum, gemessen an der Vergangenheit, nicht sehr hoch. Eigentlich hätte es in diesem Umfeld aber hoch sein müssen. Summers begann, darüber nachzudenken, warum das Wachstum nicht hoch war und kam auf den Gedanken, das alte Konzept einer säkularen Stagnation hervorzuziehen.
Zwei Erklärungen für die Jahre vor der Krise
Eine häufig gebrauchte und auch in Deutschland verbreitete Erklärung der Jahre vor 2007 lautet, dass die Fed damals eine zu expansive Geldpolitik betrieben hat, die zu der Spekulationsblase am Immobilienmarkt führten. Dann war die Krise ein politisch verursachter Unfall, nach dem man eigentlich wieder auf den alten Wachstumspfad hätte zurückkehren müssen.
Die andere Erklärung lautet: Die Geldpolitik beeinflusst nominale Größen, aber keine realen Größen. Dann war die Spekulationsblase das Ergebnis eines Rückgang des Realzinses, zu dem die Geldpolitik nichts konnte. Und da dieser Rückgang säkular ist, erholen sich die Wachstumsraten auch nicht richtig.
Säkulare Stagnation auch bei Trump?
Die Kapitalmärkte haben auf den Wahlsieg mit höheren Aktienkursen, aber auch mit steigenden Anleiherenditen reagierten, die in den Vereinigten Staaten zu einem etwas höheren Realzins führen.
Was würde ein Anhänger der säkularen Stagnationstheorie dazu sagen? Im Wesentlichen Folgendes: Erstens haben die Anhänger der These nie abgestritten, dass es in einer langfristigen Periode niedrigen Wirtschaftswachstums und Realzinses nicht auch Konjunkturzyklen geben kann, in denen sich Wirtschaftswachstum und Realzins vorübergehend nach oben bewegen. Ob die jetzige Bewegung nachhaltig ist, weiß aber niemand.
Und käme es in den Vereinigten Staaten bei hoher Beschäftigung zu einer deutlichen Belebung des Wirtschaftswachstums, müsste die Inflationsrate deutlich anziehen. Schaut man sich die langfristigen Inflationserwartungen an den Finanzmärkten an, sieht man aber nicht, dass dort so etwas erwartet wird. Nun können diese Erwartungen falsch sein, aber man weiß auch, dass aktuelle Inflationserwartungen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die künftige Inflation haben.
Bis zu einem Urteil im Prozess über die These der säkularen Stagnation wird man wohl noch etwas warten müssen.