Es besteht kein Widerspruch zwischen der Erkenntnis, dass Banken Geldschöpfung durch Kreditvergabe betreiben, und der Erkenntnis, dass Banken Finanzintermediäre sind.
Im Jahre 1963 ist in den Vereinigten Staaten ein Aufsatz erschienen, der über mehrere Jahrzehnte, zusammen mit anderen Arbeiten des Autors, das monetäre Denken stark beeinflusst hat: Der Aufsatz trug den Titel “Commercial Banks as Creators of Money” und sein Autor war der amerikanische Ökonom und spätere Nobelpreisträger James Tobin. In diesem rein verbalen Papier 1), das keine Grafik und kein mathematisches Modell enthält, skizzierte der Verfasser einen “New View” in der Betrachtung von Geld und Finanzintermediation, der lange nachwirkte.
Tobin stellte eine Frage, die noch heute gerne aufgeworfen wird: Sind Banken besondere Arten von Finanzinstituten? Wer die Frage bejaht, verweist gerne auf die Fähigkeit von Banken, durch Kreditvergabe Geld, also Zahlungsmittel, zu schöpfen. Tobin fand das Argument nicht beeindruckend: “Diese Erklärung ist auf den ersten Blick hin wenig überzeugend. Die Zahlungsmitteleigenschaft von Sichteinlagen ist in der Tat ein Merkmal, das die Verpflichtungen von Banken von denen anderer Finanzintermediäre unterscheidet. Versicherungen auf den Todesfall hin abzuschließen ist in gleicher Weise ein Merkmal, das Lebensversicherungspolicen von den Verbindlichkeiten anderer Finanzintermediäre – einschließlich der Geschäftsbanken – unterscheidet. Es liegt nicht auf der Hand, dass eine Art der Differenzierung für eine spezielle analytische Behandlung ausgewählt werden sollte.”
Mit anderen Worten: Tobin bestritt überhaupt nicht, dass sich Banken durch die Fähigkeit, Einlagen durch Kreditvergabe zu erzeugen, auszeichnen. Aber er fand das nicht besonders weltbewegend. Ebenso hielt Tobin den traditionellen statischen Geldmultiplikator für ein irreführendes Konzept und ebenso war er der Auffassung, dass Banken nicht schon vor der Kreditvergabe an Kunden Guthaben bei der Zentralbank besorgen müssen. All das, was manche Heterodoxe heute als revolutionäre Weisheit verkünden oder als bedeutende neue Erkenntnis der Bundesbank anpreisen wollen, fand sich vor mehr als einem halben Jahrhundert bei Tobin – der aber dennoch kein heterodoxer Ökonom war.
Im Zentrum von Tobins bekanntesten Analysen stand der Ausgangspunkt, dass Wirtschaftseinheiten ihr Vermögen durch Kombination unterschiedlicher Aktiva optimieren wollen und sich dabei an der erwarteten Rendite und am erwarteten Risiko orientieren und daneben andere Eigenschaften von Vermögensgütern wie den Liquiditätsgrad in ihren Entscheidungen berücksichtigen. Der Kern dieser Arbeiten ist vermögenstheoretischer Natur und er ist durch Autoren wie John Maynard Keynes, John Hicks oder Gurley/Shaw beeinflusst.
Wenn wir uns nun die Tätigkeit einer Bank anschauen, stellen wir fest, dass sie wie jedes andere Finanzinstitut durch ihre Geschäfte auf beiden Bilanzseiten Wirtschaftseinheiten Möglichkeiten gibt, ihre Vermögenspläne zu optimieren. DAS ist in dem vermögenstheoretischen Modell die Funktion des Finanzintermediärs – ohne ihn könnten alle Beteiligten, die Kunden der Bank im Aktivgeschäft wie die Kunden der Bank im Passivgeschäft, ihre Pläne nicht optimieren. Indem sich die Bank zwischen die beiden Typen von Kunden setzt, erzeugt sie einen Nutzen, der ohne sie nicht oder nur zu deutlich höheren Kosten realisiert werden könnte.
Nehmen wir den Fall der Bank und lassen wir Tobin sprechen: “Auf der einen Seite stehen die Kreditnehmer, die ihren Bestand an Realaktiva – Lagerhaltung, Grundstücke für den Wohnungsbau, Produktionsanlagen, Ausrüstung usw. – über die Grenzen ihres Nettovermögens hinaus erweitern wollen.” Der Wunsch einer Vermögensoptimierung begründet die Kreditnachfrage, dem Aktivgeschäft der Bank. Aber, und das ist Tobins Punkt, das Ganze funktioniert nur, wenn es auch Wirtschaftseinheiten gibt, die das neu geschaffene Geld als Bestandteil ihrer Vermögen nachfragen. Es sind Wirtschaftseinheiten, “die einen Teil oder ihr ganzes Nettovermögen in Form von Aktiva mit stabilem Geldwert und vernachlässigbarem Risiko der Zahlungsunfähigkeit halten wollen.”
Tobins Fazit: “Die Aktiva von Finanzintermediären sind Verpflichtungen der Kreditnehmer – Wechsel, Obligationen, Hypotheken. Die Verbindlichkeiten von Finanzintermediären sind Aktiva der Kreditgeber – Bankdepositen, Versicherungspolicen, Pensionsrechte. Intermediäre übernehmen typischerweise Verbindlichkeiten mit geringerem Verlustrisiko und größerer Vorhersagbarkeit ihres Wertes, als ihre Aktiva aufweisen.” 2)
Es ist offensichtlich, dass Banken in diesem Modell Finanzintermediäre sind – übrigens nicht, obwohl sie Geldschöpfung durch Kreditvergabe betreiben, sondern weil sie Geldschöpfung durch Kreditvergabe betreiben. Und schon bei Tobin steht, dass die Gewinnmaximierung der Bank ebenso wie Regulierungen dafür sorgen, dass die Banken nicht grenzenlos “Geld aus dem Nichts” erzeugen werden.
- Man hat Tobin noch in jüngerer Zeit vorgehalten, dass er sein Modell nicht formalisiert habe. Der Vorwurf ist unzutreffend, ein entsprechender Aufsatz ist 1982 im Scandinavian Journal of Economics erschienen.
- Auch aus heutiger Sicht erscheint Tobins Beschreibung des Bankverhaltens realistisch: “Tobin’s general description of banking holds up well today. Commercial banks manage credit risk, liquidity risk, and interest rate risk, among other types of risk. They have systems for the measurement of risk and for the allocation of capital to those risks and to the individual banking businesses that incur them. There is an overarching oversight process that includes risk committees and asset-liability committees (ALCOs) undertaking regular systematic reviews of risk exposures. Strategy decisions are made about target asset-liability mixes and pricing parameters. There are internal funds transfer pricing systems to ensure that current market interest rates are reflected immediately in the interest margins that result for each separate banking business according to current asset and liability pricing. These various management components survey and steer the financial intermediation effect in its totality. Moreover, all types of financial intermediaries manage their balance sheets with such techniques of portfolio management, risk management, asset-liability management, and capital allocation. Just as the bank lending officer ignores the reserve position in making lending decisions (a point made often by heterodox observers), risk and asset-liability managers ignore “loan create deposits”. The deposit origination process is simply not relevant to the portfolio management approach. It is an operational feature of minimal importance – according to Tobin’s strategic portfolio management description – and in fact. For example, the critical credit risk characteristic of an individual loan has nothing to do with the fact that loans create deposits. Banks are concerned with risk to net interest margins, not the fact that demand deposits are created endogenously.”
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