Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

“Realwirtschaftliche Modelle sind überholt”

Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrats und Professor an der Universität Würzburg, schaltet sich in die Debatte um die richtige Modellierung von Geld und Banken in makroökonomischen Modellen ein. Im FAZIT-Interview erklärt Bofinger güterwirtschaftliche und geldwirtschaftliche Modelle für unvereinbar. Die Folgen für die Debatte um die säkulare Stagnation zeigt er in einem neuen Arbeitspapier. Für die Lehre an den Universitäten ist aus seiner Sicht das ISLM-Modell immer noch geeignet.

 

 

Herr Bofinger, wie sehen Sie die Debatten zwischen Ökonomen um die Rolle des Geldes und der Banken?

Meines Erachtens ist den meisten Ökonomen dabei nicht bewusst, dass es dabei um den fundamentalen Unterschied zwischen einer realwirtschaftlichen und geldwirtschaftlichen Modellierung des Finanzsystems geht. Diese Unterscheidung war im Prinzip das zentrale Anliegen von Keynes und auch von Schumpeter.

 

Warum ist die Unterscheidung wichtig?

Weil geldwirtschaftliche und güterwirtschaftliche Modelle so weit auseinander liegen wie das kopernikanische und das ptolemäische Weltbild. Die Bewegungsgesetze der Ökonomie unterscheiden sich dabei diametral.

Peter Bofinger

 

Wie begründen Sie das?

Das können wir anhand des Sparens zeigen. Im realwirtschaftlichen Modell ist das Sparen die Voraussetzung für das Investieren. In diesem Modell gibt es kein Geld, sondern ein Standardgut, das man entweder konsumieren oder investieren kann. Damit dieses Standardgut für Unternehmensinvestitionen frei wird, darf es nicht konsumiert werden, es muss gespart werden. Es ist kein Zufall, dass in den realwirtschaftlichen DSGE-Modellen der Sparer im Mittelpunkt steht. Daraus leitet sich auch die Rolle der Banken ab: Da die Banken das Standardgut nicht herstellen können, können sie nur als Intermediäre zwischen Sparern und Investoren vermitteln. Der Finanzmarkt, so beispielsweise Larry Summers, ist deshalb nicht anders zu sehen als der Markt für Weizen. Und wenn das Angebot der Sparer bei einem Zins von Null höher ist als die Nachfrage der Investoren, kann es zu einer „chronischen Sparschwemme“ kommen, die Summers mit dem Phänomen der säkularen Stagnation gleichsetzt.

 

Und wie sieht es in einem geldwirtschaftlichen Modell aus?

Ganz anders. Hier leistet das Sparen der Haushalte keinen positiven Beitrag zum Finanzmarkt. Das hat Keynes mit einem schönen Beispiel gezeigt: Wenn Sie heute Abend Essen gehen wollten und sich nun doch entschließen, zu Hause zu bleiben, haben sie einen höheren Geldbetrag auf ihrem Konto als geplant. Andererseits hätte der Restaurantbesitzer einen höheren Betrag auf seinem Konto, wenn Sie essen gegangen wären. Das Sparen verschiebt Geldbestände zwischen Haushalten und Unternehmen; es wird einfach Geld umverteilt, aber es werden keine Mittel freigesetzt, die für Investitionen eingesetzt werden könnten. Deswegen hat das Sparen der Haushalte im geldwirtschaftlichen Modell keinen direkten Effekt auf den Finanzmarkt.

 

Das sieht man im ISLM-Modell, nicht wahr?

Ja, das ISLM-Modell trennt hier sauber die güterwirtschaftliche und die finanzwirtschaftliche Sphäre. Die Sparentscheidung der Haushalte beeinflusst die Kurve für das Gütermarkt-Gleichgewicht  (IS-Kurve), aber nicht die Kurve für das Geldmarkt-Gleichgewicht (LM-Kurve). In diesem Modell kann es auch keine „Sparschwemme“ geben, da es selbst bei einem Zins von Null immer ein Gleichgewicht von Sparen und Investieren auf der IS-Kurve gibt. Die Notenbank und das ganze Finanzsystem werden ausschließlich in der LM-Kurve abgebildet. Und in der LM-Kurve steckt ein Bankensystem, das nach Maßgabe des Geldschöpfungs-Multiplikators Geld schaffen kann, ohne zuvor auf einen Zufluss von Einlagen angewiesen zu sein.

 

Das entspricht aber dem alten, zurecht in der Kritik befindlichen Geldmultiplikator.

Das ist natürlich ein großer Schwachpunkt des Modells. Es unterstellt, dass die Notenbank die Kreditmenge und damit Geldmenge ausweiten kann, indem sie einfach die Geldbasis erhöht. Es wird also eine Kausalität in der Form unterstellt, dass eine höhere Geldbasis zu einer höheren Geldmenge führt. Wir haben aber seit der Finanzkrise gesehen, dass die Geldbasis in vielen Länder enorm gestiegen ist, ohne dass sie das in einer Ausweitung der Geldmenge niedergeschlagen hätte.

 

Nun steht in Ihrem Lehrbuch: So funktioniert das aber nicht.

Ja, in meinem Lehrbuch wird der Geldschöpfungsprozess preistheoretisch modelliert. Die Notenbank steuert den Geldschöpfungsprozess über den Leitzins und damit über die Zinsen am Geldmarkt. Die Kreditvergabe der Banken folgt dem Ziel der Gewinnmaximierung und dabei kommt der Differenz zwischen dem Zins für Bankkredite und dem Notenbankzins, der mit dem Geldmarktzins weitgehend identisch ist, eine zentrale Rolle zu. Für die sich dabei im Gleichgewicht einstellende Geldmenge stellt die Notenbank die erforderliche Geldbasis passiv zur Verfügung. Die Kausalität läuft hier also von der Geldmenge zur Geldbasis.

 

In Ihrem Lehrbuch steht auch: Banken sind nicht nur Finanzintermediäre. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass Banken für Sie auch Finanzintermediäre sind. Diese Funktion der Banken wird aber von manchen Kritikern bestritten. Was sagen Sie dazu?

Für jede einzelne Bank stellt sich das Problem, dass die von ihr durch Kredite geschaffenen Einlagen zu anderen Banken abwandern können. Sie muss sich diese dann durch Interbanken-Kredite wieder beschaffen. Dies gilt vor allem für große Banken wie die Landesbanken, die sich dann durch die Sparkassen refinanzieren. In diesem Sinne sind sie also auch Intermediäre zwischen den Inhabern von Bankguthaben, die bei Sparkassen gehalten werden, und den Kreditnehmern.  Dabei ist nicht jede Bankeinlage Ausdruck von Sparen. Wenn jemand ein Grundstück oder eine bestehende Immobilie verkauft, ist das kein Sparen, sondern lediglich eine Vermögensumschichtung

 

Was bedeutet das jetzt für die Makroökonomik? Wie bringt man geld- und güterwirtschaftliche Modelle zusammen?

Überhaupt nicht. Wie in der Astronomie muss man sich für eines der beiden Weltbilder entscheiden. Entweder dreht sich die Erde um die Sonne, oder umgekehrt. Da gibt es keine Möglichkeit einer Synthese. Man kann das Finanzsystem güterwirtschaftlich abbilden, mit der „Loanable Funds“- Theorie, dann brauchen Banken das Standardgut von den Sparern, um Kredite zu vergeben. Oder man wählt eine geldwirtschaftliche Modellierung. Dann schaffen Banken mit der Kreditvergabe die Einlagen. Im güterwirtschaftlichen Modell stehen die Sparer im Zentrum, im geldwirtschaftlichen die Investoren.

 

Und wofür soll man sich entscheiden?

Realwirtschaftliche Modelle sind für die Abbildung der Prozesse in einem modernen Finanzsystem genauso überholt wie das Paradigma von Ptolemäus. Sie sind vor allem nicht in der Lage, die unglaubliche Dynamik des finanziellen Sektors abzubilden, wie sie in den Jahren vor der Finanzkrise in Ländern wie den Vereinigten Staaten, in Spanien oder Irland beobachtet werden konnte. Das erklärt ja auch, wieso die Ökonomen (und leider auch ich) nicht in der Lage gewesen sind, die Finanzkrise rechtzeitig zu erkennen. Das Denken im güterwirtschaftlichen Paradigma führt auch dazu, dass promiente  Ökonomen wie Ben Bernanke und Mario Draghi die weltweit niedrigen Zinsen mit einem steigenden Sparen der privaten Haushalte zu erklären versuchen. Doch es zeigt sich empirisch, dass die Sparquoten der Haushalte weltweit deutlich gesunken sind und dass die gesamtwirtschaftlichen Sparquoten nach Abzug der Abschreibungen seit den achtziger Jahren zurückgegangen sind.

 

Und was bleibt dann noch?

Für den Hausgebrauch ist das ISLM-Modell gar nicht so schlecht. Es ist jedenfalls dem schlichten „Loanable Funds“-Modell weit überlegen. Es zeigt insbesondere, dass die weit verbreitete Diagnose einer weltweiten Sparschwemme nicht stimmen kann. Sie würde das Wirtschaftswachstum massiv bremsen. Aber wir haben für die vergangenen Jahre weltweit ein Wachstum, das höher liegt als in den achtziger und neunziger Jahren. Ich verwende in der Lehre eine dynamische Variante des IS/LM-AS/AD-Modells, bei der die Notenbank die Inflationsrate mit dem Realzins steuert. Mit einem  einfachen Geldangebotsmodell kann man unter Berücksichtigung von Eigenkapitalanforderungen für Banken und Beschränkungen der Fristentransformation viele Phänomene, insbesondere die Finanzkrise, gut erklären.

 

Aber viele Ökonomen argumentieren gleichzeitig güter- und geldwirtschaftlich.

Das begann bereits mit Knut Wicksell, der für Gleichgewichtslagen güterwirtschaftlich argumentiert und für Ungleichgewichte geldwirtschaftlich. Paul Krugman und Michael Woodford versuchen sogar, das IS/LM-Modell aus dem „loanable funds-Modell abzuleiten. Manche glauben, dass das geldwirtschaftliche Modell für die kurze Frist, also bei starren Preisen gilt, das güterwirtschaftliche für die lange Frist, also bei flexiblen Preisen. Aber die Fähigkeit der Banken, Kredite aus dem Nichts zu schaffen, wird nicht davon bestimmt, ob Preise flexibel sind oder starr. Und wenn Banken dazu in der kurzen Frist in der Lage sind, sollten sich daran in der langen Frist nichts Grundsätzliches ändern. Wir haben es hier mit dem erstaunlichen Phänomen zu tun, dass die wissenschaftliche Revolution von Keynes, seine Erkenntnis, dass realwirtschaftliche Modelle völlig anderen Bewegungsgesetzen gehorchen als geldwirtschaftliche, über die Zeit völlig in den Hintergrund getreten ist. Und Keynes wurde so darauf reduziert, einfach ein Modell für die kurze Frist geschaffen zu haben.

Das Gespräch führte Gerald Braunberger

 


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