Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Tauschen lohnt sich

Vor 200 Jahren erklärte David Ricardo den Außenhandel. Das war damals so lehrreich wie heute. Viele Intellektuelle aber lehnen Ricardos Erkenntnis ab. Warum ist das so? 

In diesem Jahr jährt sich zum 200. Mal das Erscheinen eines Buches, das Ökonomen als ein Fundament ihres Faches ansehen. 1817 veröffentlichte David Ricardo seine „Prinzipien der Politischen Ökonomie und Besteuerung“. Adam Smith hatte schon 41 Jahre früher die Vorteile der Spezialisierung beschrieben. Ricardo nutzte das, um den internationalen Handel zu erklären. Heraus kam die Theorie der komparativen Vorteile. Sie besagt im Kern, dass Länder am meisten von Außenhandel profitieren, wenn sie sich auf das konzentrieren, was sie besonders gut können.

Das hört sich einfacher an, als es ist. Wenn Henry mit seinen Webmaschinen Tuch preiswerter herstellen kann als Vitor, dann ist es plausibel, dass Vitor Tuch von Henry kaufen und im Gegenzug Wein liefern wird. Was aber passiert, wenn Vitor mit Geschick und fleißigen Händen Wein besser als Tuch, aber beides preiswerter herstellen kann als Henry? Warum sollte er dann noch bei Henry einkaufen? Kommt es dann zu keinem Handel?

Weit gefehlt, argumentiert Ricardo. Der Winzer Vitor holt mehr aus seiner Arbeitszeit heraus als der Weber Vitor. Das treibt ihn an, mehr Wein zu produzieren und mit dem Wein Tuch von Henry einzutauschen. Ist Henry zugleich besser beim Weben als im Weinberg, lohnt es sich für ihn, mehr Tuch zu produzieren und einen Teil davon für Wein einzutauschen. Vitor und Henry haben so einen Anreiz zum Handel. Absolut gesehen ist Vitor in beiden Tätigkeiten besser als Henry, aber im Vergleich lohnt sich für beide die Spezialisierung. Das sind die komparativen Vorteile. Damit Henry und Vitor zueinanderfinden, muss nur der Preis für den Wein und für das Tuch stimmen. Analog gäbe es Handel zwischen Portugal und England, erklärte Ricardo, selbst wenn Portugal Wein und Tuch billiger herstellen könne als England. Dass der Preis stimmt, dafür sorgt in moderner Terminologie der Wechselkurs, der auf- oder abwertet.

Warum Intellektuelle Ricardo ablehnen

Ganz einfach sind diese Gedankengänge nicht. Der Ökonom George Stigler spottete einst, der Laie würde wohl weniger den Import der englischen Freihandelstheorie als die Einfuhr einer Flasche portugiesischen Weins gutheißen. Das Schöne an der Theorie der komparativen Vorteile ist indes, dass man sie nicht verstanden haben muss, um von ihr zu profitieren. Verfolgen die Menschen ihr Eigeninteresse und suchen ihre absoluten Vorteile zu nutzen, ordnet sich der Außenhandel am Markt ganz von allein nach dem Prinzip der komparativen Vorteile, beschreibt der Ökonom Terry Peach in einem Sammelband zu Ricardos Theorie. Ricardo sah Produktivitätsvorteile – wie sie Vitor bei der Weinherstellung hat – als treibende Kraft des Außenhandels. Andere Ökonomen betonten später den Einfluss der Reichhaltigkeit von Land, Arbeit oder Kapital, von Größenvorteilen in der Produktion oder von unvollständigem Wettbewerb. Das Grundprinzip der komparativen Vorteile wird damit aber nicht außer Kraft gesetzt. Im Kern ist es egal, woraus die Vorteile resultieren.

Außerhalb der Fachwelt wird Ricardos Erkenntnis dennoch oft abgelehnt. In einem unterhaltsamen Aufsatz spekulierte der Ökonom Paul Krugman in den neunziger Jahren über die Gründe. Der Wunsch, zur intellektuellen Avantgarde zu gehören, treibe den Widerstand gegen die uralte Theorie mit ihrem ikonenhaften Status, mutmaßte er. Die Ablehnung der Theorie der komparativen Vorteile gründe vielleicht auch in der Abneigung eines mathematisierten Verständnisses der Welt durch viele Intellektuelle. Unbestreitbar ist Krugmans dritter Punkt, dass Ricardos Theorie in ein dichtes Netz anderer Ideen eingebunden ist, die ein Ökonom im Gegensatz zum Laien verinnerlicht hat.

Eines der größten Missverständnisse resultiert daraus, dass die Handelsbilanz zwischen England und Portugal in Ricardos Beispiel ausgeglichen ist. Was Portugal an Wein liefert, wird letztlich mit Tuch bezahlt. Manche meinen deshalb, Außenhandel sei nur dann vorteilhaft, falls Einfuhr und Ausfuhr sich entsprechen. Das eine hat mit dem anderen aber nichts zu tun. Ob ein Land ein Handelsdefizit, einen Überschuss oder eine ausgeglichene Handelsbilanz hat, bestimmt sich nicht durch die komparativen Vorteile in der Produktion, sondern allein dadurch, ob das Land als Ganzes mehr spart als verbraucht oder nicht. Das ist leicht zu verstehen. Liefert Henry mehr Tuch an Vitor, als er an Wein erhält, gibt er Vitor Kredit. Henrys Handelsbilanzüberschuss spiegelt die Ansprüche auf künftige Weinlieferungen wider. Vitor dagegen konsumiert Tuch auf Pump und hat ein Handelsbilanzdefizit. An den Vorteilen des bilateralen Handels ändert sich dadurch nichts.

Warum Trump Ricardo missversteht

Analog gilt das für ganze Länder, mit einem wichtigen Unterschied. Nettokapitalexport oder -import erklären den Handelsbilanzsaldo eines Landes mit dem Rest der Welt, nicht aber gegenüber einem einzelnen Land. Lockt Amerika als Investitionsstandort oder für Konsumkredite Nettokapital an, hat es zugleich ein Handelsbilanzdefizit gegenüber dem Rest der Welt. Wie das Defizit sich indes auf die einzelnen Handelspartner aufteilt, bestimmt sich durch andere Faktoren, zum Beispiel durch Zölle oder andere Handelshemmnisse. Präsident Donald Trump hat mit seiner merkantilistischen Kritik an bilateralen Handelsdefiziten insoweit recht, als er mit Protektionismus oder erzwungener Marktöffnung bilaterale Handelssaldos beeinflussen kann – und in der protektionistischen Variante nicht zum Vorteil Amerikas. Er darf aber nicht erwarten, dass er so Amerikas Handelsdefizit gegenüber dem Rest der Welt wegbekommt. Dazu müsste Amerika schon aufhören, als Investitionsstandort Nettokapital anzuziehen. Das will Trump nicht und sein Steuerreform wird wie einst bei Ronald Reagan das Handelsbilanzdefizit eher noch vergrößern.

Eine zweite Fundamentalkritik an Ricardo zielt darauf, dass in seiner Theorie Arbeitslosigkeit nicht vorkommt. Die Menschen können ohne Schwierigkeiten von der Wein- zur Tuchproduktion wechseln oder zurück. Doch die Annahme der Vollbeschäftigung ist in den Worten von Krugman eine vernünftige Annäherung. Ricardos komparative Vorteile gelten über die lange Frist, nicht von einem Jahr aufs nächste. In dieser Perspektive wird Arbeitslosigkeit und Beschäftigung allein dadurch bestimmt, ob Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften flexible Anpassungen zulassen oder durch Mindestlöhne oder andere Regulierungen blockieren. Mit komparativen Vorteilen im Außenhandel hat das nichts zu tun.

 

David Ricardo: On the Principles of Political Economy and Taxation, London 1817.
Paul Krugman: Ricardo’s Difficult Idea, März 1996.
Cloth for Wine? The Relevance of Ricardo’s Comparative Advantage in the 21st Century, hrsg. von Simon J. Evenett, Center for Economic Policy Research, Department for International Trade, London 2017.

 

Der hier leicht erweiterte Text erschien am 18. Dezember als „Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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