Die amerikanische Notenbank dürfte in diesem Jahr mehrfach ihren Zins erhöhen. Die Erfahrung zeigt: Ihre Geldpolitik prägt Preise für Kapitalanlagen in der ganzen Welt.
Die in den vergangenen Monaten vorhandenen Zweifel an der Bereitschaft der amerikanischen Federal Reserve, den Leitzins in diesem Jahr mutmaßlich dreimal zu erhöhen, sind an den internationalen Finanzmärkten in den vergangenen Tagen verflogen. Ebenso gilt an den Finanzmärkten eine erste Leitzinserhöhung der Fed nun schon im März als wahrscheinlich, nachdem die Mehrheit der Teilnehmer an den Finanzmärkten zuvor auf den Juni getippt hatte. Über die Bedeutung von Erhöhungen des kurzfristigen Leitzinses auf die amerikanische Wirtschaft – auf das Wirtschaftswachstum, die Inflationsrate, die Arbeitslosigkeit, die langfristigen Anleiherenditen und die Aktienkurse – wird sicherlich noch viel spekuliert werden. Nicht vergessen werden sollten jedoch die internationalen Wirkungen amerikanischer Leitzinserhöhungen. Denn wenn sich die finanziellen Bedingungen im Heimatland der führenden Reservewährung der Welt verändern, strahlen diese Änderungen auf globalisierten Finanzmärkten unverzüglich auf den Rest der Welt aus. Und diese Änderungen können erheblich sein.
Viele Fachleute in Finanzunternehmen, internationalen Organisationen und an Universitäten versuchen seit Jahren, diesen Wirkungen auf die Spur zu kommen. Prominent geworden ist ein Ansatz der international hoch dekorierten französischen Ökonomin Hélène Rey, die in einer Reihe von Arbeiten einen sogenannten globalen Finanzzyklus identifiziert hat. Damit ist gemeint, dass in vielen Regionen gleichgerichtete Kapitalströme zu beobachten sind. So fließt Kapital in Wellen in geographisch weit entfernt liegende Schwellenländer zum gleichen Zeitpunkt hinein und hinaus. Auch lässt sich konstatieren, dass sich rund um den Globus Preise sehr unterschiedlicher Kapitalanlagen häufig in die gleiche Richtung bewegen. Dies spricht für einen starken gemeinsamen Einfluss, der auf die globalen Kapitalströme und auf die Bildung von Preisen für Kapitalanlagen wirkt. Diese Preisbildungen haben häufig wenig mit der jeweiligen wirtschaftlichen Lage in den einzelnen Ländern zu tun. Auf den ersten Blick ist dies erstaunlich, weil nach einer alten Lehrbuchweisheit flexible Wechselkurse die Volkswirtschaften und die Kapitalmärkte einzelner Länder von globalen Einflüssen abschotten sollen. Doch offensichtlich erfüllen die Wechselkurse in der Praxis die ihnen zugedachte Pufferfunktion nicht.
Rey hat in einem zweiten Schritt auf der Basis der vorliegenden Daten zu analysieren versucht, was dieser mysteriöse Einflussfaktor sein könnte, der auf den internationalen Finanzmärkten auf die Richtung der Kapitalströme und auf die Preisbildung an den Kapitalmärkten wirkt. Und sie stellte statistisch eine Verbindung zwischen den Bewegungen in den internationalen Kapitalströmen und Veränderungen des amerikanischen Vix-Index fest. Lag der Vix im historischen Vergleich niedrig, nahm das Volumen der internationalen Kapitalbewegungen zu. Lag der Vix im historischen Vergleich hoch, sank das Volumen der internationalen Kapitalbewegungen. Auch ließen sich statistisch Zusammenhänge zwischen dem Vix und dem Kreditwachstum in der Welt zeigen sowie Zusammenhänge zwischen dem Vix und Verschuldungsquoten in der Welt. Das war sehr auffällig.
Was aber ist der Vix? Der Vix ist ein an der Terminbörse in Chicago ermittelter Index, der konkret die von Finanzmarktteilnehmern in der nahen Zukunft erwarteten Schwankungen amerikanischer Aktienkurse misst. Im übertragenen Sinn gilt der Vix als ein Index, der die Stimmung der Teilnehmer an den Finanzmärkten misst, da der amerikanische Aktienmarkt eine Art Signalfunktion für die anderen Finanzmärkte besitzt. Der Vix besitzt den Ruf eines “Angstindex”: Ist der Index niedrig, zeigt dies geringe Kursschwankungen an, was als Zeichen der Zuversicht der Finanzmarktteilnehmer gilt. Ist der Index hoch, zeigt dies hohe Kursschwankungen an, was als Ausdruck der Unruhe der Finanzmarktteilnehmer gewertet wird.
Seit langem aber ist bekannt, dass die amerikanische Geldpolitik stark auf den Vix wirkt – und damit ist die amerikanische Geldpolitik nach den Analysen Reys der ominöse Einflussfaktor, der indirekt auf die globalen Kapitalströme und Preise von Kapitalanlagen wirkt. Diese Funktion der Fed als einer Art “Zentralbank für die Welt” wird auch von anderen Fachleuten akzeptiert, auch wenn sie zum Teil andere Übertragungswege sehen. So konstatiert der Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Hyun Song Shin, einen seit der Finanzkrise nachlassenden Einfluss des Vix als Signalgeber für die internationalen Kapitalströme. Stattdessen habe der Wechselkurs des Dollars diese Rolle übernommen, sagt Shin. An der These von der internationalen Macht der Fed ändert dies nichts, denn die amerikanische Geldpolitik ist ein wichtiger – wenn auch bei weitem nicht der einzige – Einflussfaktor auf den Wechselkurs des Dollars.
Aber wie wirkt die amerikanische Geldpolitik auf die internationalen Finanzmärkte und damit auf die Weltwirtschaft? Hier sind verschiedene Übertragungswege denkbar, aber in den vergangenen Jahren hat die Fachwelt vor allem auf die Rolle des Dollars als internationaler Verschuldungs- und Anlagewährung geschaut. Viele Unternehmen und Staaten außerhalb der Vereinigten Staaten haben auf Dollar lautende Anleihen ausgegeben; sie sind damit in Dollar verschuldet. Allein die auf nichtamerikanische Unternehmen entfallenden Dollar-Anleihen besitzen ein Volumen von rund 10 Billionen Dollar. Aber auch Schwellenländer wie die Türkei oder Brasilien haben auf Dollar lautende Anleihen ausgegeben. Sie tragen niedrigere Zinskupons als die in der jeweiligen Landeswährung ausgegebenen Anleihen, weil die Anleger auf lange Sicht den Dollar gegenüber diesen Währungen aufwerten sehen. Im Gegenzug halten viele ausländische Anleger auf Dollar lautende Wertpapiere in ihren Portfolios. Wenn sich als Folge von Entscheidungen der Fed die amerikanischen Zinsen und der Dollar-Wechselkurs ändern, beeinflusst dies die Vermögen von Anlegern, die Dollar-Papiere besitzen, ebenso wie ausländische Unternehmen oder Staaten, die in Dollar verschuldet sind. Dies wiederum hat Rückwirkungen auf die Kapitalmärkte und die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Ländern.
So sorgt sich Shin seit langem um die Folgen der hohen Dollarverschuldung von Unternehmen in Schwellenländern. Sie haben die niedrigen Zinsen in den vergangenen Jahren genutzt, um Dollar-Anleihen zu begeben oder Dollar-Kredite bei Banken aufzunehmen. Die aufgenommenen Mittel haben sie in vielen Fällen in ihren Landeswährungen umgetauscht und dort zu höheren Zinsen angelegt. Falls aber nun als Folge von Leitzinserhöhungen der Fed der Dollar gegenüber den Währungen in den Schwellenländern aufwertet, steigt – ausgedrückt in der jeweiligen Landeswährung – die Verschuldung dieser Unternehmen. Sollten sie daher auf Sachinvestitionen in ihren Ländern verzichten müssen, würde das Wirtschaftswachstum leiden.
Aus der Perspektive amerikanischer Kapitalanleger verbindet sich eine Straffung der amerikanischen Geldpolitik mit höheren Zinsen und einem steigenden Dollar mit dem Anreiz, Fremdwährungsanlagen aus dem Ausland aufzulösen und mehr Geld im heimischen Dollar anzulegen. Denn mit einer strafferen amerikanischen Geldpolitik verbindet sich die Aussicht auf Währungsverluste in den Fremdwährungen, während der steigende Zins in den Vereinigten Staaten einen zusätzlichen Anreiz bildet, Geld in den Vereinigten Staaten anzulegen. In den vergangenen Jahren ist es mehrfach zu plötzlichen großvolumigen Kapitalbewegungen zwischen den Vereinigten Staaten und Schwellenländern gekommen, die für Unruhe an den internationalen Finanzmärkten gesorgt haben.
Um die Wahrscheinlichkeit kurzfristig stark schwankender Kapitalströme zu reduzieren, hat in den vergangenen Jahren eine wachsende Zahl von Ländern den Wechselkurs ihrer Währung de facto zu stabilisieren versucht, auch wenn sie keine Politik einer offiziellen Wechselkursanbindung verfolgen. Dies führt in der Praxis dazu, dass diese Länder ihren nationalen Handlungsspielraum in der Geldpolitik reduzieren und ihre nationale Geldpolitik ganz oder überwiegend in den Dienst der Wechselkursstabilisierung stellen. Damit hängen sich diese Länder an die Politik der Fed an. Dies ist ein weiterer Kanal, auf dem sich die amerikanische Geldpolitik in der Welt ausbreitet.
Während dies für viele Schwellenländer mehr oder weniger offensichtlich ist, liegt es für andere Industrienationen nicht ganz so nahe. Aber es ist kein Zufall, dass an den Finanzmärkten seit Jahrzehnten über einen transatlantischen Zinszusammenhang gesprochen wird. Die Zinsen in Europa folgen nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte den amerikanischen nicht sklavisch, aber bei einer langfristigen Betrachtung ist ein Zusammenhang unverkennbar.
Dies bedeutet, dass im Falle mehrerer Leitzinserhöhungen der Fed in diesem Jahr auch die Europäische Zentralbank allmählich daran denken wird, den Fuß vom geldpolitischen Gaspedal zu nehmen. Auf diese Weise werden die kurzfristigen europäischen Zinsen mit einer gewissen Verzögerung den amerikanischen kurzfristigen Zinsen folgen. Im Falle der Renditen langfristiger Staatsanleihen wirken die amerikanischen Renditen nach aller Erfahrung auf die Renditen von Bundesanleihen. So war es kein Zufall, dass im vergangenen Jahr das historische Renditetief zehnjähriger Bundesanleihen wenige Tage nach dem historischen Renditetief zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen zu beobachten war. Nachdem in deutschen Banken und Versicherungen vorübergehend die Entwicklung der langfristigen europäischen Anleihenrenditen fast ausschließlich mit der Geldpolitik der EZB begründet wurde, findet der transatlantische Zinszusammenhang seit dem vergangenen Herbst wieder Aufmerksamkeit.
Globale Verwerfungen an den Finanzmärkten als Folge einer amerikanischen Leitzinserhöhung in den kommenden Wochen sind aus heutiger Sicht nicht zu erwarten. Das zeigt ein Blick auf die zwei wichtigsten Signalgeber für die internationalen Märkte: den Vix und den Wechselkurs des Dollars. Obgleich die Spekulationen über eine baldige Zinserhöhung der Fed zugenommen haben, befindet sich der Vix auf einem in historischer Betrachtung niedrigen Niveau. Er zeigt eine optimistische Grundstimmung an den Finanzmärkten an, aber keine blinde Euphorie. Der Wechselkurs des Dollars gegenüber dem Euro ist in den vergangenen zwei Jahren nicht sehr stark geschwankt – der von manchen Marktteilnehmern erwartete Fall des Kurses unter die “Parität” von einem Dollar für einen Euro ist bis heute ausgeblieben.
Die Gelassenheit erklärt sich auch mit der Wahrnehmung, dass steigende kurzfristige Zinsen in einer Zeit, in der sich das Wirtschaftswachstum in der Welt zu beschleunigen scheint und die Inflationsgefahren leicht zunehmen, kein Krisenphänomen darstellen, sondern einen Schritt auf dem Weg zu einer Normalisierung, den sich viele Teilnehmer seit langer Zeit wünschen. Insofern dürften vorsichtige Leitzinserhöhungen der Fed den meisten Fachleuten willkommen sein.
Die Fed ist dank der überragenden Rolle des Dollars im Welt-Finanzsystem ein Taktgeber für den Rest der Welt, aber kein Diktator. Die internationale Rolle des Dollars bringt den Vereinigten Staaten große Vorteile, aber diese Vorteile können nur erhalten bleiben, solange die Regierung und die Notenbank diese Rolle nicht unterminieren. Die Amerikaner haben kein Interesse an einem zu starken Dollar, weil er ihrer Exportindustrie schadete. Die Amerikaner haben auch kein Interesse an einem zu schwachen Dollar, weil er sich nicht mit der Funktion der amerikanischen Währung als der führenden Reservewährung in der Welt verträgt. Die Fed besitzt ein binnenwirtschaftliches Mandat und eine außenwirtschaftliche Verpflichtung. Auch diese Erkenntnis geht in die Preisbildung an den globalen Kapitalmärkten ein.
Dieser Artikel ist Bestandteil einer Reihe von Beiträgen im Finanzteil der F.A.Z. zur Rolle der Vereinigten Staaten an den internationalen Kapitalmärkten. Vorangegangen sind diese Beiträge:
- Die monetäre Supermacht
- Heißes Verlangen nach Sicherheit
- Das deutsche Problem
- Werden die Schulden zur Bürde für den Dollar?