Gibt es Sexismus in den deutschen Wirtschaftswissenschaften? Isabel Schnabel, Inhaberin der Professur für Financial Economics an der Universität Bonn und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, äußert sich im Interview mit FAZIT. Sie konstatiert “ein stark männlich geprägtes Klima”.
Frau Schnabel, in amerikanischen Ökonomenzirkeln wird seit mehreren Wochen über Sexismus in der Zunft diskutiert, aufgehängt an einer Arbeit über die in dem Internetportal Economic Job Market Rumors (EJMR) verwendete Sprache. Wie nehmen Sie diese Debatte wahr?
Ich habe den Eindruck, dass diese Debatte noch gar nicht richtig nach Deutschland herübergeschwappt ist.
Wie erklären Sie das?
Die Amerikaner sind in Fragen der Diskriminierung einfach sensibler.
Direkt gefragt: Ist Sexismus in den deutschen Wirtschaftswissenschaften ein Problem?
Offenen Sexismus habe ich persönlich selten erlebt. Ich glaube nicht, dass dies das Hauptproblem ist. Es geht eher darum, dass wir in den deutschen Wirtschaftswissenschaften ein stark männlich geprägtes Klima haben.
Was meinen Sie damit?
Die Art der Auseinandersetzung ist männlich geprägt. Viele Frauen fühlen sich in diesem Klima, das durch eine große Aggressivität gekennzeichnet ist, nicht wohl. Das findet auch nicht nur anonym im Internet statt, sondern auch öffentlich.
Wo?
Zum Beispiel in Forschungsseminaren. Da gibt es gelegentlich einen Umgangston, über den man sich nur wundern kann. Frauen reagieren darauf anders als Männer. Sie neigen eher dazu, sich dann zurückzuziehen. Mir sind immer wieder Nachwuchswissenschaftlerinnen begegnet, die gesagt haben: “Das tue ich mir nicht mehr an. Ich möchte nicht immer dieses extrem aggressive, negative Feedback bekommen.” Positives Feedback erhält man hingegen selten.
Ist nach Ihrer Wahrnehmung das Klima in solchen Veranstaltungen generell oder im Besonderen gegenüber Frauen aggressiv?
Ich habe beobachtet, dass sich die Aggressivität in Fällen, in denen ein aggressives Verhalten nicht mit gleicher Münze beantwortet wurde, noch verstärkt hat. Frauen sind in einer solchen Situation häufiger defensiv, und dann kann das Klima sehr unangenehm werden.
Das klingt unerfreulich.
Es ist aber nicht überall so. Wir haben beispielsweise hier an der Uni Bonn ein Finance-Seminar, in dem ein sehr konstruktiver Ton gepflegt wird. In diesem Seminar sitzen aber auch überdurchschnittlich viele Frauen.
Ist das männliche Verhalten auch ein Generationenproblem?
Nein, das finde ich nicht. Ein solches Verhalten lässt sich jungen wie bei älteren Kollegen beobachten. Übrigens sind es auch nicht immer nur die Männer. Manchmal agieren in Veranstaltungen, an denen überwiegend Männer teilnehmen, auch Frauen sehr aggressiv. Die Frauen verhalten sich dann wie die Männer. An diesen Gruppenphänomenen müssen wir arbeiten, damit das Arbeitsumfeld für Frauen attraktiver wird.
Wie lassen sich Änderungen herbeiführen?
Man muss mehr Frauen auf Lebenszeitprofessuren bringen, ansonsten wird sich gar nichts ändern. Nur dann wird sich die Fachkultur wandeln. Das ist ein langwieriger Prozess, der bei der Nachwuchsförderung oder sogar schon bei der Rekrutierung von Studierenden beginnt. Mehr Frauen auf Lebenszeitprofessuren bedeuten auch mehr Vorbilder für die jungen Frauen.
Viele Diskriminierungen erfolgen übrigens vermutlich unbewusst.
Sie meinen, viele Ihrer Kollegen sehen das Problem gar nicht?
Die Verfahren, nach denen wir arbeiten, sind von Männern für Männer gemacht, und es ist gut möglich, dass Frauen hierüber benachteiligt werden. Die Literatur zeigt außerdem, dass es viele unbewusste Verzerrungen, also Geschlechter-Stereotpyen, gibt, die dazu führen, dass Männer für kompetenter gehalten werden. Das spiegelt sich dann auch in Gutachterprozessen oder beim Zitieren wider. Man muss daher zunächst einmal das Bewusstsein für diese Probleme schärfen. Erst danach sind Änderungen möglich.
Hat sich die Situation in den vergangenen Jahren verändert?
Ja, durchaus. Dafür gibt es mehrere Gründe. Institutionen wie die DFG schenken dem Thema mittlerweile große Beachtung. Heute kann keine Fakultät mehr einen Antrag auf ein Graduiertenkolleg oder einen Sonderforschungsbereich stellen, wenn sie nicht auch Frauen in die erste Reihe stellen. Das hat allmählich auch Einfluss auf die Berufungspolitik. Selbst wenn es noch nicht viele Frauen auf der Ebene der Lebenszeitprofessuren gibt, sind sie unter den Nachwuchswissenschaftlern inzwischen gut vertreten. Außerdem haben sich die Frauen mittlerweile besser organisiert und eigene Netzwerke gebildet. Der Verein für Socialpolitik nimmt das Thema inzwischen sehr ernst. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass dort inzwischen mehr Frauen auf der Vorstandsebene vertreten sind.
Rüdiger Bachmann hat im FAZIT-Interview gesagt, junge Frauen wären dadurch benachteiligt, dass sie oft gerade in der Zeit Kinder bekommen, in der sie als junge Wissenschaftler stark gefordert sind. Stimmt dieser Eindruck?
Das ist in der Tat ein großes Problem. Die Babyphase fällt typischerweise genau in die Lebensphase, in der einerseits die größte Anstrengung erforderlich ist und andererseits die Unsicherheit am höchsten ist. Zum Glück haben wir heute mehr Tenure-track-Stellen, die es Frauen erleichtern, Familie und Beruf miteinander zu verbinden. Die Zeit bis zur Tenure-Entscheidung wird in der Regel verlängert, wenn Frauen Kinder bekommen. Allerdings können auch Männer eine Verlängerung bewirken, indem sie ins Ausland gehen. Dort können sie forschen und ihre Netzwerke vergrößern, was für die Frau mit kleinen Kindern viel schwieriger ist. Faktisch haben die Männer dann mehr Zeit, um zu publizieren. Das ist vor allem deshalb relevant, weil unsere Berufungsverfahren sehr stark von relativ seltenen Ereignissen, nämlich Publikationen in Top-Journalen, abhängig sind.
Hinzu kommt, dass Frauen übermäßig stark durch forschungsfremde Tätigkeiten belastet sind, weil die Universitätsgremien mit genügend Frauen besetzt werden sollen, aber viel weniger Frauen als Männer zur Verfügung stehen.
Ich wiederum höre gelegentlich von Männern, sie fühlten sich in den Wirtschaftswissenschaften gegenüber Frauen benachteiligt.
Ja, nicht alle Männer sind über die Frauenförderung glücklich. Ich höre auch bei männlichen Nachwuchswissenschaftlern häufig, dass sie sich darüber Sorgen machen. Aber schließlich wurden Frauen jahrelang zumindest implizit benachteiligt. Um dies zu kompensieren, wird man nicht umhinkommen, es eine Zeitlang umgekehrt zu machen. Die Männer selbst haben aber daran kein besonderes Interesse, daher darf man die Frauenförderung auch nicht den Männern überlassen.
Als Beatrice Weder di Mauro Mitglied des Sachverständigenrats wurde, sagten manche Männer: Diese Position wird von nun an für eine Frau reserviert bleiben…
… und dann kamen erst Claudia Buch und dann ich (lacht.)
Haben Sie jemals Vorbehalte gespürt?
Ich bin von Journalisten gefragt worden, ob ich mich als Quotenfrau verstehe.
Und?
Ich habe mich nie als Quotenfrau gesehen. Denn es gab ja keinen männlichen Kandidaten, der in meinem Fachgebiet offensichtlich besser qualifiziert gewesen wäre. Ich vertrete mit Banking/Regulierung übrigens ein Gebiet innerhalb der VWL, in dem ohnehin relativ viele Frauen arbeiten. Daher ist es vielleicht gar nicht so ungewöhnlich, dass dieses Themengebiet dreimal mit einer Frau besetzt wurde.
Warum zieht es die Frauen in diesen Bereich?
Es gibt Studien, nach denen sich Frauen angeblich lieber mit Regulierungsthemen befassen als Männer. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber es fällt schon auf, dass im Bereich Finanzmarktregulierung viele Frauen tätig sind. Das gilt auch im Bereich der Policy-Institutionen. Dagegen findet man zumindest in Deutschland im Asset Pricing weniger Frauen – wie übrigens auch in der Makroökonomik.
Kann es sein, dass die Debatten in der Makroökonomik auch deswegen so hart sind, weil dort das gesicherte Wissen eher gering ist und politische Einstellungen eine größere Rolle zu spielen scheinen als in anderen Feldern?
So weit würde ich nicht gehen. Aber der Diskussionsstil unter den deutschen Makroökonomen ist in der Tat besonders hart.
Das Gespräch führte Gerald Braunberger.
Interessante Literatur zum Thema:
Babcock et al. (AER 2017): Frauen akzeptieren eher Tätigkeiten, die ihrer Karriere wenig förderlich sind, und werden daher auch eher gefragt
Sarsons (2017): Frauen werden für Koautorenschaften, vor allem solche mit Männern, stärker bestraft
Hengel (2016): Gutachter stellen an die Papers von Frauen höhere Anforderungen, Papers von Frauen brauchen bei Econometrica im Schnitt 6 Monate länger