Amerikas Unternehmen entdecken ihre soziale Verantwortung. Damit schaden sie der Gesellschaft.
Etwas Erstaunliches passiert in den Vereinigten Staaten. Eine Gruppe einflussreicher Geschäftsleute, der „Business Roundtable“, verabschiedet sich von dem Prinzip, dass Unternehmen sich primär an den Interessen der Aktionäre orientieren sollten. Seit 1997 hatte diese Gruppe das Primat der Anteilseignerinteressen als die originäre Bestimmung von Unternehmen hochgehalten. In den neuen Grundsätzen über die Aufgaben eines Unternehmens tauchen die Aktionäre jetzt aber nur noch an letzter Stelle auf.
Davor lassen die fast 200 Spitzenmanager von Accenture und Apple über Ford und Goldman Sachs bis Xerox und 3M das hochleben, was heutzutage als soziale Verantwortung eines Unternehmens beschrieben wird: Werte für Kunden, Investitionen in Mitarbeiter, Pflege von Diversität und Inklusion, ein fairer Umgang mit Zulieferern, die Unterstützung der Gemeinschaften, in denen die Unternehmen arbeiten, und der Schutz der Umwelt.
Die soziale Verantwortung von Unternehmen? Gewinne machen
Darf es noch etwas mehr sein, möchte man spöttisch fragen. Milton Friedman, der Wirtschaftsnobelpreisträger von 1976, hatte eine einfachere Antwort auf die Frage nach dem Unternehmenszweck: die Erzielung von Gewinn. „Es gibt nur eine einzige soziale Verantwortlichkeit von Unternehmen – ihre Ressourcen so zu nutzen und sich in solchen Aktivitäten zu engagieren, dass sie ihre Gewinne steigern“, schrieb Friedman in seinem Buch „Kapitalismus und Freiheit“.
Dahinter steckt ein marktwirtschaftliches Credo. Sozial ist das Gewinnziel, weil es den Wettbewerb antreibt. Unternehmen, die ihre Gewinne dauerhaft verbessern wollen, bemühen sich um Kunden, brauchen zufriedene Mitarbeiter und suchen die Innovation, um mit Produkten oder kostengünstigerer Herstellung Vorteile vor den Mitbewerbern zu erlangen. Profite zu verdammen oder durch soziale Verantwortung zu begrenzen bedeutet nicht weniger, als den wettbewerblichen Motor der Marktwirtschaft abzuschalten und auf Wohlstand zu verzichten.
Trotzdem gilt der schon lange gestorbene Friedman den Gegnern einer marktwirtschaftlichen Ordnung noch heute als der Buhmann des Kapitalismus. Friedmans Argumente aber helfen, die gefälligen Worthülsen des „Business Roundtable“ einzuordnen. Auch für den Laien leicht zugänglich, präsentierte Friedman seine Gedanken 1970 in einem wie immer scharfzüngigen Beitrag für die Zeitung „New York Times“.
Die wichtigste Frage ist darin: Wenn Geschäftsleute von der sozialen Verantwortung eines Unternehmens sprechen, wen meinen sie eigentlich? Ein Unternehmen ist eine Rechtsperson, ein legales Konstrukt, und als solches gebunden, Verträge einzuhalten. Verantwortung aber können nicht Unternehmen, sondern nur Menschen tragen, konstatiert Friedman. Man darf also annehmen, dass die Geschäftsleute es sind, die Verantwortung tragen sollen. Ohne Frage fühlen sie sich dazu berufen, wie die Erklärung des „Business Roundtable“ zeigt.
Das Geld anderer Leute für das gute Gewissen
Spitzenmanager aber sind, sieht man vom seltener werdenden Fall des Eigentümerunternehmers ab, nichts anderes als Angestellte. Ihre Verantwortung als Manager besteht gegenüber dem Eigentümer und nicht gegenüber der Gesellschaft. Eigentümer von Unternehmen sind die Anteilseigner, die Aktionäre. Die wenigsten Anleger aber halten Aktien, weil sie einer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden wollen. Den meisten geht es um die Rendite. Das wird etwa daran deutlich, dass ökologische Anlagefonds nicht nur mit dem guten Gewissen, sondern auch mit einem guten finanziellen Erfolg werben. Friedmans Petitum, die Verantwortung von Unternehmen sei die Gewinnerzielung, ist so betrachtet kein Aufreger, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Was aber bedeutet es, den Managern eine soziale Verantwortung zuzuschreiben? „Damit eine solche Aussage nicht nur reine Rhetorik ist, muss es bedeuten, dass die Manager manche Dinge tun, die nicht im Interesse ihres Arbeitgebers sind“, schreibt Friedman. Es geht also um eine Zweckentfremdung von Mitteln, weil der Manager das Geld anderer Leute für soziale Zwecke ausgibt. Wenn Apple-Chef Tim Cook das Unternehmen für den Regenwald in Brasilien oder für Opfer von Tsunamis oder Waldbränden spenden lässt, dann zahlen dafür Aktionäre in Form geringerer Ausschüttungen, Kunden in Form höherer Preise oder Beschäftigte in Form niedrigerer Löhne. Friedman stellt diese Form der Umverteilung der staatlichen Besteuerung gleich, die in diesem Fall freilich der demokratischen Kontrolle entzogen sei.
Gibt Apple zu viel für den Regenwald aus?
Stopp, wenden spätestens an dieser Stelle die Kritiker Friedmans ein. Spenden für Bedürftige oder Engagement für den Umweltschutz verbesserten das Renommee eines Unternehmens und trügen so dazu bei, mehr Kunden zu gewinnen. Ausgaben für die Ausbildung oder die soziale Stabilität in der Stadt neben der Fabrik sicherten zufriedene und gute Arbeiter. All das zahle sich für ein Unternehmen aus. Das mag stimmen, steht aber nicht im Widerspruch zu Friedman. Denn im Kern führt diese Kritik doch wieder zur Gewinnerzielung als der zentralen Aufgabe des Unternehmens.
Friedman selbst schließt ausdrücklich nicht aus, dass derartige Ausgaben im Interesse des Unternehmens liegen und sinnvoll sein könnten. In welchem Umfang das der Fall sein mag, ist natürlich schwer zu messen. Im Marketing lassen sich viele Ausgaben verstecken, die scheinbar profitorientiert dem guten Ruf des Unternehmens und in Wahrheit doch nur verschwenderisch dem Ego der Spitzenmanager dienen.
Dagegen hilft in einem marktwirtschaftlichen System nur die Hoffnung auf die Aktionäre, die Cook schon die Tür weisen werden, wenn er zu viel Geld für den Regenwald ausgibt. Als Nebenbedingung für die Gewinnorientierung von Unternehmen setzt Friedman ferner immer die rechtlichen und ethischen Spielregeln der Gesellschaft. Er fordert keine Verstöße gegen Arbeitsrecht oder Umweltschutzgesetze.
Mehr Schaden durch den Deckmantel
Was den Liberalen Friedman aber stört, ist, wenn Spitzenmanager solche Ausgaben, die im Eigeninteresse des Unternehmens liegen, damit begründen, dass sie ihrer sozialen Verantwortung gerecht würden. Das Bekenntnis zur sozialen Verantwortung werde zum Deckmantel, um Vorwürfen der Profitgier oder des seelenlosen Unternehmens zu entgegnen. Friedman spricht von einem suizidalen Impuls von Geschäftsleuten.
Reden über soziale Verantwortung brächten den Managern auf kurze Sicht vielleicht Applaus sein. Die Geschäftsleute verstärkten damit aber nur die Meinung, dass die Gewinnerzielung schlecht und unmoralisch sei und von außen kontrolliert werden müsse. Setze sich diese Sicht durch, mahnt Friedman die Manager, werde der Markt nicht durch das soziale Gewissen dozierender Geschäftsleute reguliert, sondern durch die eiserne Faust von Regierungsbürokraten.
Dieser „Sonntagsökonom” erschien am 1. September in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.