Ein Vergleich seit dem Vertrag von Maastricht zeigt, dass ein guter Teil der gegenseitigen Polemiken unbegründet ist. Italiens Wachstum war nicht immer schwächer, aber seit der Finanzkrise hinkt es hinterher.
Eine Grafik sagt oft mehr als 1000 Worte. Wir haben sie einem aktuellen Beitrag des Chefvolkswirts von Berenberg, Holger Schmieding, entnommen:
In der Grafik wurde das reale Bruttoinlandsprodukt der beiden Länder für das Jahr 1991 mit 100 normiert. Man kann sehen, dass die Entwicklung bis zum Jahre 2009 – dem Einbruch nach dem Ausbruch der Finanzkrise – nahezu parallel gelaufen ist. Mit anderen Worten: Das reale Wirtschaftswachstum Deutschlands und Italiens war von 1991 bis 2008 nahezu identisch.
Schmieding verweist darauf, dass diese Tatsache im Widerspruch mit in beiden Ländern gepflegten Vorurteilen steht; er sieht nördlich wie südlich der Alpen eher “Vorurteile als nüchterne Analyse” dominieren: “Nördlich der Alpen regen sich einige Beobachter über tief sitzende Unterschiede zwischen nördlichen und ‘lateinischen’ europäischen Volkswirtschaften auf. Weil diese Volkswirtschaften miteinander unvereinbar seien, würde dies die Eurozone in den Untergang treiben. In Italien denunzieren Populisten, die dabei sind, eine Regierung zu bilden, die fiskalischen Regeln der Eurozone als Instrumente einer behaupteten deutschen Hegemonie und machen sie für die Malaise ihres Landes verantwortlich.”
Schmieding hält deutscher “Lateinophobie” – die man auch kaum verhüllt unter Ökonomen findet – wie zunehmender italienischer Deutschland-Feindschaft als Fakten entgegen:
- Die deutsche Wirtschaft ist grundsätzlich nicht dynamischer als die italienische. Von 1991 bis zur Finanzkrise waren die Wachstumsraten nahezu identisch, obgleich beide Länder vor Herausforderungen standen. Deutschland hatte die Wiedervereinigung zu bewältigen, dafür traf der wirtschaftliche Auftstieg Chinas Italien stärker als Deutschland, weil es dort mehr Massenproduktion einfacher Güter gab.
- Die Einführung des Euros hatte an den Wachstumsdynamiken nichts geändert: Italien und Deutschland wuchsen in den Jahren vor wie in den Jahren nach der Euro-Einführung gleich schnell. Die Rolle des Euros wird überschätzt.
Nach der Finanzkrise ging die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und Italiens allerdings auseinander und daran hat sich bis heute nichts geändert. Schmieding sieht den Hauptgrund in der unterschiedlichen Bereitschaft zu Strukturreformen: Deutschland begann ab der Mitte des vergangenen Jahrzehnts von der Reformpolitik der Regierung Schröder zu profitieren, während Italien seitdem allenfalls halbherzig reformiert hat.
Wir würden einen zweiten, im Grund auch strukturellen Grund ergänzen. Wie in einem früheren FAZIT-Beitrag beschrieben, hinkt die italienische Wirtschaft in der Annahme der Herausforderungen durch die digitale Revolution zurück. Das erklärt die schwache Produktivitätsentwicklung zu einem Teil. Es gibt zwar Daten, die zeigen, dass sich daran seit einiger Zeit etwas ändert, aber der Aufholprozess dürfte nicht einfach sein und lange dauern.
Auch in nervösen Zeiten lassen sich ökonomische Zusammenhänge unaufgeregt analysieren…
Außerdem zu Italien in FAZIT: “Der Norden wird zu Italiens Problem”