Der amerikanische Ökonom Richard Thaler bekommt den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Er will die Menschen manipulieren.
Ökonomen zu verspotten ist einfach. Man schaue sich die Modelle an, mit denen sie die Welt erklären wollen, und fange an zu lachen. Da gibt es Märkte, auf denen Verkäufer und Käufer immer alles wissen. Da gibt es Gleichgewichtsmodelle, in denen eine quicklebendige Wirtschaft in einer Art Friedhofsruhe erstarrt. Da gibt es wohlmeinende Diktatoren, die gottgleich eingreifen und Politik zum Wohle der Menschen machen. Nicht zuletzt gibt es die Figur des Homo oeconomicus, der perfekt informiert ständig Nutzen und Kosten vergleicht und völlig emotionslos seinen Nutzen maximiert. Der Mensch wird zu einer Rechenmaschine reduziert, die rational entscheidet und nur ihr eigenes Wohl verfolgt. Genug gelacht?
Als Reaktion auf die oft spöttische Kritik an ihrer Zunft finden Ökonomen in der Regel zwei Antworten. Die erste ist ein Appell an die Vernunft. Natürlich entsprechen die unrealistischen Annahmen der Modelle nicht völlig der Wirklichkeit, gestehen Ökonomen dann freimütig ein. Zugleich aber betonen sie, dass die Modelle helfen, das Marktgeschehen zu verstehen. Das ist keine billige Ausflucht. Ein Modell, das die Wirklichkeit vollständig erfasst, wäre so hilfreich wie eine Landkarte im Maßstab 1:1. Wie eine gute Landkarte müssen Modelle die Wirklichkeit reduzieren, um als Wegweiser dienen zu können.
Tatsächlich überrascht beim Blick in die Wirklichkeit immer wieder, wie viel das so geschmähte Menschenbild des Homo oeconomicus erklären und beschreiben kann. Menschen kaufen mehr von einem Gut, wenn der Preis sinkt? Um das verstehen, reicht das Bild des Menschen als Nutzenmaximierer. Unternehmen beschäftigen weniger Mitarbeiter, wenn die Löhne steigen? Dazu reicht das Unternehmen als Gewinnmaximierer. Politiker wechseln ihre Meinung wie andere das Hemd? Um solchen Populismus zu erklären reicht es oft, den Politiker als Stimmenmaximierer anzunehmen.
Menschen handeln
Die zweite Antwort von Ökonomen auf den Vorwurf realitätsferner Modelle kommt der Suche nach Besserem gleich. In diese Kategorie fällt der amerikanische Ökonom Richard Thaler, der seit Jahrzehnten gegen das Zerrbild des Homo oeconomicus anrennt. Als Mitbegründer der Verhaltensökonomik hat er dokumentiert, dass Menschen sich nicht immer so verhalten, wie es die Modelle perfekter Rationalität nahelegen. Für diese Arbeiten wurde ihm jetzt der Preis der Schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Erinnerung an Alfred Nobel zugesprochen. Die wichtigste Erkenntnis seiner Forschung sei, dass wirtschaftlich Handelnde Menschen seien, sagt Thaler. Solche Worte entsprechen so gar nicht dem verbreiteten Bild eines kaltherzigen Ökonomen. Der Applaus auch des breiten Publikums ist gewiss.
Thalers Studien überraschen oft, weil sie herkömmliche Erkenntnisse der Ökonomik auf den Kopf stellen. Ein rationaler Homo oeconomicus wird rational beginnen, früh für die Altersvorsorge zu sparen. Menschen aber neigen dazu, die Zukunft geringzuschätzen und das Sparen immer wieder zu verschieben. Man kann das die Scarlett-O’Hara-Theorie der Altersvorsorge nennen: Morgen ist auch noch ein Tag! Um diesem Schlendrian vorzubeugen, können Menschen sich zu Sparprogrammen verpflichten und ihr künftiges Ich binden. Ein Homo oeconomicus hat das nicht nötig.
In anderen Studien zeigt Thaler, dass Menschen einen Gegenstand, den sie besitzen, höher bewerten als den gleichen Gegenstand, der im Geschäft zu kaufen ist. Allein der persönliche Besitz verleiht einen besonderen Wert. Damit geht eine menschliche Tendenz einher, lieber Verluste zu vermeiden als mögliche Gewinne in gleicher Höhe einzustreichen. Einem Homo oeconomicus wäre das gleich. Menschen aber neigen in Experimenten dazu, mehr zu zahlen, um den Verlust von 100 Euro zu vermeiden, als für die Chance, 100 Euro zu gewinnen. Diese Asymmetrie kann teuer werden. Manche Anleger zögern, Aktien abzustoßen, deren Kurse in den Keller rauschen. Sie hoffen, dass der Verlust sich noch vermeiden lässt. Im Gegensatz dazu verkaufen sie Aktien zu schnell, wenn die Kurse steigen.
Menschen machen Fehler
Thaler dokumentiert, dass manche Menschen sich Gerechtigkeit und Fairness etwas kosten lassen. Oder er zeigt auf, dass Menschen ihren Nutzen nicht ständig maximieren. Viele Touristen geben fern der Heimat Trinkgeld, obwohl sie den Kellner nie wiedersehen werden. Ein Homo oeconomicus dagegen weiß, dass er sich das künftige Wohlverhalten des Kellners nicht zu erkaufen braucht. Dass Menschen trotzdem Trinkgeld geben, liegt vielleicht daran, dass sie Verhaltensregeln folgen und nicht maximieren. Ein anderes Beispiel: Obwohl wegen einer Messe in der Stadt Hochbetrieb herrscht, hört ein Taxifahrer früh zu arbeiten auf, weil er an dem Tag genug Geld verdient hat. Ein Homo oeconomicus führe dagegen weiter, um die große Nachfrage zu nutzen. Folgen Taxifahrer der Regel, eine bestimmte Summe Geld am Tag zu verdienen, hat das unerwünschte Folgen. An Tagen des Hochbetriebs hören sie dann früher auf als an Tagen mit wenigen Kunden. Im Endergebnis stünden zu Messezeiten wenig Wagen zur Verfügung, zum Ärger der Kunden. Übers Jahr gesehen, bräuchten die Fahrer zudem mehr Stunden, um die gleiche Summe Geld zu verdienen, als wenn sie ökonomisch maximierten.
Die Arbeiten des Nobelpreisträgers erweitern das Verständnis für individuelles Verhalten. Eine ganz andere Frage aber ist, wie hilfreich sie sind, um Märkte zu verstehen. Genau da setzt eine Kritik an Thaler an. Machen nur wenige Taxifahrer im Hochbetrieb früh Schluss, wird etwa der Taximarkt immer noch besser mit nutzenmaximierenden Homines oeconomici beschrieben als mit Thalers Varianten menschlichen Verhaltens. Menschen können ferner lernen und ihr Verhalten ändern, um mehr Nutzen zu geringeren Kosten zu erlangen. Der Mohr des Homo oeconomicus kann vielleicht doch noch nicht gehen.
Menschen manipulieren
Der Laureat aber zeichnet die Menschen als Wesen, die Fehler machen, weil sie sich ökonomisch nicht rational verhielten. Das Leitbild des Homo oeconomicus feiert so fröhliche Urstände, nicht als Verhaltensannahme, sondern als normative Zielvorgabe. Thaler will den Menschen helfen, Fehler zu vermeiden, und hat dazu die Theorie des Schubsens entwickelt. Menschen sollen nicht mit Geboten gemaßregelt werden, sondern nur Anstöße erhalten, um von alleine in die richtige Richtung zu gehen. Was die richtige Richtung aber ist, bestimmt wieder ein wohlmeinender Diktator oder Herr Thaler. So sehr unterscheidet die Verhaltensökonomik sich dann doch nicht von traditioneller Ökonomik.
Regierungen haben die Idee des Schubsens begierig aufgenommen und Verhaltensökonomen eingestellt. Ein Beispiel: Menschen tun sich schwerer, einen Altersvorsorgevertrag zu kündigen als solch einen Vertrag abzuschließen. Zur Steigerung der Sparvorsorge rät Thaler deshalb, Menschen nicht die Möglichkeit zum regelmäßigen Sparen anzubieten. Besser sei es, sie direkt zur Altersvorsorge zu verpflichten mit der Option, den Vertrag aufzukündigen. „Libertären Paternalismus“ nennt Thaler solche Ideen. Libertär soll das sein, weil den Menschen die Chance gegeben werde, frei zu entscheiden. Tatsächlich aber schlägt Thaler wie ein Werbefachmann vor, die Entscheidungen der Menschen zu manipulieren. Das Schubsen führt direkt in die Unfreiheit.
Mehr über Richard Thaler findet sich auf der Internetseite
www.nobelprize.org/nobel_prizes/economic-sciences/laureates/2017/press.html.
Einige Zitate von Richard Thaler hat Patrick Bernau hier zusammengestellt.
Dieser hier erweiterte Text erschien am 15. Oktober als „Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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