Erster Abend des EZB-Forums in Sintra (Portugal): Larry Summers hält eine – wie immer provozierende – Dinner-Speech, in der er fünf Botschaften präsentiert. Hier sind Summers Ausführungen in Kurzform.
1. Seit der Finanzkrise vor zehn Jahren hat es keine grundlegenden Neuerungen in der Theorie der Geldpolitik gegeben. Wir haben seitdem in der Geldpolitik “außerordentliche Improvisationen” und “außerordentliche Taktiken” mit gelegentlich außerordentlich starker Wirkung gesehen – eine Anspielung auf Mario Draghis berühmte Londoner Rede aus dem Jahre 2012 (“whatever it takes”) –, aber das herrschende geldpolitische Paradigma hat sich nicht geändert. Demnach steuert die Geldpolitik in erster Linie das Preisniveau, obwohl sie gerade damit Schwierigkeiten hat.
2. Warum sind in den vergangenen Jahrzehnten in den Industrienationen die Realzinsen um 2 bis 3 Prozent gesunken, obgleich in dieser Zeit die Verschuldung in Relation zum BIP deutlich gestiegen ist? Summers zitierte Simulationen, nach denen der Realzins ohne expansive Finanzpolitik noch einmal 2 bis 3 Prozentpunkte niedriger und damit deutlich negativ wäre. Summers erklärt diesen gewaltigen Druck auf den Realzins mit strukturellen Umbrüchen wie dem demografischen Wandel, der digitalen Revolution, einer wachsenden Umverteilung und Kapitalzuflüssen aus Schwellenländern. Dieser Trend werde sich fortsetzen – der Realzins wird niedrig bleiben.
3. Aus dem säkularen Rückgang des Realzinses folgen zwingend höhere Vermögenspreise – weil der Faktor, mit dem künftige Erträge diskontiert werden, sinkt – sowie eine steigende Verschuldung, weil die Zinslasten sinken. Für Ökonomen beispielsweise aus der Österreichischen Schule, die den Zinsrückgang als Ergebnis durchgeknallter Zentralbanken ansehen, hat Summers schon lange nur Hohn und Spott übrig. Ihnen gibt er eine Denkaufgabe mit: Wenn die Zinsen sowie die Laufzeit- und Risikoprämien für Anleihen deutlich höher und die Finanzpolitik deutlich restriktiver wäre, woher stammte dann eine ausreichende Nachfrage für unser Wirtschaftswachstum? “Ich habe darauf noch keine Antwort gehört”, sagte Summers.
4. Wir können uns in absehbarer Zeit aus wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Gründen keine neue Rezession erlauben. Aus politischer Sicht könnten davon Populismus, Protektionismus und wirtschaftlicher Nationalismus profitieren. In wirtschaftlicher Hinsicht musste man früher den Leitzins um 5 Prozentpunkte senken, um eine Rezession zu bekämpfen. Das wird auf Jahre in Amerika, Europa und Japan nicht der Fall sein. Und die Wirksamkeit von Anleihekaufprogrammen ist begrenzt.
5. Daher ist es unabdingbar, eine neue Rezession zu verhindern. Hierzu empfiehlt Summers der Geldpolitik, es mit Zinserhöhungen nicht zu übertreiben, wenn die Inflationsrate 2 Prozent überschreitet. Vor allem aber fordert Summers für Zentralbanken ein doppeltes Mandat: Neben der Preisstabilität sollen sie auch das Ziel einer nachhaltig hohen Beschäftigung verfolgen.