Der Zusammenhang zwischen Demografie und Realzins bewegt viele Ökonomen. Aber der Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand werde auch die Inflationsrate beeinflussen, heißt es in einer neuen Studie.
Kürzlich war Patrick Artus, der sehr erfahrene Chefökonom der französischen Investmentbank Natixis, zu Besuch in Frankfurt. Während des Gesprächs kam die Rede auch auf die Schwierigkeiten von Ökonomen, die gegenwärtige Inflationsentwicklung zu verstehen. Artus gestand dies ein und bemerkte: “Wir Ökonomen verwenden seit langem zwei grundlegende Konzepte, um die Inflation zu erklären. Die eine Erklärung ist die Quantitätstheorie und die andere Erklärung ist die Phillips-Kurve. Wenn weder die eine noch die andere Erklärung funktioniert, haben wir ein Problem. Und genau da befinden wir uns jetzt.”
Hier ist eine weitere Erklärung: die Existenz der Babyboomer.
Nun ist der Zusammenhang zwischen Demografie und Inflation kein unbekanntes Terrain in den Wirtschaftswissenschaften. Die These, dass junge Bevölkerungen eher eine Präferenz für etwas mehr Inflation besitzen als alternde Bevölkerungen, ist schon sehr alt. Eine neuere Arbeit ist hier.) In diesen Modellen erscheint die sehr niedrige Inflationsrate in den vergangenen Jahren als ein Ergebnis alternder Bevölkerungen in vielen Ländern. Das klingt plausibel, aber solche Arbeiten lassen sich hinterfragen. Aus der zeitlichen Parallelität der Alterung von Bevölkerungen und einem säkularen Rückgang von Inflationsraten folgt nicht zwingend eine Kausalität, die von der Demografie zur Inflationsrate führt.
In Arbeiten zur Erklärung des Rückgangs des Realzinses durch die Demografie haben sich manche modernen Arbeiten von – seit langem gebräuchlichen – Modellen abgewandt, in denen nur zwei Generationen (“Jung” und “Alt”) betrachtet werden. Statt dessen interessiert man sich stärker für die Struktur von Bevölkerungen. Und da fällt die Generation der Babyboomer auf, die sich derzeit aufmacht, von Arbeitsmarkt in den Ruhestand zu treten. Was dies für die Inflationsrate bedeutet haben zwei Ökonomen in einem von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) veröffentlichten Arbeitspapier untersucht.
Mikael Juselius und Elöd Takáts haben sich für 22 Industrienationen und den sehr langen Zeitraum zwischen 1870 und 2016 Daten angeschaut. Ihr wichtigstes Ergebnis lautet: Inflation ist tendenziell umso höher, je höher der Anteil der nicht-arbeitenden Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung ist. Umgekehrt trägt ein hoher Anteil der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung dazu bei, die Inflation zu senken. Aus diesen Beobachtungen wird deutlich, warum in den vergangenen Jahrzehnten in den Industrienationen die Inflationsrate im Trend gesunken ist: Die Babyboomer, eine zahlenmäßig sehr starke Generation, befand sich im Arbeitsprozess und sorgte dafür, dass der Anteil der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung in historischer Betrachtung hoch gewesen ist. Die Autoren gehen nicht so weit zu behaupten, dass sich die Inflationsentwicklung alleine mit der Demografie erklären lässt. Aber sie messen ihr ein Gewicht ein, das Aufmerksamkeit verdient.
Interessant ist es, diese Erkenntnisse in die Zukunft fortzuschreiben. Mit dem allmählichen Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand wird der Anteil der nicht-arbeitenden Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung zunehmen – und dies wird, wenn auch nur sehr gemächlich, sich über Jahrzehnte erstreckend – wieder mehr Inflationsdruck aufbauen. Zwei Bemerkungen der Autoren verdienen Beachtung. Erstens existieren aus ihrer Sicht keine Modelle, mit denen sich diese Einflüsse vernünftig untersuchen ließen. Hier wartet auf die Ökonomen noch viel Arbeit. Und zweitens dürfte es eine Neigung mancher Ökonomen geben, einen zukünftigen Inflationsanstieg als Folge der Geldpolitik unserer Zeit zu deklarieren und die Demografie unter den Tisch fallen zu lassen.