Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Vom Unsinn der Vergeltung

Die EU will aus Rache Strafzölle gegen amerikanischen Whiskey erheben. So eine Schnapsidee.

Der Bananenstreit tobte schon einige Jahre, als er 1998 zum Handelskrieg eskalierte. Die Vereinigten Staaten drohten der Europäischen Union, eine Reihe europäischer Güter mit einem Einfuhrzoll von 100 Prozent zu belegen. Die Amerikaner reagierten so im Verbund mit lateinamerikanischen Bananenstaaten und im Einvernehmen mit den Agrarkonzernen Chiquita und Dole darauf, dass die EU bei der Einfuhr Bananen aus der Karibik bevorzugten. Das war nicht zu bestreiten. Die Europäer gewährten ihren ehemaligen Kolonien Sonderkonditionen. Mehrfach hatten die Welthandelsorganisation WTO und die Vorgängerinstitution GATT schon gegen die EU entschieden. Doch die Europäer sträubten sich, die Diskriminierung aufzugeben. Nun setzten die Amerikaner ihrerseits auf Strafzölle, die WTO genehmigte sie 1999 im Umfang von 191,4 Millionen Dollar pro Jahr.

Das Ergebnis waren Strafen überall. Die EU bestrafte mit ihren Zöllen ihre Verbraucher, die für den Genuss von Bananen mehr bezahlen mussten. Die Regierung in Washington bestrafte europäische Exporteure und amerikanische Verbraucher. Auf der Liste der Strafzölle stand zeitweise der Pecorino-Käse, der auf Sardinien aus Schafsmilch hergestellt wird. Mit Bananen hat das nichts zu tun. Die sardischen Bauern waren mehr als empört, dass sie ohne Schuld in einen Handelskrieg hineingezogen werden sollten. Das gilt auch für amerikanische Kunden, die den Pecorino-Geschmack teurer bezahlen oder ganz darauf verzichten sollten. Das wirft ein ethisches Problem auf. Darf man amerikanischen Käseliebhabern Kosten auferlegen, um sardischen Bauern Schaden zuzufügen? Wer das bejaht, nimmt den Verbrauchern die Konsumfreiheit und setzt sie in Geiselhaft für handelspolitische Machtspiele.

Heute droht der Welt mit den erwarteten amerikanischen Beschränkungen für die Einfuhr von Stahl und Aluminium ein neuer Handelskrieg, der das Ausmaß des Bananenstreits überschreiten dürfte. China, Südkorea und die EU wollen notfalls gegen Amerikas Schutzzölle vor die Welthandelsorganisation ziehen. Die EU droht schon mit Vergeltungszöllen auf Motorräder von Harley-Davidson aus Wisconsin oder auf Bourbon-Whisky aus Tennessee und Kentucky.

Vergeltung hilft nicht gegen Handelsdefizite

Die wirtschaftlichen Folgen des Handelskriegs sind vielfältig. In Amerika steigen die Preise für Stahl und Aluminium. Das freut die Stahlkocher und belastet Stahlkunden, von Autobauern bis zu Herstellern von Schalen für Speiseeis. Der von Donald Trump avisierte Ausbau der Infrastruktur wird teurer, weil der Stahl etwa für Brücken im Preis steigt. Die Folgen für den Arbeitsmarkt sind unklar. Amerikas Stahlproduzenten könnten mehr Arbeiter einstellen, während Autowerke in Amerika an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Das ist ein Anreiz für Amerikas Autobauer, effizienter im Inland oder noch mehr im Ausland zu produzieren.

Im Rest der Welt werden die Stahlpreise tendenziell sinken, weil weniger Nachfrage aus Amerika einem zunächst unveränderten Angebot gegenübersteht. Das hilft in Europa und anderswo zumindest zeitweise den Autobauern und anderen Abnehmern, es belastet die Stahlunternehmen. Im härteren Wettbewerb könnten die Stahlkocher außerhalb Amerikas an Wirtschaftlichkeit gewinnen, während amerikanische Stahlwerke sich hinter dem Schutz der höheren Zollmauer mehr Schlendrian erlauben können.

Verringert ein Schutzzoll das Handelsbilanzdefizit Amerikas? Nein. Als Folge der Schutzzölle geben Amerikaner weniger Dollar für ausländischen Stahl aus. Damit hat das Ausland aber auch weniger Dollar, um amerikanische Güter zu kaufen. Einen Vorteil für Amerikas Handelsbilanz gibt das nicht her.

Steine in den eigenen Hafen werfen

Diese Situation ist, wie sie ist. Vergeltungszölle können daran für sich genommen nichts ändern. Sie sind „so sinnvoll, wie Steine in den eigenen Hafen zu werfen, weil andere Länder felsige Küsten haben“, formulierte die Ökonomin Joan Robinson. Mit Vergeltungszöllen machen Europa oder China sich selbst das Leben noch schwerer, als es die Amerikaner ihnen schon gemacht haben. Die heimischen Verbraucher werden durch Vergeltungszölle noch härter getroffen als die amerikanischen Unternehmen. Harley-Davidson kann seine Motorräder immer noch in andere Länder außerhalb Europas verkaufen. Europäische Verbraucher aber können den Vergeltungszöllen nicht ausweichen und müssen die höheren Preise hinnehmen.

Der Schaden im eigenen Land endet hier nicht. Ein Vergeltungszoll gegen außen ist immer auch Schutzzoll vor Wettbewerb. Motorradhersteller wie BMW oder Ducati können sich die Hände reiben, wenn die EU Harley-Davidson bestraft, um Trump zu treffen. Ist das Spiel mit Vergeltungszöllen eröffnet, werden heimische Unternehmen sich noch mehr anstrengen, die Europäische Kommission zu beeinflussen. Das geschieht oft unbemerkt und verschafft den Unternehmen einen Einfluss, der ihnen in einer Demokratie nicht zusteht. Die Handelspolitik steht deshalb zu Recht unter dem Generalverdacht, dass sie mehr den Großunternehmen als den Konsumenten dient. Die Verbraucher, deren Interessen sich nicht so gut bündeln lassen, haben solchen Einfluss nicht. Als Kunden tragen sie obendrein noch die Kosten des Lobbyings. Auch darum belasten Vergeltungszölle vorrangig die Konsumenten.

Wenig Erfolge der Handelspolitik mit der Brechstange

Das wichtigste Argument für Vergeltungszölle ist anderer Natur. Es ist der Versuch, anderen Ländern so viel Schaden zuzufügen, dass sie ihre Handelspolitik ändern, dass sie Märkte öffnen, Zölle und unfaire Subventionen abbauen und diskriminierende Regulierungen schleifen. Das ist eine hehre Hoffnung. In der Geschichte hat die Handelspolitik mit der Brechstange eher zu Handelskriegen und wirklichen Kriegen geführt als zur umfassenden Marktöffnung. Im Namen des Freihandels entfachte der amerikanische Präsident Ronald Reagan in den achtziger Jahren einen Handelskrieg gegen Japan. Doch noch heute hören sich die Klagen über Japans Marktabschottung ähnlich an wie damals. Viel hat Reagan offenbar nicht erreicht.

Diese Lehre folgt auch aus dem Bananenkrieg. Nach Einführung der Vergeltungszölle brauchte es zwei Jahre und eine neue Regierung in Washington, bis Amerika und die EU scheinbar eine Lösung fanden. Doch das war nicht das Ende der Geschichte. Die EU verzögerte weiter. Erst 2012, nach zwei Jahrzehnten, verpflichtete sie sich zu einem reinen Zollregime ohne Quoten, um unter dem Dach der WTO die Klagen der lateinamerikanischen Bananenstaaten beizulegen. Ob die Strafzölle Amerikas das Einlenken der Europäer beschleunigt haben, darf bezweifelt werden. Besser ist es wohl, den eigenen Hafen gleich offen zu lassen, als ihn mit Steinen zu versperren.

 

Joan Robinson, Essays in the Theory of Employment, Oxford, Basil Blackwell, 1947.

Dieser Text erschien am 25. Februar als „Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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