Frauen arbeiten heute mehr als früher – auch wenn sie Kinder haben. Anreize vom Staat braucht es nicht. Von Jürgen Kaube
Sie erziehe jetzt seit 28 Jahren Kinder, sagt eine Frau. Sie hat vier. Und sie arbeite seit 28 Jahren. Wer Kinder in unterschiedlichen Lebensaltern bekommen hat, also “frühe” ebenso wie “späte”, und wer immer durch Berufsarbeit Geld verdient hat, anfangs vielleicht mehr nolens, später mehr volens, der kommt nach fünfzig Jahren leicht zu einer solchen Selbstbeschreibung. Zugleich ist ihr, die Anfang fünfzig ist, nicht danach, weniger zu arbeiten. Was gut verständlich ist, da sich Erfahrung selbst dann auszahlt, wenn sie sich monetär nicht auszahlt: im Bewusstsein, etwas zu können, in Kontakten, in dem, was Beruflichkeit ist. Sie ist nämlich nicht nur Mittel zur Sicherung des Wohlstandes, sondern auch eine Zone der Bestätigung und Selbsterprobung.
Im zwanzigsten Jahrhundert sind solche Selbstbeschreibungen häufiger geworden. Die Lebensarbeitszeit von Frauen ist gestiegen. Gegenwärtig arbeiten unter den 25 bis 54 Jahre alten Frauen drei Viertel, vierzehn Prozent weniger als bei den Männern, aber dieser Abstand betrug 1980 noch 29 Prozent und 1970 sogar 46 Prozent. Mit der höheren Teilhabe der Frauen am Arbeitsmarkt hat sich ihr zeitliches Profil geändert. Für Frauen der Geburtsjahrgänge vor 1950 hatte er meist die Form eines Buckels. Von ihren Zwanzigern an arbeiteten sie immer mehr, und als sie Anfang fünfzig waren, ging die Teilnahme am Arbeitsmarkt wieder zurück. Inzwischen, so die Ökonomin Claudia Goldin von der Harvard-Universität auf der Grundlage amerikanischer Daten, ist dieser Buckel verschwunden. Er hat in der Mitte eine Delle.
Die typische Lebensarbeitszeitkurve der Jahrgänge ab 1955 steigt ebenfalls steil in ihren Zwanzigern an, fällt aber etwas, wenn die Frauen älter als dreißig und Anfang vierzig sind, und nimmt dann wieder etwas zu. Bei den älteren Jahrgängen lässt sich sogar beobachten, dass die Teilnahme am Arbeitsmarkt von Sechzig- und Siebzigjährigen im Vergleich zu früheren Jahren erheblich zugenommen hat. Mit anderen Worten: Das Profil ähnelt viel mehr als einstmals dem Profil von Männern, nur dass es jene Delle dort nicht gibt und das männliche Beteiligungsniveau immer noch etwas höher ist. Männern, könnten Soziologen sagen, fehlen nach wie vor gute Gründe, auf Berufstätigkeit zu verzichten.
Bemerkenswerterweise geht die Zunahme an weiblicher Berufstätigkeit nach dem Alter von fünfzig Jahren nicht auf Teilzeitarbeit zurück. Vielmehr trägt entscheidend zur Änderung bei, dass Frauen in ihren Vollzeitberufen verbleiben und die Arbeitszeit mit zunehmendem Alter nicht reduzieren. In den Vereinigten Staaten ist der Anteil der Frauen zwischen 65 und 69 Jahren, die vollberuflich arbeiten, zwischen 1965 und 2010 von gut dreißig auf knapp fünfzig Prozent aller weiblichen Beschäftigten dieses Alters gestiegen. Auch das ist ein allgemeiner Trend. In dem Maße, in dem Frauen eine akademische Ausbildung haben, Berufen nachgehen, in denen sie sich entwickeln, ihre Berufe gern ausüben und entweder unverheiratet sind oder mit Männern, die ebenfalls im Altern die Arbeit nicht “zurückfahren”, gleichen sich Frauen an. Insbesondere die Berufszufriedenheit, so Goldin, schlage sich in längerer Partizipation am Arbeitsmarkt nieder.
Männer und Frauen nähern sich in ihrem Verhalten also stärker an, und das gilt auch für ihre Jahre des Alters. Je früher Frauen in den Arbeitsmarkt eintreten, desto länger verweilen sie in ihm. Oder anders formuliert: Je stärker Berufstätigkeit zu einem selbstverständlichen und durch Ausbildung vorbereiteten Engagement wird, desto selbstverständlicher und kontinuierlicher dehnt sie sich auch ins Alter aus.
Goldin spricht von einer “stillen Revolution”, die zunächst vor allem auf dem weiblichen Bildungsverhalten beruht. Im Verlauf des zwanzigsten Jahrhunderts haben steigende Löhne nicht dazu geführt, dass weniger gearbeitet wurde – der sogenannte “Einkommenseffekt” -, sondern sie haben zu mehr Substitution von Freizeit durch Arbeit geführt. Diese Dominanz des Substitutionseffektes über den Einkommenseffekt ist umso eindrücklicher, als die Einkommen der Ehemänner ja ebenfalls gestiegen sind und das altväterliche Argument “Meine Frau muss nicht arbeiten” also trotz steigender Familieneinkommen nicht mehr zieht. Es folgten vielmehr zunehmende Investitionen der Frauen in ihre Fähigkeiten, was zu längeren Karrieren führte und zu Berufen, die weniger gern aufgegeben wurden. Die Möglichkeit, den Zeitpunkt der Familiengründung selbst zu bestimmen, arbeitete einer solchen Ausdehnung des Berufslebens ebenfalls entgegen.
Einen entscheidenden Einfluss auf dieses Muster hat neben der Bildung also die Familienplanung. Anders als im Fall der Mutter, die früh und spät Kinder bekam und währenddessen immer arbeitete, werden Kinder inzwischen immer später geboren, und es sind auch weniger Kinder. Früh Kinder, dann Austritt aus dem Arbeitsmarkt und schließlich Wiedereintritt – das war das alte Muster. Heute sind späte Kinder die Norm, was eine stärkere Bindung an die Berufsarbeit dokumentiert. Die “Eltern(aus)zeiten” der Frauen sind kürzer, der Wiedereintritt erfolgt schneller und ist auf Dauer angelegt. Der Einfluss der Mutterschaft auf das Berufsverhalten ist also zurückgegangen. Der Anteil an Frauen, die bei einer ersten Geburt ihren Job aufgaben, ist zwischen 1980 und 2000 in den Vereinigten Staaten von 28 Prozent auf 19 Prozent gesunken.
Daran ist vor allem bemerkenswert, dass diese Befunde aus einem Land stammen, das nicht gerade für die wohlfahrtsstaatliche Unterstützung von Lebensmodellen – etwa durch Rückkehrgarantien nach der Elternzeit – bekannt ist. Die Beteiligung von Frauen am amerikanischen Arbeitsmarkt ist im Vergleich mit anderen OECD-Ländern eher gering und in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren, wie Goldin notiert, sogar zurückgegangen. Allerdings schneiden die Vereinigten Staaten etwas besser ab, wenn man allein Vollzeitarbeit berücksichtigt. Weibliche Teilzeitarbeit ist in Europa deutlich stärker verbreitet. Mit anderen Worten: Der säkulare Trend in Richtung ausgedehnter Berufskarrieren setzt sich auch unter Umständen durch, die ihn nicht sozialpolitisch begünstigen. Es handelt sich bei der Wahl von Berufskarrieren mithin nicht nur um eine im engeren Sinne ökonomische Entscheidung. Gerade das Muster, dass Frauen je länger im Arbeitsmarkt verbleiben, desto länger es auch ihre Ehegatten tun, deutet darauf hin, dass Berufsarbeit nicht nur eine Einkommensquelle ist, sondern auch ein Lebensstil.
Claudia Goldin, Joshua Mitchell: “The New Life Cycle of Women’s Employment: Disappearing Humps, Sagging Middles, Expanding Tops”, Journal of Economic Perspectives 31 (2017)
Claudia Goldin, Lawrence F. Katz: “Women working longer: Facts and some Explanations”, NBER-Working Paper 22607, September 2016.