Laut der traditionellen Wirtschaftsgeschichte stellt ein wirtschaftlich und politisch starkes Land eine an den internationalen Finanzmärkten dominierende Hegemonialwährung bereit. Der bekannte Währungshistoriker Barry Eichengreen sagt: Das ist falsch. Auch beim Thema Währung heißt das Zauberwort Pluralismus.
Die traditionelle Form der Geschichtsschreibung in Währungsfragen geht so: Vom 19. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein war das Pfund Sterling die wichtigste Währung der Welt, weil das Britische Weltreich in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht die Welt dominierte und der Finanzplatz London schon damals der am weitesten entwickelte Finanzplatz der Welt war. Das erhebliche Vertrauen in das Pfund lässt sich auch an der Tatsache erkennen, dass Großbritannien innerhalb des Goldstandards nur sehr wenig Gold halten musste und gleichzeitig die wichtigste Währung besaß. Die Herrschaft des Pfunds ging mit den Weltkriegen und dem politischen, militärischen und wirtschaftlichen Aufschwung der Vereinigten Staaten zu Ende. Seitdem dominiert der Dollar die internationalen Ströme und weite Teile der Weltwirtschaft.
Anhänger der traditionellen Sicht können sich auch auf moderne Untersuchungen stützen. In einer aktuellen Arbeit zeigt die Ökonomin Gita Gopinath empirisch, wie sich Änderungen des Dollar-Wechselkurses auf die Handelsströme in der gesamten Welt auswirken. Die Ökonomin Hélène Rey sieht einen starken Einfluss der amerikanischen Geldpolitik auf die Preise an den globalen Finanzmärkten. Nach der traditionellen Sicht könnte der Dollar eines Tages vom Yuan (Renminbi) abgelöst werden, sobald China die Vereinigten Staaten als Führungsmacht in der Welt abgelöst hat.
Diese traditionelle Sicht ist verbreitet. Aber sie ist, jedenfalls nach Auffassung des bekannten Ökonomen und Währungshistorikers Barry Eichengreen, falsch. Eichengreen versucht in einem zusammen mit zwei Mitarbeitern verfassten Buch zu zeigen, dass sich die traditionelle Sicht weder auf eine schlüssiges theoretisches noch auf ein überzeugendes empirisches Fundament stützen lässt. Eichengreen bestreitet zum einen, dass in der Hochzeit des Britischen Weltreichs das Pfund tatsächlich die Währungswelt überragt hatte. Und er hält es für denkbar, dass sich im Laufe der Zeit neben dem Dollar eine kleine Zahl anderer Währungen etablieren kann, die zusammen mit der amerikanischen Währung die internationalen Finanzmärkte dominieren werden.
Vor dem ersten Weltkrieg hat das Pfund nicht dominiert
Eichengreen & Co. argumentieren zum einen empirisch. In traditionellen Darstellungen wird das Pfund Sterling als die überragende Währung vor dem Ersten Weltkrieg bezeichnet. Schaut man sich die Aufteilung der bekannten Währungsreserven im Jahre 1913 an, entfallen 48 Prozent auf das Pfund, 31 Prozent auf den Französischen Franc und 15 Prozent auf die Mark. Das Pfund lag an erster Stelle, aber von einer unangefochtenen Dominanz kann keine Rede sein.
Nach der traditionellen Darstellung hat der Dollar das Pfund nach dem Zweiten Weltkrieg als führende Reservewährung entthront. Eichengreen & Co. zeigen, dass der Dollar schon in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts am Pfund vorbeigezogen ist, aber damals die beiden Währungen nahezu ein Duopol bildeten. Im Jahre 1929 entfielen von den bekannten Währungsreserven 56 Prozent auf den Dollar und 41 Prozent auf das Pfund. Heute entfallen unter den bekannten Währungsreserven etwa 60 Prozent auf den Dollar. Damit liegt die amerikanische Währung unangefochten an der Spitze vor dem Euro, aber ein Dollar-Monopol existiert dennoch nicht.
Sind nur Netzwerkeffekte Schuld?
Eichengreen & Co. präsentieren auch theoretische Überlegung. Demnach beruht das traditionelle Argument, nach dem eine Währung (üblicherweise die des wirtschaftlich stärksten Landes) eine dominierende Rolle übernimmt, auf Netzwerkexternalitäten. Je mehr Länder eine Währung als Reservewährung, als Handelswährung oder als Finanzierungswährung übernehmen, umso effizienter ist der Gebrauch dieser Währung. Das Argument ist nicht abwegig: Wenn heute ein Exporteur Pfund gegen Südafrikanische Rand tauschen will, wird seine Bank den Währungstausch durch Zwischenschaltung des Dollars abwickeln, weil dies effizienter ist als ein direkter Tausch von Pfund und Rand.
Eichengreens “neue Sicht” bestreitet diese Netzwerkeffekte nicht grundsätzlich. Aber sie betont, dass aus theoretischer Sicht auch andere Wirkungswege in Frage kommen. Sie argumentieren auf der Basis von Erkenntnissen aus der modernen IT. Hier gibt es spezielle Technologiestandards, die in offenen System in der Lage sind, mit Nutzern anderer Technologiestandards zu interagieren. Dafür sorgen Brückentechnologien, die in der Lage sind, die einzelnen Standards miteinander effizient zu verzahnen. Auf die Welt der Währungen übertragen, heißt dies, dass sich durchaus mehrere Währungen international etablieren können, sobald es möglich ist, diese Währungen effizient miteinander zu handeln.