Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos diskutieren auch Ökonomen über Ökonomik. Wir waren dabei und hatten unseren Bleistift gespitzt.
Im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos findet üblicherweise ein Abendessen mit Ökonomen unter sogenannten „Chatham House Rules“ statt – das heißt, man kann über das Event schreiben, aber ohne Namen zu nennen. In diesem Jahr wurden Ideen präsentiert, die ihren Platz in den Wirtschaftswissenschaften finden könnten. Es geht hier nicht um Diskussionen konkreter Forschungsprogramme oder um Doktorandenseminare, sondern um allgemeinverständliche Themen. Fünf Ökonomen unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlichen Alters waren anwesend, darunter ein Nobelpreisträger. Alle haben Professuren an – man darf sagen: hoch angesehenen – Universitäten inne. Jeder Ökonom durfte eine Idee präsentieren. Hier sind die fünf Ideen – die Zusammenfassungen und die leicht reißerischen Überschriften stammen von mir.
1. Modernisiert die Theorie des Unternehmens!
Von Milton Friedman stammt die berühmte These, dass ein Unternehmen als Ziel nur die Gewinnmaximierung verfolgen sollte. Dem lag die Idee zugrunde, dass alleine der Aktionär einen variablen Anspruch an das Unternehmen hat. Läuft es gut, profitiert der Aktionär. Läuft es schlecht, sinkt der Aktienkurs. Sowohl Anleihegläubiger als auch Beschäftigte hatten in Friedmans Diktion feste Ansprüche an das Unternehmen wie Zinsen (Anleihegläubiger) oder Lohn (Beschäftigte). Unser Ökonom in Davos bezeichnete Friedmans Konzept als ökonomisch im Prinzip überzeugend und damit als Referenz geeignet, aber auch als zu eng. Er gab zu bedenken, dass es neben den Aktionären auch noch andere Gruppen gibt, die langfristig in ein Unternehmen investieren, zum Beispiel treue Lieferanten oder Arbeitnehmer, die nicht wechseln. Er regte an zu überprüfen, ob die Theorie des Unternehmens nicht in diesem Sinne breiter mit Blick auf alle Parteien, die langfristig in ein Unternehmen investieren, ausgearbeitet werden sollte.
2. Erforscht die Ökonomik des Rentiers!
Viele Menschen zeigen sich über den politischen Erfolg von Populisten erstaunt. Wer sich intensiver mit dem Prekariat in Industrie- und Schwellenländern befasst, wird nicht erstaunt sein. Ein Problem sind die erheblichen Teile des BIP, die als Vergütungen als Menschen gehen, die man als Rentiers bezeichnen könnte. Darunter gibt es viele Menschen, die Bezüge aus der Verwertung geistigen Eigentums beziehen. Allein im Jahre 2016 wurden mehr als 3 Millionen Patente in der Welt angemeldet. Geld, das über Jahre an die Eigentümer dieser Patente gezahlt wird, steht nicht als Arbeitseinkommen für die Menschen zur Verfügung, die im Arbeitsleben stehen. Das trägt zur Einkommensungleichheit, zur Bildung eines Prekariats und damit zum politischen Populismus bei. Wer diese Kritik einer Rentiersökonomik als sozialistische Denkweise versteht, hat nicht verstanden, dass es dem Ökonomen in Davos darum geht, die Marktwirtschaft zu revitalisieren. (Man könnte ergänzen, dass der Schutz geistigen Eigentums auch unter liberalen Ökonomen umstritten ist.)
3. Modernisiert die monetäre Außenwirtschaftsökonomik!
Es gibt ein Land auf diesem Planeten, dessen Pro-Kopf-Einkommen rund ein Viertel des Pro-Kopf-Einkommens reicher Nationen beträgt, das aber gleichzeitig in technologischer Hinsicht zu den erfolgreichsten Ländern der Welt zählt. Dieses Land ist einerseits, gemessen am BIP, die größte oder zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, aber es handelt sich nicht um eine Industrienation, sondern um ein in der Entwicklung befindliches Land. Das Land hat eine leistungsfähige Industrie, aber ein unterentwickeltes Finanzsystem. Ist das nicht paradox? Das Land ist offenbar China. Nun die Frage: Hat es Sinn, die Lehrbuchempfehlungen, wonach ein Land seinen Kapitalverkehr und seinen Wechselkurs liberalisieren sollte, auf China anzuwenden? Und die Frage ist nicht nur, ob China dafür reif, sondern auch, ob der Rest der Welt dafür reif ist? Wir würde denn der Rest der Welt reagieren, wenn sich mit einer raschen Liberalisierung des Kapitalverkehrs und des Wechselkurses von China eine starke Volatilität auf den internationalen Finanzmärkten ausbreiten würde? Müssen wir mit Blick auf China nicht traditionelle Lehrsätze der monetären Außenwirtschaftsökonomik überprüfen?
4. Macht mehr Makrofinanz!
Das ist nun wirklich keine neue Forderung und regelmäßige Leser von FAZIT haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Beiträge über Makrofinanz, also die Zusammenführung von Gedanken der Makroökonomik und der Finanzökonomik, lesen können. Aber unser Experte in Davos plädiert dafür, noch viel engagierter in dieser Richtung zu denken, die zwei unterschiedliche Sichtweisen der Wirtschaft verbindet. Einerseits die Makroökonomik, die sich für die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge interessiert und dann die Finanzökonomik, die von einzelnen Unternehmen und Märkten ausgeht. Als Folge von Makrofinanz haben die Makroökonomen gelernt, dass Bilanzen einzelner Finanzunternehmen (Lehman Brothers) gesamtwirtschaftlich eine erhebliche Rolle spielen können. Wer die Gesamtwirtschaft verstehen will, muss vom Wald auf die Bäume blicken lernen.
5. Gebt der narrativen Ökonomik eine Chance!
Für viele Menschen ist offensichtlich, dass sich mit dem technischen Fortschritt ein Verlust von Arbeitsplätzen verbindet. Aber stimmt das überhaupt? In jedem Fall handelt es sich um ein einflussreiches Narrativ. Viele Menschen sind davon überzeugt, dass die Globalisierung ein schädliches wirtschaftliches Phänomen ist. Stimmt das denn? In jedem Fall handelt es sich wiederum um ein einflussreiches Narrativ. Solche Narrative können nicht nur das politische Verhalten der Menschen beeinflussen, sondern auch ihr wirtschaftliches. Wäre es nicht schlecht, dies analysieren zu können? Das erscheint mit der zunehmenden Digitalisierung von Büchern, Zeitungen, Tagebüchern und anderen Periodika möglich zu sein. Überhaupt hat der Zugang zu Daten die Wirtschaftswissenschaften schon häufig befruchtet. Ist es ein Zufall, dass die These regelmäßiger Konjunkturzyklen kurz nach der Entdeckung des Halley’schen Kometen entstand? Muss es uns erstaunen, dass die Makroökonomik einen erheblichen Aufschwung erlebte, nachdem es aufgrund von Daten erst möglich wurde, Größen wie das Bruttoinlandsprodukt oder die Arbeitslosenquote zuverlässig zu berechnen? Und dürfen wir einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Verhaltensökonomik und der vorangegangenen Nutzung von Experimenten in der Psychologie annehmen?