Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Deutsche Bundesbank läutet die Reformation der Makroökonomik ein – oder doch nicht?

Der Makroökonom Rüdiger Bachmann hat in einem Interview mit FAZIT harte Kritik an den monetären Vorstellungen heterodoxer Ökonomen geübt. Mit diesem Beitrag bringen wir eine Replik von Dirk Ehnts. (gb.)

 

Ein Gastbeitrag von Dirk Ehnts

In dem Interview mit dem Makroökonomen Rüdiger Bachmann unter dem Titel „Es werden Scheindebatten geführt“ wurde jüngst an dieser Stelle über Geldtheorie diskutiert. Anlass waren meine Beiträge in der “Ökonomenstimme”, welche unter anderem Bezug nahmen auf einen Artikel der Deutschen Bundesbank, der im Monatsbericht April 2017 erschien. Im Folgenden möchte ich die Diskussion versachlichen und die wesentlichen Punkte herausarbeiten.

 

 

 

 

 

Herr Bachmann, die Bundesbank und ich sind uns in einigen Punkten einig: Geschäftsbanken schöpfen Geld durch Kreditvergabe, und die Zentralbank übt über ihre Zinsen einen Einfluss mindestens auf die Kreditnachfrage aus. In dem Moment der Kreditvergabe, wenn also die Unterschriften der beiden Parteien trocknen, erhöht die Bank den Kontostand des Kreditnehmers. „Dies widerlegt einen weitverbreiteten Irrtum, wonach die Bank im Augenblick der Kreditvergabe nur als Intermediär auftritt, also Kredite lediglich mit Mitteln vergeben kann, die sie zuvor als Einlage von anderen Kunden erhalten hat“, kommentieren die Autoren der Bundesbank in dem oben genannten Aufsatz.

Herr Bachmann erwähnt selbst, dass in manchen Einführungsveranstaltungen ein damit verbundenes Modell des „Geldmultiplikators“ gelehrt wird, in dem, so der Gesprächspartner Gerald Braunberger, „die Zentralbank über die Zuteilung von Zentralbankengeld die Menge des Geschäftsbankengeldes eng und mechanistisch steuern kann“. Laut Herrn Bachmann sind die Modelle in Einführungsvorlesungen „aus pädagogischen Gründen sehr einfach“; später würden die Studierenden dann realistischere Modelle kennenlernen.

An dieser Stelle möchte ich zwei Fragen aufwerfen. Erstens, gibt es innerhalb der Ökonomie einen Konsens über die Frage der Geldschöpfung, so wie ihn Bachmann ausmacht („Das ist den Ökonomen alles bekannt.“)?

Zweitens, inwiefern ist das Modell der Bank als Intermediär mit der Zentralbank als Institution, die via „Geldmultiplikator“ Kreditmengenwachstum und damit Inflation steuert, eine „Vereinfachung“?

 

Paul Krugman vs Steve Keen: Diskussionsbedarf

Kommen wir zu der Frage, ob innerhalb der Ökonomik ein Konsens herrscht. Vor inzwischen fünf Jahren gab es eine kurze, aber heftige Debatte zwischen den Makroökonomen Steve Keen (Heterodox United) und Paul Krugman (Mainstream City). Steve Keen legte vor mit folgendem Minsky-Zitat:

“For real aggregate demand to be increasing, . . . it is necessary that current spending plans, summed over all sectors, be greater than current received income and that some market technique exist by which aggregate spending in excess of aggregate anticipated income can be financed”.

Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage kann nach Hyman Minsky nur wachsen, wenn die geplante Ausgabenhöhe der Akteure höher liegt als die erhaltenen Einkommen, und folglich muss es eine Marktlösung geben, durch welche diese Differenz finanziert wird. Mit anderen Worten: Die Kreditschöpfung der Banken oder andere Finanzierungsarten wie die Ausgabe von Aktien oder Wertpapieren finanzieren zusätzliche Ausgaben, meist Investitionen. Diese werden eben nicht durch Einnahmen finanziert und auch nicht durch Konsumverzicht anderswo, wie es Herr Bofinger letzte Woche in seinem Beitrag auf FAZIT treffend herausarbeitete.

Paul Krugman, der gerade ein Modell mit Bezug auf Minsky entworfen hatte, war damit gar nicht einverstanden und konterte:

“If I decide to cut back on my spending and stash the funds in a bank, which lends them out to someone else, this doesn’t have to represent a net increase in demand”.

Dies ist nichts anderes als die Sichtweise der Bank als Intermediär: Die Ersparnisse der einen wandern in die Bank und die verleiht sie dann an jemanden anders. Da die Diskussion damit endete, dass sich beide Ökonomen zurückzogen auf die eigenen Positionen, kann ich daraus nur schließen: Hier besteht Diskussionsbedarf. Paul Krugman ist Nobelpreisträger und Kolumnist der New York Times und Steve Keen ist bzw. war Leiter der „School of Economics, History and Politics“ in Kingston bei London.

Es gibt noch weitere Indizien, die auf einen Diskussionsbedarf schließen lassen. So wurde der Artikel der Bank of England zur Geldschöpfung – “Money creation in the modern economy” – bis heute satte 368-mal zitiert. Mein Artikel bei “Ökonomenstimme” ist aktuell der meistgelesene Artikel der letzten 30 Tage mit über 6000 Aufrufen und inzwischen fast 300 Kommentaren – ein Rekord bei Ökonomenstimme. Die durchschnittliche Bewertung von 3,44 deutet wohl darauf hin, dass es sehr gemischte Reaktionen auf den Inhalt gab.

 

Die Dinge einfacher machen, aber nicht zu einfach

Wenn die beiden Theorien sich entgegenstehen und kein Konsens in der Disziplin herrscht, dann wäre dies an sich für die Ökonomik zwar unbefriedigend, aber kein Beinbruch. In der Physik koexistieren seit etwa einhundert Jahren Quantenelektrodynamik und Allgemeine Relativitätstheorie ohne große Probleme für die Reputation der Disziplin. Nun hat Herr Bachmann behauptet, die Lehre vom „Geldmultiplikator“ – Banken verleihen Geld von der Zentralbank gleich mehrfach weiter an Haushalte und Unternehmen – wäre ein Modell, welches „aus pädagogischen Gründen sehr einfach“ gehalten wäre. Meiner Meinung nach ist diese Aussage verharmlosend. Die Darstellung ist nicht vereinfacht, sondern schlichtweg falsch.

Weder die Bestimmung der Geldmenge durch die Zentralbank, so wie es das IS/LM-Modell beschreibt, noch die Idee der Umwandlung von Ersparnisse in Investitionen durch die Banken hält einer empirischen Überprüfung stand. So schreibt die EZB auf ihrer Internetseite: „The interest rates on the marginal lending and deposit facilities normally provide a ceiling and a floor for the overnight market interest rate“. Der Übernachtzins wird also durch die Zinssätze der Einlagefazilität nach unten und Spitzenrefinanzierungsfazilität nach oben beschränkt. Von Veränderungen der Geldmenge ist hier keine Rede. Auch Ulrich Bindseil, der geschäftsführende Direktor der EZB, der für das Tagesgeschäft zuständig ist, kritisiert in seinem weitverbreiteten Standardwerk „Monetary Policy Operations and the Financial System“ den Ansatz des „Geldmultiplikators“ als „wenig überzeugend“ („hardly convincing“, Seite. 32). Auch er sieht übrigens Kreditschöpfung als Prozess der Verlängerung der Bankbilanz.

Wenn also das Modell des „Geldmultiplikators“ keine Vereinfachung der Realität ist, sondern schlicht und einfach falsch, warum wird es dann gelehrt? Und wenn es gelehrt wird, warum wird den Studierenden dann nicht gesagt, dass sie hier eine Vereinfachung vor sich haben bzw. eine Verfälschung, die später dann gegebenenfalls korrigiert wird? In den aktuellen Lehrbüchern von Mankiw und Blanchard finden sich jedoch keine derartigen Hinweise. Auch im hinteren Buchteil gibt es keine Klarstellung bzw. Richtigstellung, Taylor-Regel hin oder her. Die Taylor-Regel besagt eh lediglich, dass die Zentralbank den Zins setzt – was die Studierenden dann verwirrt, weil sie ja auch schon die Geldmenge kontrolliert – und dass es einen Mechanismus gibt, der Zins und Investitionen miteinander verknüpft. Dieser Mechanismus, dass also niedrige Zinsen zu hohen Investitionen führen, funktioniert aber schon seit 2007 nicht mehr, und das ist ja Teil des Versagens der Modelle.

Zwei Schlussfolgerungen sind aus dem Einsatz von Geldmultiplikator-Modellen in Lehrbüchern der Makroökonomik zu ziehen: entweder wissen es die Lehrbuchautoren und die Dozenten nicht besser, oder sie nehmen eine Fehlinterpretation der Studierenden in Kauf. Beides sollte man zum Anlass nehmen, den aktuellen Einsatz dieser Lehrbücher zu überdenken. Dabei sollte man auch die Lehrbücher der Einführungsveranstaltungen durchsehen, denn auch die hängen häufig noch der überholten Theorie des „Geldmultiplikators“ an. Gerald Braunberger fand viele Lehrbücher mit „richtiger“ Geldtheorie, aber keines der Werke war eines zur Makroökonomik. Genau da aber liegt das Problem, den Makroökonomie hören meist alle Studierenden (inklusive der BWLer) im Bachelor-Studium und Geldtheorie nur noch ein Teil (VWLer, aber auch nicht alle) im Master-Studium. Es geht also die Mehrzahl der Studierenden mit einer falschen Vorstellung der Funktionsweise von Geld von der Universität ab.

Es sind die weitverbreiteten makroökonomischen Lehrbücher von Mankiw, Blanchard aber auch Krugman, in denen die Geldschöpfung nicht korrekt dargestellt wird. Diese Lehrbücher werden an vielen deutschsprachigen Universitäten genutzt, ohne dass auf die Irrtümer der Geldtheorie hingewiesen werden würde. Die Freie Universität (FU) Berlin beispielsweise listet für ihre Veranstaltung „Grundlagen der Makroökonomie“ als Literatur die Werke von Mankiw (plus Arbeitsbuch) und Blanchard auf. In meiner Zeit als Vertretungsprofessor an der FU hatte ich das Gefühl, dass die Studierenden im Bachelor Economics keine andere Geldtheorie kannten als den „Geldmultiplikator“.

Bei Blanchard wird der „Geldschöpfungsmultiplikator“ erklärt, bei Mankiw ist es ebenso, wie ein Aufsatz von Di Muzio und Noble aufzeigt (Seite 89): der Kunde bringt Bargeld zur Bank, und diese verleiht dann sein Geld weiter. Krugman/Obstfeld/Melitz, deren Standardwerk „Internationale Wirtschaft“ wohl an den meisten Unis benutzt wird, schreiben u. a. auf Seite 440: „Einlagen werfen deshalb Zinsen ab, weil sie in Wirklichkeit Kredite an die Bank darstellen“. Der Kreditnehmer nimmt also einen Kredit auf, die Bank schreibt ihm Einlagen gut auf seinem Konto, und dann verleiht der Kreditnehmer seine Einlagen zurück an die Bank? Das passt so nicht zusammen, und das Resultat ist Verwirrung statt Klarheit an einem der wesentlichen Punkte der Ökonomik, nämlich der Rolle des Geldes.

 

Die stille (R)Evolution der Makroökonomie

Inzwischen haben viele Ökonomen die Sichtweise der Kreditschöpfung als Bilanzverlängerung übernommen, u. a. die Bank of England, die Bundesbank, die EZB sowieso, der Princeton-Ökonom Markus Brunnermeier, Joseph Stiglitz und das Lehrbuch des CORE-Projekts, welches vom Institute for New Economic Thinking unterstützt wird. Auch mein eigenes Buch erklärt die Kreditschöpfung der Banken (wie auch der Zentralbank) in der Eurozone als Bilanzverlängerung. Dass Autoren wie Wicksell, Keynes und Schumpeter die Kreditschöpfung schon Anfang des 20. Jahrhunderts verstanden, ist dabei zwar für das Verständnis einer modernen monetären Ökonomie des 21. Jahrhunderts irrelevant, sollte aber in ideengeschichtlichen Vorlesungen behandelt werden.

In meinen Artikel bei Ökonomenstimme und anderswo habe ich immer betont, dass viele heutige Lehrbücher der Makroökonomie und die aktuelle Sichtweise der Bundesbank nicht zusammenpassen. Die Bundesbank war lange Jahre monetaristisch geprägt, u. a. durch Otmar Issing, einen der Gründungsväter des Euros, der noch 2010 eine Rückkehr des Monetarismus prophezeite. Die Geburtsfehler des Euros sind heute weitestgehend behoben, es ist eher der fehlende fiskalische Gegenpart, welcher die Eurozone unten hält. Otmar Issing hat also auf wackliger theoretischer Basis eine stabile Zentralbank geschaffen – eine Leistung, der Anerkennung gebührt. Heute hat sich die Bundesbank, übrigens letzte Woche vor genau 60 Jahren gegründet, von den alten monetaristischen Positionen emanzipiert und ist nun in ihrer Geldtheorie progressiver als große Teile der akademischen Welt. Um nichts Anderes ging es mir in dieser Debatte, als dies aufzuzeigen.

 

 


Zum Thema „Geld und Makroökonomik“ sind zuletzt erschienen: