In Amerika ist die zunehmende Konzentration in vielen Branchen ein unter Ökonomen viel diskutiertes Thema. Eine neue Arbeit postuliert, dass der niedrige Zins die Konzentration befördert. Solche “Superstar”-Firmen müssen aber nicht das Ergebnis niedriger Zinsen sein. Tatsächlich gibt es sie schon lange. Wie eine zweite Arbeit zeigt, werden sie häufig überschätzt.
In vielen Branchen der amerikanischen Wirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten die Konzentration zugenommen – ein Phänomen, das es in dieser Form in Europa übrigens nicht zu besichtigen gibt. Die Frage, was die Konzentration in Amerika antreibt und welche Folgen sie hat, wird seit mehreren Jahren intensiv diskutiert.
Die Ökonomen Ernest Liu, Atif Mian und Amir Sufi haben in einer sehr interessanten Arbeit die Frage behandelt, ob der niedrige Zins ein Grund für den nachlassenden Wettbewerb in Amerika darstellt. Sie nehmen in ihrem Modell an, dass Unternehmen im Wettbewerb mit besseren Produkten und niedrigeren Kosten Vorteile erlangen wollen und dieser Wettbewerb die Wirtschaft antreibt und dem Verbraucher nutzt. Hat ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erreicht, ziehen sich Konkurrenten zurück und das verbleibende Unternehmen beschränkt sich darauf, seine Marktstellung zu bewahren. Im Monopol wachsen Wirtschaft und Produktivität langsamer als im Wettbewerb.
Soweit ist das Standard, aber nun fragen sich die Ökonomen, wie ein niedriger Zins Einfluss auf diese Prozesse nimmt. Sie gelangen zu drei Schlussfolgerungen, die mit Blick auf den Wettbewerb gegenläufig sind. Ihr Ausgangspunkt ist, dass künftige Gewinne aus heutiger Sicht umso höher sind, je niedriger der Zins liegt – je niedriger der Zins, umso niedriger ist der Faktor, mit dem künftige Erträge diskontiert werden. Das ist simple Finanzmathematik.
Bei niedrigen Zinsen lohnt es sich also umso mehr, Monopolist zu werden. Drei Effekte sind zu beachten:
- Die noch attraktivere Aussicht, Monopolist zu werden, spornt im Wettbewerb befindliche Unternehmen stärker an. Nach diesem Effekt sind niedrige Zinsen gut für den Wettbewerb.
- Die noch attraktivere Aussicht, Monopolist zu werden, spornt Unternehmen stärker an, Märkte anzugreifen, in denen sich ein Monopolist befindet. Die dafür notwendigen Investitionen fallen ihnen bei niedrigen Zinsen leichter als bei hohen. Auch nach diesem Effekt sind niedrige Zinsen gut für den Wettbewerb.
- Die noch attraktivere Aussicht, Monopolist zu werden, spornt aber auch Monopolisten an, alles zu tun, um ihre führende Marktstellung zu verteidigen. Die dafür notwendigen Investitionen fallen ihnen bei niedrigen Zinsen leichter als bei hohem. Nach diesem Effekt sind niedrige Zinsen schlecht für den Wettbewerb.
Grundsätzlich sind die Folgen niedriger Zinsen für den Wettbewerb nicht klar. Sie können ebenso positiv wie negativ sein. Man braucht daher empirische Tests – und man kann das mangels Daten möglicherweise nur indirekt testen. So haben sich die drei Autoren unter anderem angeschaut, wie sich bei unterschiedlichen Zinsniveaus die Aktienbewertungen von amerikanischen Unternehmen mit unterschiedlichen Marktpositionen entwickelt haben. Demnach haben sich die Bewertungen von Unternehmen mit großen Marktpositionen bei niedrigen Zinsniveaus so vorteilhaft entwickelt, dass die Autoren den Schluss ableiten, dass ein niedriges Zinsniveau in Amerika in der Tendenz nicht gut, sondern schlecht für den Wettbewerb ist. Das ist ein wichtiges Resultat – aber da die empirischen Testmöglichkeiten schwierig sind, sollte es mit einer gewissen Vorsicht behandelt werden. Ergänzende Tests wären nicht schlecht.
Nun sind Unternehmen mit einem hohen Marktanteil in den Vereinigten Staaten keine neue Entwicklung, sondern es gab sie auch schon in früheren Jahrzehnten, als die Zinsen noch höher waren. Neu ist hingegen die Neigung, sie als “Superstars” zu bezeichnen. Manche sehen in ihnen die Prototypen dynamischer und innovativer Unternehmen. Wie die Ökonomen Germán Gutiérrez und Thomas Philippon in einer neuen Arbeit zeigen, werden diese Unternehmen allerdings häufig überschätzt. Viele werden träge, wenig produktiv und verdienen eher die Bezeichnung “verlöschende Sterne” als “Superstars”.
Die beiden Ökonomen haben sich für die vergangenen 60 Jahre Daten von großen amerikanischen Unternehmen angeschaut und sind zu drei wesentlichen Ergebnissen gelangt:
- “Superstar”-Unternehmen wachsen im Zeitablauf nicht mehr.
- “Superstar”-Unternehmen werden im Zeitablauf nicht produktiver.
- Der Beitrag der “Superstar”-Unternehmen zum gesamten Produktivitätswachstum ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten um rund 40 Prozent gesunken.
“Irgend etwas ist seit dem Jahr 2000 geschehen”, schreiben die beiden Autoren mit Blick auf die schwache Produktivitätsentwicklung der “Superstars” in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Möglicherweise spielen hier mehrere Faktoren eine Rolle. In der jüngeren Vergangenheit haben die sogenannten immateriellen Investitionen (unter anderem in Patente, Humankapital und Markenrechte) stark im Vergleich mit klassischen Investitionen in Sachkapital zugenommen – dies mag ein Grund für die schwache Produktivitätsentwicklung sein.
Gútierrez und Philippon verweisen daneben auf Regulierungen, die den Superstars das Leben in der jüngeren Vergangenheit leicht gemacht hätten. Auch weitere Gründe können eine Rolle spielen – darunter auch der niedrige Zins. Viel Arbeit wartet noch, ehe die Zusammenhänge geklärt sind. So könnte man sich fragen, warum es in Europa keine Amerika vergleichbare Konzentration gibt, obgleich der Zins hier noch niedriger ist als auf der anderen Seite des Atlantiks.