Entschieden haben über die Europäische Währungsunion führende Politiker ihrer Zeit, der deutsche Kanzler Helmut Kohl und der französische Staatspräsident François Mitterrand etwa. Am 7. Februar 1992 unterzeichneten dann die Außen- und Finanzminister von zwölf Ländern den Maastrichter-Vertrag und brachten damit den Euro auf den Weg. Ökonomen haben seit jeher über die gemeinsame Währung diskutiert, gestritten, die Entscheidung analysiert, Vorhersagen gemacht.
Dahinter steht eine mittlerweile recht opulente Fachliteratur, Einflüsse verschiedener Bereiche der Wirtschaftslehre wirken sich aus. Sie ist einer breiten Öffentlichkeit bislang eher verborgen geblieben, weil die Debatte meist auf politische Streitereien und die Deutungen der Ergebnisse nächtelanger EU-Gipfel fokussiert.
Wer so etwas wie eine Theorie hinter dem Euro sucht, muss viele Jahrzehnte zurück, trifft auf dem Weg beispielsweise zwei Nobelpreisträger, weitere bekannte Forscher und einen britischen Ökonomen namens Anthony Venables. Geografisch beginnt die Suche Tausende Kilometer weit weg von Europa, in Kanada.
Dort wird er am 24. Oktober 1932 Robert Alexander Mundell geboren. Und dorthin kehrt er nach Studium und Promotion in Vancouver, Seattle, London und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston zunächst zurück – in einer gerade für einen jungen, an internationalen Fragestellungen interessierten Ökonomen spannenden Zeit. Denn Kanada hatte zu Beginn der fünfziger Jahre als erstes Industrieland sowohl seinen Wechselkurs freigegeben als auch die andernorts (noch) übliche Beschränkung des Kapitalverkehrs aufgehoben. Noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatten sich die Industriestaaten, auch Kanada, darauf verständigt, ihre Wechselkurse aneinander zu binden. In die Geschichtsbücher eingegangen ist diese Währungsordnung unter dem Namen des amerikanischen Ortes Bretton Woods, wo sie ausgehandelt wurde.
Keine echte Theorie
Zunächst funktionierte das „kanadische Experiment“ gut. Ende der fünfziger Jahre geriet das Land dann in eine wirtschaftliche Schwächephase mit wachsender Arbeitslosigkeit, während welcher die Notenbank die Leitzinsen auf vergleichsweise hohem Niveau beließ. Das bescherte dem Land eine aufwertende Währung, ein Leistungsbilanzdefizit und vor allem keine Besserung der Beschäftigungssituation. Im Jahr 1961 musste Notenbankchef James Coyne deswegen seinen Hut nehmen und Kanada band seine Währung wieder an den Dollar.
Im selben Jahr, Mundell arbeitete mittlerweile für den Internationalen Währungsfonds, veröffentlichte er einen auch heute sehr lesenswerten Aufsatz mit dem Titel „Eine Theorie der optimalen Währungsräume“. Er nahm darin die in den fünfziger Jahren von Milton Friedman, der für flexible Wechselkurse eintrat, maßgeblich losgetretene Währungsdiskussion auf und stellte sie auf ein höheres Abstraktionsniveau. Mundell fragte nicht, ob flexible oder feste Wechselkurse generell besser sind, sondern danach, wer sich „optimalerweise“ eine Währung teilen und wie viele Währungen es auf der Welt geben sollte.
Der Aufsatz ist nur acht Seiten lang und der Titel verspricht mehr als der Text hergibt im Hinblick sowohl auf das Wort Theorie wie auch „optimal“; optimiert wird darin gar nichts, ökonomisch gesprochen gibt es kein Maximierungsproblem. In dem Modellrahmen, den Mundell damals präsentierte, spielt eine wichtige Rolle, wie mobil die Beschäftigten sind. Geben sie im Falle einer Krise schnell ihr Zuhause auf und ziehen dorthin, wo es mehr Arbeit gibt? Eine Region, innerhalb der das so ist, sollte unter stabilitätspolitischen Gesichtspunkten eine Währung haben. Häufig seien diese Regionen jedoch nicht identisch mit Nationalstaaten, erläutert Mundell – und diskutiert explizit die kanadische Erfahrung.
Wenige Jahre später folgten zwei weitere wichtige Arbeiten in diesem neuen, im angelsächsischen Sprachraum als OCA-Theory (OCA steht für Optimum Currency Area) etablierten Forschungsfeld. Zunächst veröffentlichte der ebenfalls aus Kanada stammende Forscher Ronald McKinnon in der renommierten Fachzeitschrift „American Economic Review“ im Jahr 1963 einen Aufsatz mit dem einfachen Titel „Optimum Currency Areas“. Darin thematisiert er im Gegensatz zu Mundell den Aspekt, wie offen eine Volkswirtschaft ist – handelt sie gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung sehr viel, übertragen sich grob zusammengefasst Veränderungen der Weltmarktpreise schnell auf die inländischen Güter- und Arbeitsmärkte und erzwingen entsprechende Anpassungen. Oder umgekehrt gesagt: Ein eigener Wechselkurs „schottet“ als Politikinstrument unter Stabilisierungsgesichtspunkten kaum gegen solche Veränderungen ab. „Offenheit untergräbt die Geld-Illusion (oder die Unterscheidung zwischen nominalen und realen Preisänderungen), die dem Wechselkurs erlaubt, ein effektives Politikinstrument zu sein“, erklärte der Wirtschaftsprofessor Richard Pomfret einmal den Kern von McKinnons Papier. Wesentliche Schlussfolgerung aus seiner Analyse ist darum, dass eine eigene Währung umso erstrebenswerter ist, umso weniger integriert eine Wirtschaft in die Weltmärkte ist oder umso größer sie ist.
Wechselkurse oder Anleiherenditen?
Weitere sechs Jahre später, anno 1969, veröffentlicht der Amerikaner Peter Kenen schließlich einen dritten wegweisenden Beitrag zur Währungsraum-Theorie unter dem Titel „The Theory of Optimum Currency Areas: An Eclectic View“. Kenen thematisierte darin, dass wirtschaftliche Schocks häufig vor allem eine Branche betreffen und darum Länder mit einer vergleichsweise gut diversifizierten Wirtschaftsstruktur widerstandsfähiger sind und leichter eine Währung teilen können. Barry Eichengreen und Charles Wyplosz erinnern in einem Nachruf auf diesen renommierten Fachmann daran und nennen als Beispiel die Bedeutung Chinas in den 2000er Jahren für die Europäische Währungsunion – die Volksrepublik fragte besonders stark in den Bereichen Maschinenbau und ganz allgemein Kapitalgütern nach, wovon die darauf spezialisierte deutsche Wirtschaft profitierte mit den bekannten positiven Effekten etwa für den deutschen Arbeitsmarkt. Andererseits gerieten Italien und Portugal eher unter Wettbewerbsdruck aus Fernost mit ihren stärker auf Konsumgüter fokussierten Produktionsstrukturen, jenem Bereich, in dem auch China konkurriert. Kenen stellte in seiner Analyse schließlich darauf ab, dass eine Währungsunion im Grunde nur dauerhaft funktionieren kann, wenn die teilnehmenden Länder ihre Fiskal-Politiken einigermaßen koordinieren und außerdem Transfers zumindest die größten Unterschiede zwischen den Regionen ausgleichen. Wie groß solche Transfers oder ein gemeinsames Budget sein müssten, geht daraus nicht hervor.
Im Grunde begründen diese drei Forscher – Mundell, McKinnon und Kenen – das, was heute als Währungsraum-Theorie bekannt ist. Beinahe alle aktuellen Debatten lassen sich schlussendlich auf eine dieser drei Arbeiten zurückbinden.
Erwähnenswert ist nun außerdem ein weiterer Beitrag Mundells aus den siebziger Jahren, in dem er im Grunde seinem eigenen Ausgangsaufsatz ein anderes Argument (diametral) entgegensetzt: Während er in seiner berühmten Analyse aus dem Jahr 1961 noch wirtschaftlich möglichst homogene Regionen als optimal auszeichnet, kommt er in der späteren Analyse zu dem Schluss, dass vielleicht eher heterogene Räume anstrebenswert sind für eine Währung – um breiter aufgestellt zu sein gegen Risiken. Das Argument ist nicht unähnlich dem von Kenen; Mundell stellt in diesem zweiten Aufsatz darauf ab, dass dann nicht die Währungsmärkte, sondern die Anleihemärkte für effiziente Ergebnisse sorgen. Hintergrund ist eine damals aufgekommene Diskussion um die stärker als erwarteten Schwankungen der Wechselkurse nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems. Die freien Wechselkurse wirkten sich nicht automatisch so stabilisierend aus, wie Ökonomen dachten (und erhofften). Rüdiger Dornbusch lieferte schließlich mit seinem “Overshooting”-Modell eine Erklärung dafür. McKinnon brachte das Thema Verschuldung in die Debatte ein, und machte darauf aufmerksam, dass eine abwertende Währung Schulden in einer harten (ausländischen) Währung sogar vergrößern könnte und eben nicht für das “außenwirtschaftliche Gleichgewicht” sorgen.
Nicht-optimal wird automatisch optimal
Danach ruhte die OCA-Theorie erst einmal. Es gab politische Diskussionen und schließlich die Entscheidung, den Euro auf den Weg zu bringen, die durch die Unterzeichnung des Maastrichter Vertrages besiegelt wurde. Im Jahr 1999 führte Europa den Euro ein, im selben Jahr bekam Robert Mundell den Wirtschaftsnobelpreis.
Ein Jahr zuvor, 1998, veröffentlichten wiederum die Ökonomen Jeffrey Frankel und Andrew Rose einen ebenfalls berühmt gewordenen Beitrag mit dem Titel „The Endogenity of the Optimum Currency Area Criterion“. Dabei handelt es sich um eine empirische Untersuchung, die zeigt, dass Länder, die eine Währung teilen, tendenziell mehr miteinander handeln und außerdem ihre Konjunktur-Zyklen synchronisieren. Die dahinter stehende These lautet, dass eine Währungsunion sozusagen im Zeitablauf optimal wird, auch wenn sie es zu Beginn noch nicht gewesen ist. Im Hintergrund steht dabei auch die Annahme, dass wirtschaftliche Schwächephasen oder Krisen entsprechende politische Entscheidungen dahingehend tendenziell begünstigen.
Wer das auf die vergangenen Jahre anwendet, findet die Endogenitäts-These zumindest nicht widerlegt. Infolge der Euro-Krise gründeten die Euroländer eine Art europäisches Schatzamt (den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, der gemeinsame Anleihen aller Euroländer begibt). Die Europäische Zentralbank schloss faktisch auf zu den übrigen bedeutenden Notenbanken der westlichen Welt, indem sie ein breites Instrumentarium zusammenstellte und beispielsweise analog zur amerikanischen Notenbank Federal Reserve und der Bank of England Schuldtitel des hinter ihr stehenden Souveräns aufkaufte (QE); in der Währungsunion ist dies bekanntlich ein Pool verschiedener Staatsanleihen und kein einzelner Schuldtitel.
Damit ist ein großer Abschnitt der Theorie hinter dem Euro behandelt. Einen weiteren Teil stellen wir morgen an dieser Stelle vor. Da wird es um Finanzkrisen-Theorie gehen und welche Erkenntnisse daraus im Geist des Maastrichter-Vertrages und der Konstruktion der Währungsunion wiederzufinden sind. Zu Wort kommt dann Paul Krugman.