Wir präsentieren vier Bücher über Wirtschaft und Populismus und prognostizieren dem Thema noch mehr Aufmerksamkeit in der Zukunft.
Die seriöse Debatte der Wechselwirkungen zwischen Populismus und Wirtschaft geht wohl zurück auf den Ökonomen Dani Rodrik. Er postulierte zum einen schon vor Jahren ein „unmögliches Dreieck“ aus wirtschaftlicher Globalisierung, Nationalstaat und Demokratie und er verwies auf frühe Wurzeln des Populismus, die in das 19. Jahrhundert zurückreichen. Des weiteren hat Rodrik die Unterscheidung zwischen „linkem“ und „rechtem“ Populismus popularisiert; beide Variationen sieht er wesentlich, wenn auch nicht alleine, durch die Globalisierung bedingt. „Linker“ Populismus ist für ihn stark durch Protest gegen die mit der Globalisierung verbundene Freiheit von Kapital und Gütern verbunden. „Rechter“ Populismus drückt sich in Form von Protest gegen die Freizügigkeit des Personenverkehrs, also gegen Migration, aus – im Extrem bis zu dumpfem Fremdenhass reichend. Rodrik hat auch vorgeschlagen, Populismus wie ein ökonomisches Phänomen zu untersuchen und die Determinanten von Angebot und Nachfrage anzuschauen.
In der Zwischenzeit hat Rodrik mit „Straight Talk on Trade“ ein Buch vorgelegt, das ein wenig zusammengestoppelt wirkt, weil es eine Ansammlung von kürzeren Beiträgen zusammenfasst. Rodrik analysiere die Politik mit den Augen des Ökonomen und betrachte die Ökonomie mit den Augen eines Philosophen, kommentiert Rodriks Kollege David Autor. Rodrik geht es darum, durch eine Politik, die Globalisierung befürwortet, aber auch ihre negativen Begleiteffekte nicht negiert, Demokratie mit Selbstbestimmung und wirtschaftlichem Wohlstand zu vereinen und auf diese Weise dem Populismus das Wasser abzugraben. Rodrik liefert fundamentalen Gegnern der Globalisierung keine Blaupause, aber er wendet sich ebenso entschieden gegen die Neigung, vor Problemen die Augen zu verschließen.
An die Adresse der Mainstreamökonomen richtet Rodrik seit Jahren den Einwand, sie nähmen ihre eigenen Theorien nicht ernst. Und es stimmt: Aus seit Jahrzehnten in Lehrbüchern der Außenwirtschaftstheorie enthaltenen Theoremen – am bekanntesten ist vielleicht das Stolper-Samuelson-Theorem – lässt sich zeigen, dass Außenhandel in den einzelnen Ländern auch Verlierer hat. Die wurden aber häufig vergessen, wenn nur der Gesamteffekt des Außenhandels für ein Land positiv ist: „Das Versagen der Ökonomen, das gesamte Bild des Außenhandels zu zeichnen, mit allen notwendigen Einschränkungen und Vorbehalten, hat es erleichtert, den Außenhandel, nicht selten fälschlich, schwarz zu malen.“
Ein Beispiel: Die öffentliche Debatte über die Globalisierung wäre aus Rodriks Sicht fruchtbarer, wenn die Ökonomen aus dem Mainstream anerkannt hätten, dass Importe aus Ländern, in denen die Rechte von Beschäftigten nicht gesichert sind, Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit aufwerfen. Dann nämlich hätte man unterscheiden können zwischen Fällen, in denen niedrige Löhne in den Exportländern einfach eine niedrige Produktivität reflektieren, und Fällen, in denen niedrige Löhne das Ergebnis von Ausbeutung sind. Damit ließe sich die ganze Debatte um „fairen Handel“ ein gutes Stück entschärfen.
Rodrik vertritt auch die These, das Verhältnis von Vorteilen und Nachteilen weiterer Handelsliberalisierungen werde umso ungünstiger, je weiter fortgeschritten der Freihandel schon sei. Auch wendet er sich gegen die Vorstellung für die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern wäre eine möglichst frühzeitige Einbindung in die Regeln der Globalisierung vorteilhaft. Er verweist nicht nur auf China.
Der Verfasser zeiht aber nicht nur Ökonomen der Oberflächlichkeit und ideologischen Voreingenommenheit: Seit Jahren warnt Rodrik auch Politiker und Kommentatoren aus der politischen Mitte davor, die Anliegen der Benachteiligten der Globalisierung zu vernachlässigen. Auch wer Rodrik nicht in allem zustimmt, sollte ihn lesen.
Rodriks Unterscheidung zwischen „linkem“ und „rechtem“ Populismus wird von Philip Manow in „Die Politische Ökonomie des Populismus“ mit Blick auf Europa weiter ausdifferenziert. Im gelegentlich besserwisserischen Duktus des deutschen Sozialwissenschaftlers alter Schule betont Manow immerhin zurecht, dass es keinen Sinn hat, Populismus ohne seine wirtschaftlichen Grundlagen zu analysieren und stattdessen mit Ausfällen gegen „alte, weiße Männer“ oder „Abgehängte“ das Thema zu verfehlen. Es habe keinen Sinn, Anhänger eines Populismus zu behandeln wie „Ungewaschene am Tisch“.
Entschieden wendet sich der Verfasser gegen Erörterungen, in denen es nur „um Empörung, Wut, Frustration, Ressentiments, um moralische Alleinvertretungsansprüche und eine scharfe Abgrenzungsrhetorik, um eine inszenierte Konfrontation zwischen dem wahren, reinen Volk, zu dessen authentischen Sprechern sich die Populisten zuvor selbst erklärt haben, auf der einen Seite, und einer weitgehend korrupten, autistischen, in einer liberalen Blase gefangenen kosmopolitischen Elite, die für das Volk längst nur noch Verachtung übrig hat, auf der anderen.“
Als Grundthese gibt Manow für Europa vor: „Im Süden ist der Populismus tendenziell links, im Norden tendenziell rechts“. Manow unterscheidet aber noch einmal innerhalb des „rechten“ Populismus je nach der Natur der bekämpften Migration. In West- und Osteuropa sieht er vor allem Protest gegen Arbeitsmigration – Großbritannien wäre ein Beispiel. In vielen Ländern Nord- und Kontinentaleuropas erkennt Manow dagegen vor allem Protest gegen Fluchtmigration.
„Die Erklärung lautet, mit einigem Mut zu vereinfachenden Kontrastierungen: Migration wird dort politisch zum Problem, wo der Wohlfahrtsstaat großzügig und zugänglich ist (Kontinental- und Nordeuropa)“, schreibt der Verfasser. „Das sind zugleich die Länder, denen Außenhandelsöffnung, freier Warenverkehr, kurz: Güterglobalisierung geringere Probleme bereitet. Und zwar, weil der Wohlfahrtsstaat großzügig und umfassend ist, weil sozialpolitische Kompensation die Verteilungsfolgen der freien Bewegung von Gütern und Kapital entschärft. Dieser Umstand, so die weitere These, definiert bereits eine unterschiedliche Krisenbetroffenheit in Süd- und Nordeuropa. Weil das südeuropäische Wirtschaftsmodell weniger auf Export als vielmehr hauptsächlich auf Binnennachfrage setzt und der Verlust der geldpolitischen Souveränität daher hier besonders schwer wiegt. Zugleich ist in Südeuropa der Wohlfahrtsstaat zwar ebenfalls großzügig, aber für Migranten im Regelfall nicht zugänglich…“
Der Wirtschaftshistoriker Barry Eichengreen wirft in „The Populist Temptation“ naturgemäß einen intensiveren Blick auf die Geschichte des Populismus, die nach der üblichen Lesart in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten mit Protesten gegen die Goldwährung und die damalige wirtschaftliche Globalisierung ihren Anfang nahm. “Gesellschaften werden besonders nach Finanzkrisen, in denen Plutokraten auf Lasten der Allgemeinheit herausgehauen werden, reif für populistische Gegenreaktionen”, heißt es in einer Rezension des Buches in “Foreign Affairs”.
Manche Staaten reagieren auf das sich ausbreitende Unbehagen. Eichengreen erinnert daran, wie sowohl Bismarck in Deutschland als auch Chamberlain in Großbritannien für Zollpolitik nicht zuletzt mit dem Ziel eintraten, die jeweilige Nation zu einen – und im Falle Chamberlains, das Britische Weltreich zusammenzuhalten und vom Rest der Welt abzugrenzen: „Zölle sprechen das populistische Temperament als einer Absicherung nationaler Autonomie an. Für Bismarck waren sie ein Weg, um die Industrie und die Landwirtschaft gegen wirtschaftlichen Wettbewerb aus dem Ausland zu vereinen. Für Joseph Chamberlain waren sie ein Weg, um die britischen Inseln und die Herrschaftsgebiete gegen ausländische Nationalitäten und Rassen zu vereinen.“
Anschließend arbeitet sich Eichengreen in die Gegenwart vor, indem er sich vor allem stark mit dem Phänomen Trump befasst. „Im Nachhinein liegt nahe: Amerika war reif für einen populistischen Aufruhr. Das Wirtschaftswachstum hatte sich verlangsamt. Die Ungleichheit war gestiegen. Die Globalisierung und die Automatisierung erhöhten die Unsicherheit für Arbeiter, denen es an einer beruflichen Ausbildung, Geld von Gewerkschaften oder einem gut ausgebauten Versicherungswesen fehlte, auf das sie sich hätten stützen können. Eine Finanzkrise unterminierte das Vertrauen in die Kompetenz und die Redlichkeit von Entscheidungsträgern“, diagnostiziert Eichengreen, der aber ergänzt, dass sich der Populismus nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Unsicherheit stützt, sondern auch andere Ursachen hat wie Sorgen um die äußere wie die innere Sicherheit.
Eichengreen erinnert an eine Wahlkampfrede Donald Trumps, in der dieser die Sorgen der „arbeitenden Bevölkerung“ vor Einwanderern thematisierte, die nicht nur die „Jobs, Löhne, Wohnbedingungen, Schulen, Steuerzahlungen und die generellen Lebensbedingungen“ negativ beeinflussten. Trump verwies auch darauf, dass „zahllos unschuldige Amerikaner ihre Leben verloren hätten, weil unsere Politiker nicht ihre Pflicht erfüllt hätten, unsere Grenzen zu sichern und unsere Gesetze anzuwenden“.
Trumps Sieg sei dennoch nicht selbstverständlich gewesen, betont der Wirtschaftshistoriker: “Aber wenn es sich beim Populismus um eine Theorie der Gesellschaft, um einen politischen Stil und um einen wirtschaftlichen Ansatz handelt, der Grundsätze und Beschränkungen zurückweist, dann hat Trump jede dieser populistischen Eigenschaften effizient verkörpert.“ Seine Wahlkampagne wäre zuerst und vor allem gegen das Establishment gerichtet gewesen, betont Eichengreen.
Danach behandelt er Europa. Ob die Vereinigten Staaten oder Europa auf die Dauer anfälliger für den Populismus bleiben, lässt er offen.
„Hochtechnologie und Globalisierung haben sich gegenseitig verstärkt“, schreibt der Chefökonom des internationalen Wirtschaftsforschungsunternehmens TS Lombard, Charles Dumas, in „Populism and Economics“. Globalisierung, Technologie, Demografie und Ungleichgewichte seien die vier Elemente, die wesentlich zur heutigen Situation beigetragen hätten. „Es ist wesentlich, dass ‚Populismus‘ nicht zu einem höhnischen Begriff wird“, betont der Autor. Fraglos hätten Demagogen eine weitverbreitete Unzufriedenheit mit unsinnigen Rezepten ausgenutzt, aber Politiker und Kommentatoren aus der politischen Mitte hätten eine gleichermaßen verbreitete Unfähigkeit im Umgang mit legitimen Klagen an den Tag gelegt.
Dann schreibt Dumas etwas, was in der internationalen Diskussion Standard ist, in Deutschland aber häufig verdrängt wird: „Dieser massive Wandel wurde ergänzt durch eine globale Ersparnisschwemme – oder genauer, durch den strukturellen eurasischen Ersparnisüberschuss in Deutschland, seinen Nachbarländern im Norden, Westen und Süden, plus China, Japan und den asiatischen Tigerstaaten. Dieser große Teil der Weltwirtschaft kann seine Sucht nach Ersparnisbildung nur aufrechterhalten, wenn andere Länder oder Branchen Defizite fahren und/oder ihre Verschuldung steigern. Sowohl die Finanzkrise – und ihr Nachfolger, die Eurokrise – als auch der anschließende langsame Aufschwung der Weltwirtschaft waren klare Folgen dieser Defizite und Schulden.“
Dumas fährt fort: „In keiner Weise ist diese Ersparnisschwemme eine notwendige (oder natürliche) Begleiterscheinung der Globalisierung, noch wird sie auch nur indirekt durch technologische Neuerungen verursacht.“ Aber indem die Ersparnisbildung die Nachfrage nach profitablen Investitionen in der Welt übertroffen habe, sei sie nicht nur wesentlich verantwortlich für die jüngste Finanzkrise. Sie habe auch beigetragen zur schwachen Konjunkturerholung in den Jahren 2011 bis 2016, zur wachsenden Ungleichheit der Einkommen in diesen Jahren, zum starken Rückgang des potentiellen wie des tatsächlichen Wirtschaftswachstums in den Industrienationen sowie zur Sorge, dass die gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichten in absehbarer Zeit eine Konjunkturschwäche herbeiführen könnten.
Mit Blick auf Europa erwartet Dumas einen Rückgang des deutschen Leistungsbilanzüberschusses im Laufe der Jahre, aber er fürchtet, dass Italien nicht genug Zeit haben wird, um wirtschaftlich vom Kopf auf die Füße zu fallen. Nicht nur für Italien, sondern für viele Industrienationen gilt indessen nach Ansicht des Verfassers: „Ein langsameres Potentialwachstum in den kommenden Jahren könnte der gefährlichen Welle politischer Unzufriedenheit mit der Weltwirtschaftsordnung weitere Kraft verleihen.“